13.06.2017

Geringe Stabilität alter Betonbrücken

Aufwendige Messungen zeigen die Querkraft­belastung der massiven Strukturen.

Lange hatten die Forscher der Tech­nischen Uni­versität München TUM nach dieser Brücke gesucht. Die Anfor­derungen waren klar: Vor 1966 erbaut, möglichst viele Brücken­felder zwischen den Pfeilern, gut zugänglich und natürlich bereits stillgelegt. Die 60 Jahre alte Saale­brücke Hammel­burg in Unter­franken entspricht diesem Profil perfekt. Sie wies im Laufe der Jahre immer mehr Schäden auf, eine Sanierung wäre unwirt­schaftlich gewesen. Seit Dezember 2016 fließt der Verkehr daher über eine neue Brücke. An der alten Konstruktion wollen TUM-Ingenieure nun das Trag­verhalten von realen Brücken testen und damit einem Wider­spruch zwischen Theorie und Praxis auf den Grund gehen. Im Vergleich zu den vor 50 Jahre geltenden Normen schreiben die aktuellen, auf euro­päischer Ebene erar­beiteten Standards eine stark erhöhte Querkraft­tragfähig­keit vor. Grund für diese Änderung ist, dass viel mehr Schwer­verkehr über die Brücken fließt, denn vor allem die Schwerlast­fahrzeuge beanspruchen die Bauwerke.

Abb.: Vorbereitung der Belastungsmessungen an der Saalebrücke Hammelburg. (Bild: TUM)

„Brücken, die vor 1966 gebaut wurden, haben so gut wie keine vertikale Bewehrung, um die Quer­kräfte aufzu­nehmen“, erklärt Oliver Fischer vom Lehrstuhl für Massiv­bau. Werden diese Brücken nach den neuen Regeln beurteilt, weisen sie massive Defizite auf. Die Konsequenz daraus ist, dass diese Brücken verstärkt, die Verkehrs­lasten verringert oder im Extrem­fall ganze Bauwerke abgerissen und erneuert werden müssen. Aller­dings gibt es eine Dis­krepanz zwischen der nach aktuellen Normen ermit­telten theo­retischen und der tat­sächlichen Trag­fähigkeit. „Es gibt viele Brücken mit einem errech­neten Defizit, aber man sieht an den Bauwerken keine Schäden, die dies bestätigen“, sagt Fischer.

Das Querkraft­tragver­halten ist sehr komplex, weshalb ver­schiedene theo­retische Ansätze exis­tieren, die es beschreiben. „Ein Problem ist, dass die experi­mentellen Unter­suchungen dazu fast aus­schließlich im Labor durchgeführt wurden“, erklärt Fischer. „Im kleinen Maßstab verhalten sich viele Trag­systeme anders als im Real­zustand.“ Auch der Einfluss, den die natür­liche Witterung und die jahrzehnte­lange Alterung auf die Brücken haben, kann im Labor nicht realitäts­getreu abgebildet werden. Die geplanten Versuche an der Saale­brücke sollen diese Lücke schließen.

Die 163 Meter lange Brücke besteht aus sieben Einzel­feldern. „Die Querkraft ist in der Nähe der Pfeiler beziehungs­weise Stützen am größten", sagt Fischer. Daher sind die Messungen an diesen Stellen besonders interes­sant. Die Versuche finden an fünf der sieben Felder und jeweils im Bereich der Stützen statt. Die Querkraft­belastung wird bei den einzelnen Versuchen mit einem extra für diese Groß­versuche gebauten Belastungs­träger durch­geführt. Der Belastungs­träger ist etwa 32 Meter lang, 1,80 Meter hoch und wiegt etwa 40 Tonnen. Die Gesamt­belastung kann auf bis zu 400 Tonnen gesteigert werden. Das entspricht der Last von zehn 40-Tonnen-Lkw oder 400 Klein­wagen.

Die Mess­technik ist aufwändig: Mithilfe von Glasfasern können die Wissen­schaftler etwa fest­stellen, wie sich der Beton dehnt und wo Risse entstehen. Der Lehrstuhl für Geodäsie unter­stützt die Versuche durch den Einsatz von hochauf­lösenden Kameras. Diese doku­mentieren die Rissbildung und die Bilder werden anschließend mit spezieller Software ausge­wertet. Ergänzend zu dem Freifeld­versuch führen die Forscher umfang­reiche numerische Simulationen sowie Unter­suchungen im Labor durch. Sie haben dafür einen neuar­tigen Versuchs­aufbau entwickelt, in den sie einen Teil einer Brücke ein­spannen und realitäts­nah testen können. Fischer: „Unser klares Ziel ist, neue Ansätze zum Umgang mit älteren Brücken zu formu­lieren und die Trag­reserven noch besser aber dennoch sicher auszu­nutzen. Hierdurch können im Einzel­fall Ressourcen und Geld gespart werden.“

TUM / JOL

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