30.04.2019

Götterspeise, Haftnotizen und Smartphone-Sensoren

Reibungsphysik liefert grundlegenden mechanischen Erkenntnissen für Mikro- und Medizintechnologie.

Die Adhäsion bestimmt die Haftung bei einer geklebten Verbindung – seien es Schuhsohlen, Autodächer oder Flugzeugflügel aus Kohlefaser, ein Notizzettel an der Wand oder ein medizinisches Pflaster. Viele Systeme der Mikrotechnik, wie zum Beispiel Lagesensoren in Smartphones, sind wegen ihrer Kleinteiligkeit allerdings auch anfällig für eine ungewollt starke Haftung. So sind Technik und Medizin sehr an Technologien interessiert, mit denen die Haftung nach Bedarf vergrößert oder vermindert werden kann. Mit einer neu entwickelten Methodik konnte ein Team an der TU Berlin in einer Reihe numerischer Simulationen und Experimente wichtige Einflussfaktoren auf die Haftigkeit der adhäsiven Kontakte erforschen.

Abb.: Wie stark muss eine Haftnotiz kleben? Antworten gibt die Reibungsphysik....
Abb.: Wie stark muss eine Haftnotiz kleben? Antworten gibt die Reibungsphysik. (Bild: A. Groth,TU Berlin)

„Die Haftigkeit, der adhäsive Kontakt an den Grenzflächen zwischen zwei Körpern, kann stark von der makro- und mikroskopischen Beschaffenheit der jeweiligen Oberflächen abhängen“, erklärt Teamleiter Valentin Popov. „Auch in der Tierwelt sind diese Adhäsionskräfte am Werk. Heuschrecken und Geckos beispielsweise nutzen die adhäsive Haftung ihrer Füße zu den verschiedensten Oberflächen, um auch an Wänden und Fenstern zu laufen.“ Lebendige Zellen würden durch Milliarden dieser mikroskopischen Einheiten zu einem lebenden Organismus verbunden. „Die Stärke der Adhäsion zwischen Zellen bestimmt auch deren Beweglichkeit und Wachstum. So kann eine Störung sogar Ursache für die Entwicklung von Tumoren sein.“

Um Störungen zu vermeiden, sei die Kraft der Adhäsion in der Mechanik sehr sorgfältig zu beachten und zu dosieren, denn nicht immer ist sie nützlich – Ventile mit Gummidichtung müssen jederzeit öffnen können, eine zu starke Adhäsion könnte zu Fehlfunktionen führen. In den Experimenten der Forscher spielt die Trennungsenergie eine große Rolle. In diese Kenngröße fließen alle Details der adhäsiven Wechselwirkung der Oberflächen: Die physikalische Beschaffenheit, Reibungselektrizität, Wasserstoffbrücken, elektrochemische Doppelschicht-Wechselwirkungen oder Interdiffusion von Polymerketten gehören dazu. „Je größer die Trennungsenergie, desto stärker die Haftkraft, die Adhäsion“, so Team-Mitglied Roman Pohrt. „Einen weiteren Einfluss nehmen Aspekte von Geometrie und Mechanik wie die Rauheit der Oberfläche. Da Adhäsionskräfte meist nur im atomaren Bereich wirksam werden, müssen die Oberflächen zwingend sehr nahe aneinander gebracht werden. Bei rauen Oberflächen haben nur die Rauheitsspitzen echten Atom-zu-Atom-Kontakt. Auf mikroskopischer Ebene bleiben dann große Teile der kontaktierenden Oberflächen durch einen Spalt getrennt.“

Allgemein gilt: je rauer zwei Oberflächen, desto geringer die Haftkraft. Um diese zu erhöhen könne man also beispielsweise den Spalt per Klebetechnik mit langsam erstarrender Flüssigkeit füllen oder mit einem sehr weichen Gegenkörper. Pohrt gibt ein simples Beispiel: „Diesen Effekt kann jeder zu Hause erfahren, indem er einen Löffel an die Götterspeise drückt und dann versucht, den Löffel langsam zu heben. Das funktioniert ebenso gut mit einem zerkratzten, also rauen Löffel.“

Die Studie der Forscher zielt vor allem auf das Verständnis ab, welchen Einfluss die makroskopische Form auf die adhäsive Festigkeit und auf den Prozess des Ablösens hat. Pohrt entwickelte eine hoch-effiziente Methode zur Computersimulation des Ablöseprozesses. Er baute ein Gerät, in welchem die Ablösung einer Haftverbindung, zum Beispiel von verschieden geformten Pflastern oder von Glaswürfeln auf gallertartiger Materie gemessen und live mit einer Videokamera beobachtet werden konnte. Der beobachtete Effekt, dass scharfe Ecken, zum Beispiel bei Pflastern, sich zuerst ablösen, ist aus dem Alltag gut bekannt.

„Eine wesentliche Erkenntnis ist jedoch, bei welchen Formen die Ablösung an welchen Stellen stoppt und erst bei signifikanter Krafterhöhung weiter voranschreitet. Das ist für das Design von Klebeverbindungen in der Industrie von Bedeutung, zum Beispiel als Frühwarnung vor einem kritischen Versagen der Klebeverbindung“, so Pohrt. Auch auf die Frage, ob es zum Beispiel möglich ist, ein Pflaster zu entwerfen, welches gut hält, beim Abziehen aber nicht wehtut, gibt die Studie eine Antwort. „Diese Frage betrifft die gradierten Werkstoffe, ein Trend in der modernen Materialwissenschaft“, so Popov. „Wir empfehlen die Verwendung eines Gradientenmaterials als Zwischenschicht, das an der Oberfläche viel weicher ist als in den tieferen Bereichen.“

FH Münster / RK

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