29.07.2004

Großes Geheimnis Reibung

Reibung spielt in Geologie, Technik und Biologie eine zentrale Rolle. Will man sie beschreiben, wird's kompliziert.


Großes Geheimnis Reibung


Reibung spielt in Geologie, Technik und Biologie eine zentrale Rolle. Will man sie beschreiben, wird's kompliziert.

Tel-Aviv (Israel) - Erdbeben, rasant rotierende Festplattenlaufwerke oder durch feine Adern strömendes Blut. Reibung und Hafteffekte spielen in Geologie, Technik und Biologie eine zentrale Rolle. Durch den atomgenauen Blick auf die beteiligten Oberflächen mit hochauflösenden Mikroskopen offenbart sich eine ungeahnte, beinahe chaotische Komplexität bei diesen Phänomenen. Klassische Formeln mit proportionalen Abhängigkeiten von Masse und Oberflächenstruktur können das Wechselspiel von reibenden Materialien und Schmierstoffen längst nicht mehr ausreichend genau beschreiben. Israelische Physiker werfen in der Fachzeitschrift "Nature" nun einen Blick auf aktuelle Experimente und theoretische Ansätze in der Tribologie.

"Je mehr wir über die Tribologie - die Lehre von Reibung, Verschleiß und Schmierung - lernen, desto komplexer gestalten sich die Zusammenhänge", sagt Michael Urbakh von der Tel-Aviv-Universität in Israel. Immer deutlicher zeichnen sich nicht-lineare Effekte ab. Laut Urbakh liegt der Grund in den großen Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnissen besonders bei mikroskopisch kleinen Systemen. Dazu gesellen sich neben physikalischen Oberflächeneigenschaften wie der Rauhigkeit chemische Effekte und Haftphänomene an den Grenzflächen. So kann der lokal wirkende Druck innerhalb von Mikrosekunden über viele Größenordnungen zwischen einem Pascal und einem Gigapascal schwanken. Fließende Übergänge zwischen Haftung und Reibung bei sich berührenden Schichten erschweren die mathematische Beschreibung durch "lineare" Theorien.

Abb.: Geckos haften mit ihren Füßen dank feinster Härchen selbst an glatten Glasscheiben. Mit geeigneten Modellen lassen sich solche Haft-Reibungs-Übergänge inzwischen beschreiben.

Drei theoretische Ansätze hebt Urbakh hervor. Rechenintensive Simulationen, die auf der Dynamik des Oberflächenmaterials auf molekularer Ebene beruhen, erreichen mit der Beachtung der Potenzialfunktionen zwischen den Atomen schon eine hohe Genauigkeit. Aber diese Modelle beschränken sich auf Zeitskalen im Nanosekundenbereich und nur Nanometer kleine Bereiche. Doch technische Anwendungen verlangen makroskopische Abschätzungen, die nur durch eine Verringerung der zahlreichen Parameter erreicht werden können. Phänomenologische "Rate-State"-Modelle reduzieren für spezielle Situationen die Variablen auf handlichere Konstanten, die beispielsweise die stetige Verformung der Oberflächenstruktur berücksichtigen. Doch zeigen diese Ansätze neben der beschränkten Einsatzmöglichkeit qualitative Ungenauigkeit bei Haft-Reibungs-Übergängen. So genannte "minimalistische Modelle" (MM) scheinen dagegen erfolgreicher. "MMs beschränken sich meistens auf zwei charakteristische Zustände: Festsitzend und gleitend", erklärt Urbakh. Diese Zustände zeigten sich als wesentlich, um vor allem die komplexen Übergänge zwischen Haften und Reiben erklären zu können. "Diese Modelle betonen die nicht-lineare Natur der Reibungsdynamik und führte zu neuen Methoden, Reibung besser zu kontrollieren", so der Physiker. Die meisten experimentellen Beobachtungen konnten mit diesem MM-Ansatz qualitativ beschrieben werden.

Konkrete Anwendungen dieser Theorien locken vor allem im mikromechanischen Bereich. Wurden Maschinenteile beispielsweise in Motoren grundsätzlich mit hochviskosen Ölen geschmiert, entdecken immer mehr Entwickler wasserbasierte Schmierstoffe. Möglich wird dies grundsätzlich durch die deutlich unter 100 Grad Celsius liegenden Betriebstemperaturen von Festplattenlaufwerke oder Mikromotoren. Wie Wissenschaftler vor allem bei Tieren, Insekten, Augenlidern und biologischen Mikrostrukturen erkannten, müssen hierzu wasserliebende - hydrophile - Oberflächen zum Einsatz kommen. Elektrostatische Aufladungen bilden dabei eine effektive Abstoßung, wodurch wassergeschmierte Bauteile nahezu reibungsfrei aneinander vorbei rutschen können. Jüngste Studien zeigten sogar, dass Bürsten aus statisch aufgeladenen Polymeren bisher unerreichte Schmiereigenschaften bei hohen Kontaktdrücken ermöglichen. Nach und nach werden in filigranen, mechanischen Elementen diese Effekte ausgenutzt werden und den klassischen, öligen Schmierfilm ersetzen.

Jan Oliver Löfken

Weitere Infos:

Weitere Literatur:

  • Landman,U., Luedtke,W.D. & Ringer, E. M. in: Fundamentals of Friction: Macroscopic and Microscopic Processes (Hrsg.: Singer, I. L. & Pollock, H. M.) 463–510 (Kluwer, Dordrecht, 1992).   
  • Robbins,M.O. & Muser,M.H. in: Modern Tribology Handbook (Hrsg.: Bhushan, B.) 717–757 (CRC Press, Boca Raton, Florida, 2001).   
  • Persson, B. N. J., Sliding Friction, Physical Properties and Applications (Springer, Berlin, 2000).

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