15.06.2022

Grund für Blutungsneigung identifiziert

Genetischer Defekt kann Kraftausübung von Thrombozyten beeinträchtigen.

Als Paradebeispiel für einen Sonderforschungsbereich Transregio (TRR) bezeichnen Juliane Baumann und Markus Bender vom Institut für experimentelle Biomedizin des Uniklinikums Würzburg ihr Projekt A06 im TRR240 „Platelets“. In dem von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) geförderten Projekt haben Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Standorten gemeinsam ihre Expertise eingebracht, um eine biophysikalische Plattform zu etablieren, die es erlaubt, die mechanischen Eigenschaften von Blut­plättchen, den Thrombozyten, der Maus und des Menschen zu analysieren und die Ergebnisse aus der Grundlagen­forschung in die klinische Anwendung zu transferieren.

Abb.: Anhand neu entwickelter bio­physikalischer Methoden ließ sich zeigen,...
Abb.: Anhand neu entwickelter bio­physikalischer Methoden ließ sich zeigen, dass das Zell­skelett von Thrombozyten in seiner Funktion, Kräfte auszuüben, eingeschränkt ist. (Bild: Uniklinik. Würzburg)

Biologen, Mediziner, Pharmazeuten, Physiker und Biomediziner aus Würzburg, Greifswald, Tübingen und Dublin haben in dreieinhalb Jahren herausgefunden, dass die erhöhte Blutungs­neigung bei Menschen mit einem Defekt im Gen MYH9 (Myosin heavy chain 9) nicht auf eine reduzierte Thrombozyten­anzahl zurückzuführen ist, sondern darauf, dass die Thrombozyten in ihrer Kraft­ausübung beeinträchtigt sind.

Generelles Ziel des SFB/TRR240 „Platelets“ ist es, die komplexen und unzureichend verstandenen Funktionen von Thrombozyten zu entschlüsseln. Dadurch erhofft man sich neue Erkenntnisse, die eine bessere Behandlung von Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, akutes Lungen­versagen und Krebs ermöglichen. Im Projekt A06 standen die MYH9-assoziierten Erkrankungen im Fokus. Das Gen MYH9 ist verantwortlich für das kontraktile Protein Myosin IIA. Inzwischen sind mehr als vierzig Mutationen in diesem Gen bekannt, die zu vier unterschiedlichen Syndromen führen. Charakteristisch für alle ist eine leichte bis moderate Blutungsneigung. Je nach Mutation können Nierenversagen, Hörverlust und ein Katarakt, im Volksmund als grauer Star bekannt, hinzukommen. Die Erkrankung ist selten, die Prävalenz, das Vorkommen dieser Erkrankung, wird jedoch unterschätzt. „Oft fällt die erhöhte Blutungs­neigung erst durch eine stark anhaltende Monats­blutung bei Frauen, Blutergüsse oder Komplikationen bei einer Operation auf“, erklärt Juliane Baumann, die gemeinsam mit Laura Sachs von der Universität Greifswald Erstautorin ist. „Ist die Blutungsneigung bekannt, wird vor einer Operation Tranexamsäure zur Vorbeugung gegeben. Warum dieses Antifibrinolytikum hilft, das konnten wir jetzt im Mausmodell zeigen.“

Zunächst galt es herauszufinden, warum sich Wunden bei MYH9-Patienten nicht so gut verschließen wie bei Gesunden. „Dazu haben wir die Thrombozyten von drei verschiedenen Mauslinien untersucht, die jene Punkt­mutation tragen, die am häufigsten in MYH9-Patienten vorkommen: R702C, D1424N, E1841K. Unsere Untersuchungen haben wir auch an Thrombozyten von Patienten mit der Mutation D1424N und E1841K durchgeführt, die unsere Ergebnisse in der Maus bestätigen“, berichtet Andreas Greinacher, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin der Universität Greifswald, einem nationalen Referenz­zentrum für die Diagnostik angeborener Thrombo­zytopenien beim Menschen.

„Drei Mauslinien und zwei Patienten – dieser breite und trans­lationale Ansatz ist neben der fach- und standort­übergreifenden Zusammenarbeit eine Stärke des Projekts“, kommentiert Markus Bender, der gemeinsam mit Raghavendra Palankar aus Greifswald Letztautor der Publikation ist. Deren Haupt­aussage lautet: Die erhöhte Blutungs­neigung ist nicht auf Signalwege oder reduzierte Thrombozyten­anzahl zurückzuführen, sondern auf Defekte im Zellskelett der Blut­plättchen.

Bei einer Verletzung eines Blutgefäßes werden Thrombozyten aktiviert, die sich an die Wunde heften und diese verschließen. Über der Wunde bildet sich ein Netz, das Fibrin genannt wird. Die Thrombozyten binden mit ihren Rezeptoren an den Fibrin­fasern, verdichten das Netz, sodass es kompakt und stabil wird. „Diese Kraftausübung wird benötigt, um den hämo­statischen Verschluss zu generieren, die Blut­stillung“, erklärt Juliane Baumann, deren Arbeit im Projekt ihre Dissertation umfasst. „Nachdem wir neue bio­physikalische Methoden für die Kraftmessungen etabliert haben, konnten wir sehen, dass das Zellskelett in seiner Funktion, Kräfte auszuüben, eingeschränkt ist. Die Punkt­mutation im MYH9-Gen beeinträchtigt die Funktion des Myosin IIA, welches in Thrombozyten ähnlich wie in einem Muskel die Kraft vermittelt“, ergänzt Raghavendra Palankar. Eine reduzierte Kraftausübung ist also verantwortlich für die erhöhte Blutungs­neigung bei Mutationen im MYH9-Gen. Die Gabe von Tranexam­säure wiederum kann den Defekt der Thrombozyten und die dadurch beeinträchtigte hämostatische Funktion durch eine Stabilisierung der Fibrin­struktur aufheben.

„Damit haben wir die Aufgabe in diesem Verbund­projekt, eine Plattform zu entwickeln, um Thrombozyten biophysikalisch zu charakterisieren, erfüllt. Darauf möchten wir gern aufbauen und versuchen zu verstehen, wie einzelne Medikamente und weitere Erkrankungen die Mechanik der Zelle beeinflussen können, resümiert Markus Bender. Raghavendra Palankar pflichtet ihm bei: „Die etablierten biophysikalischen Techniken können für eine Vielzahl von Forschungsuntersuchungen zu Thrombozyten-assoziierten Erkrankungen, Screening der Auswirkungen von Medikamenten und Pathogenen auf die Thrombozyten­mechanik verwendet werden.“

Uniklinik. Würzburg / DE

 

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