Haben Elektroautos ein Recycling-Problem?
Innovative Verfahren optimieren das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien.
Knirschend frisst sich die gezackte Metallwalze in die Batteriemodule, zermalmt die Kunststoffrahmen, schlitzt die silbernen Folien der Lithium-Polymer-Packs auf, zerfetzt alles zu kleinen Stücken. Am Ende bleibt ein feines Pulver. Wirft man es nacheinander in mehrere Säurebäder, dann entstehen Salze und Oxide, aus denen neue Antriebsbatterien gebaut werden können. Das Schreddern von Lithium-Ionen-Batterien hat man bis vor Kurzem noch nicht sehen können. Denn diese Akkus sind normalerweise brennbar. Ein kleines bisschen elektrische Spannung, ein Funke genügt, und das ganze Material geht in Flammen auf. Die deutsche Firma Duesenfeld entlädt die Akkus daher vollständig und flutet den luftdicht abgeschirmten Schredder mit Stickstoff. Die brennbare Elektrolytflüssigkeit wird verdampft und abgepumpt, bevor das Pulver entnommen wird. Auf diese Weise sind 96 Prozent aller Materialien wiederverwertbar.
Etwa 40.000 Elektroautos und Plug- in-Hybride mit Lithium-Ionen-Akkus fahren derzeit allein auf Schweizer Straßen – knapp ein Prozent der gesamten Fahrzeugflotte. Doch es werden rasch mehr. In den ersten drei Monaten des Jahres 2019 stieg der Anteil an den Neuzulassungen bereits auf 5,3 Prozent. Und das ist nur der Anfang: Eine ganze Reihe leistungsfähiger Elektroautos kommt erst dieses Jahr auf den Markt: Audi e-tron, Mercedes EQC, Peugeot e-208. Sie treffen auf das Tesla Model 3, das die Zulassungsstatistiken seit März anführt. 2020 wird der VW-Konzern sein erstes elektrisches Massen-Automobil anbieten, den VW iD.3. Höchste Zeit also, sich Gedanken zu machen, was mit den Antriebsbatterien passiert, wenn diese Autos verunfallen oder am Ende ihres Lebens verschrottet werden.
Schon 2018 wandten sich die Schweizer Auto-Importeure an die Empa, um die Eckpunkte eines Recyclingsystems für Antriebsbatterien zu bestimmen. Schon zuvor hatte das Forschungszentrum zum Beispiel die Swico beraten, die sich ums Recyclen elektronischer Geräte und von Computertechnik kümmert. Doch anders als bei Elektronikprodukten wird für Autos bislang kein vorgezogener Recyclingbeitrag erhoben. So wird in der Schweiz eine Branchenlösung angestrebt. Der Empa-Forscher Rolf Widmer und seine Kollegen arbeiten seit März 2019 gemeinsam mit der Stiftung Auto-Recycling an diesem Projekt. Sie analysieren Recyclingsysteme in Nachbarländern, untersuchen die Kosten und den ökologischen Fußabdruck und stellen Modellrechnungen an, um die künftig anfallenden Mengen alter Akkus abschätzen und die passende Strategie empfehlen zu können.
Die meisten Lithium-Ionen-Batterien werden bislang nicht kalt geschreddert, wie bei der eingangs erwähnten Methode der Firma Duesenfeld, sondern in einem Ofen verbrannt und anschließend vermahlen. Marktführer dabei ist die belgische Firma Umicore. Bei der heißen Verwertung schmelzen die dünnen Kupferfolien der Batterie und bilden gemeinsam mit Kobalt und Nickel eine Legierung, die wiederverwertet werden kann. Das Lithium, das Graphit, der flüssige Elektrolyt und das Aluminium in der Batterie verbrennen jedoch und landen in der Schlacke. Sie sind für eine wirtschaftliche Weiterverwendung verloren.
Neben der heißen Umicore-Verwertung und dem kalten Schreddern unter Schutzgas gibt es indes noch andere automatisierte Zerlegemethoden. Die Batrec Industrie AG, ein Schweizer Batterieverwertungsspezialist, schreddert manche Akkus in nassem Milieu, um Brände zu vermeiden. Die Empa-Experten werden all diese Methoden vergleichen.
Bei der Suche nach dem besten Recyclingsystem geht es jedoch nicht nur um die Zerkleinerung allein, sondern auch um den Aufbau einer Lieferkette. „Antriebsbatterien von Unfallfahrzeugen können unvermittelt brennen und müssen bis jetzt als Gefahrgut in speziellen Behältern transportiert werden“, erläutert Daniel Christen, Geschäftsführer der Stiftung Auto-Recycling Schweiz. „Das ist aufwändig und teuer.“ Christen sucht nach einer günstigeren Lösung, um Batterien zu „entschärfen“ und zum Entsorgungsbetrieb zu liefern. Ansätze dazu gibt es bereits: Die Firma Blubox Trading AG in Birrwil etwa importiert die „Firebox“ eines holländischen Herstellers. Die Firebox ist ein Frachtcontainer mit eingebauter Feuerlöschanlage, die ein ganzes Auto oder eine größere Ladung noch nicht „entschärfter“ Akkus aufnehmen kann.
Und nicht zuletzt die Spediteure und die Autoverwerter müssen geschult werden, damit alte Elektroautos nicht gefährlich werden. Schon heute existiert eine Datenbank für Rettungskräfte, die genau diese Informationen bereithält: Auf einem Tablet gibt der Feuerwehrmann die Nummer des Kontrollschilds ein und erfährt, ob er ein Elektroauto vor sich hat und auf welche Weise er die Batterie vom Stromnetz des Wagens trennen muss. Mit den gleichen Informationen liessen sich Elektroautos auch auf gefahrlose Art zerlegen.
Dennoch bleiben viele offene Fragen, die vor dem Aufbau eines Recyclingsystems beantwortet werden müssen. Wie entwickelt sich der Markt für gebrauchte Antriebsbatterien? Wird es sich dereinst lohnen, ausgepowerte Akku-Pakete mit neuen Modulen zu versehen und wieder in den Verkauf zu bringen – ähnlich wie Austauschmotoren oder -getriebe? Oder können aus Antriebsbatterien in einem zweiten Leben stationäre Solarstromspeicher werden? Kommt die große Welle an verbrauchten Akkus daher vielleicht mit Verzögerung auf die Recyclingbetriebe zu? Werden die Autohersteller die meisten Antriebsbatterien einsammeln und selber verwerten? Vieles wird von den Marktpreisen der Rohstoffe abhängen, vom Preis für Lithium, Kobalt, Nickel und Graphit, vom Preis und der Leistung neuer Akkus, aber auch von der Politik, die die Rahmenbedingungen setzt und Vorschriften erlässt.
Insgesamt stllen Elektroautos kein Recyclingproblem dar. Für sämtliche Schritte des Verwertungsprozesses zeichnen sich technische Lösungen ab. Und eine Reihe von Spezialisten arbeitet bereits daran, diese Lösungen in die Praxis umzusetzen.
Empa / JOL