21.09.2016

Grenzflächen unter der Röntgenlupe

Neue Methode ermöglicht präzise Analyse korrelierter Oxidgrenzflächen.

Als der deutsche Physiker Herbert Kroemer im Jahr 2000 den Nobel­preis erhielt, prägte er in seiner Nobel­vorlesung den Ausspruch „The Interface is the Device“ („Die Grenzfläche ist das Bauelement"). Kroemer bezog sich auf das Feld der Halbleiter­filme, auf welchen alle modernen elektronischen Geräte basieren.

Abb.: Ausschnitt aus dem untersuchten Lanthan-Kobalt-Film mit positiv geladenen Lanthan-Oxid-Schichten (grüne und rote Atome) und negativ geladenen Kobalt-Oxid-Schichten (braune und rote Atome; Bild: J.E. Hamann-Borrero & V. Hinkov)

Der Ausspruch ist heute aktueller denn je, am Beginn eines Zeitalters neuer, leistungs­fähiger Bauelemente, die auf komplexeren und viel­seitigeren topologischen und korrelierten Materialien basieren. Solche Materialien bilden den Forschungs­schwer­punkt eines Großteils der Fakultät für Physik und Astronomie an der Universität Würzburg: Zur Zeit arbeiten 16 Gruppen auf dem Gebiet; die Entdeckung, Entwicklung und Erforschung dieser Materialien ist ebenfalls Hauptziel eines Sonder­forschungs­bereichs, der 2015 an den Start gegangen ist und von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft mit rund zehn Millionen Euro ausgestattet wurde. Um wichtige Ladungs­eigenschaften von korrelierten Oxidgrenz­flächen mit atomarer Auflösung zu bestimmen, haben Würzburger Physiker gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Kanada, den USA und Korea in den vergangenen Jahren eine neue Methode entwickelt.

„Herkömmliche elektronische Chips basieren auf Netzwerken aus sogenannten p-n-Übergängen – Grenzflächen zwischen Halbleitern, welche positive beziehungs­weise negative Ladungen tragen“, beschreibt Vladimir Hinkov den Hinter­grund dieser Forschung. Solche Netzwerke hätten jedoch mehrere Nachteile: Erstens seien die p-n-Übergänge dick, häufig von der Größen­ordnung von Hunderten von atomaren Lagen. Zweitens erfordere der Betrieb des Netzwerks die Bewegung von Elektronen, was wegen des elektrischen Widerstands viel Energie kostet. Drittens seien Halbleiter von Natur aus nicht magnetisch und ihre Elektronen­konfiguration sei sehr einfach: „Das limitiert dramatisch die Möglichkeiten, funktionelle Grenz­flächen zu bilden und magnetische Anwendungen zu realisieren“, so der Physiker.

Übergangsmetalloxide hingegen weisen vielfältige Eigenschaften auf: Manche sind ferro­magnetisch, andere antiferro­magnetisch, und wiederum andere erweisen sich als Hoch­temperatur­supra­leiter mit sehr ungewöhnlichen Eigenschaften. „An den Grenzflächen zwischen solchen Materialien beobachtet man eine Vielzahl von Phänomenen, welche für neuartige Anwendungen wie verschiedene Sensoren, verlustfreie Computer­speicher und extrem schnelle Prozessoren viel­versprechende Möglichkeiten eröffnen“, sagt Hinkov. Im Gegenzug seien deutlich anspruchs­vollere Methoden nötig, um diese Materialien zu untersuchen. Dies liege zum einen an der Vielzahl der physikalischen Phänomene und zum anderen an den viel kürzeren Längen­skalen, oft nur wenige atomare Abstände, über die sich die Eigenschaften an den Grenzflächen ändern.

Verantwortlich für viele Eigenschaften dieser Materialien ist das Verhalten der Elektronen an der Grenz­fläche: Neigen diese dazu, sich anzuhäufen? Welche Orbitale besetzen sie? Wie ordnen sich die Elektronen­wolken um die Atome an? Orientieren sich die winzigen magnetischen Momente der Elektronen, die so genannten Spins, in besonderer Weise relativ zueinander, so dass eine magnetische Ordnung entsteht? Auf diese und weitere Fragen suchen Physiker weltweit nach Antworten.

Antworten liefern Methoden und eine Analyse-Software, die Hinkov und seine Mitarbeiter entwickelt haben. Sie basiert auf der resonanten Röntgen­reflekto­metrie, die Röntgenlicht in einem Synchrotron nutzt, und das mit der nahezu atomaren Auflösung von unter einem Nano­meter. Die Physiker haben ihre Methoden auf dünnen Filmen von Lanthan-Kobalt-Oxid angewendet, einem Material mit interessanten magnetischen Eigenschaften.

Dabei haben sie sich jedoch für die jetzt veröffentlichte Arbeit auf einen anderen Aspekt konzentriert: „Bevor wir uns auf die vielfältigen magnetischen Phänomene dieses Materials stürzen können, müssen wir ein fundamentales, sehr weit verbreitetes Programm lösen", sagt Hinkov. So wie viele andere Materialien auch, wie z.B. gewöhnliches Koch­salz oder viele Halbleiter, besteht Lanthan-Kobalt-Oxid aus geladenen Teilchen. Diese Ionen bilden eine Abfolge aus jeweils positiv und negativ geladenen Atomlagen, die zu einem 15 Nanometer dünnen Film gestapelt sind. „Man kann zeigen, dass enorme elektrostatische Felder zwischen den Lagen entstehen, was ein Problem darstellt, da die Felder Energie kosten“, erklärt Hinkov.

„Die Natur ist sparsam und vermeidet diese Energiekosten: Sie bringt jeweils positive und negative Ladungen zu den entgegengesetzten Film­grenz­flächen, ähnlich wie bei einem Platten­kondensator. Dadurch entsteht ein neues Feld, welches dem ursprünglichen entgegensetzt ist und dieses auslöscht“, erklärt der Physiker.

Die Anhäufung von reiner elektrischer Ladung an den Filmgrenzflächen nennt man „elektronische Rekonstruktion“. Aus Sicht der Physiker handelt es sich dabei um eine sehr elegante Lösung, da sie die Grenzflächen eben hält. Für Materialien, in welchen elektronische Rekonstruktion nicht möglich ist, wird die kompensierende Ladung durch recht große Ionen geliefert, was wellige Grenzflächen zur Folge hat. „Wellige Grenzflächen sind offensichtlich für die Funktion von elektronischen Bauteilen von Nachteil, insbesondere wenn sich die Material­eigenschaften, wie in den Über­gangs­metall­oxiden, an den Grenzflächen auf einer atomaren Skala ändern“, so Hinkov.

Dass sich eine elektronische Rekonstruktion an Oxidgrenz­flächen realisieren lässt, haben die Würzburger Physiker und ihre Kollegen mit der von ihnen entwickelten Methode jetzt gezeigt. Darüber hinaus beschreiben sie eine Methode, die zur Untersuchung der mikroskopischen Eigenschaften von Grenzflächen jenseits von elektronischer Rekonstruktion geeignet ist: Schließlich seien die Anordnung von Atomen, die elektronische Besetzung der Atomorbitale und die Spin­orientierung von ebenso fundamentaler Bedeutung.

U. Würzburg / DE

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