01.04.2016

Heißer als erlaubt

Temperatur in Jets supermassereicher schwarzer Löcher höher als von theoretischen Modellen vorhergesagt.

Im Rahmen von RadioAstron ist es mit einem 10-Meter-Radioteleskop an Bord des russischen Weltraum­satelliten Spektr-R gelungen, einen hoch­aufgelösten Blick auf die Zentralregion des Quasars 3C 273 bei 18, 6 und 3 Zentimeter Wellenlänge zu erhalten. Diese bahn­brechenden Beobachtungen gelangen mit vier der größten Radio­teleskope der Erde, darunter das 100-Meter-Radioteleskop Effelsberg. Sie ermöglichen eine vorher nicht erreichte Empfindlichkeit für Radio­strahlung bis zu einer Winkel­auflösung von nur 26 Mikro­bogen­sekunden. Die Auflösung wurde durch die Kombination der Radiosignale aller beteiligten Teleskope erreicht, entsprechend einem virtuellen Radio­teleskop von fast achtfachem Erd­durchmesser.

Abb.: Ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum wird von einer umgebenden Gas- und Staubscheibe mit Materie „gefüttert”. (künstlerische Darstellung, Bild: W. Steffen, UNAM, Mexico)

In den Zentren von massereichen Galaxien sitzen super­massereiche schwarze Löcher mit millionen- bis milliarden­facher Masse unserer Sonne. Diese schwarzen Löcher bilden den Motor für energie­reiche Materie­strahlen oder Jets, deren Abstrahlung oft die von sämtlichen Sternen in der Galaxie zusammen­genommen übertrifft. Aber es gibt eine physikalische Grenze für die Gesamt­helligkeit der Jets: Wenn die Elektronen eine Temperatur von rund 100 Milliarden Grad übersteigen, entsteht eine Wechsel­wirkung mit ihrer eigenen Abstrahlung, wobei Röntgen- und Gamma­strahlen gebildet werden und das Ganze sehr schnell abkühlt.

Im Fall der aktuellen Radiobeobachtungen des Quasars 3C 273 scheint eine verblüffende Verletzung dieses lange akzeptierten theoretischen Grenzwerts aufzutreten. „Wir messen eine Effektiv­temperatur von mehr als 10 Billionen Grad im Zentral­bereich dieses Quasars“, sagt Yuri Kovalev vom Astro Space Center des Lebedev-Physikinstituts in Moskau, der RadioAstron-Projekt­wissenschaftler. „Dieses Ergebnis stellt eine große Heraus­forderung für unsere derzeitigen Annahmen dar, wie relativistische Jets in Quasaren ihre Energie abstrahlen.“

Um diese Ergebnisse zu erhalten, hat das Forscher­team Beobachtungen mit dem Weltraum-Interferometer RadioAstron durchgeführt. Dieses Instrument besteht aus einem Radio­teleskop auf einer Umlauf­bahn um die Erde, das mit einigen der größten Radio­teleskope auf der Erde verbunden wird: dem 100-Meter-Radio­teleskop Effelsberg, dem 110-Meter-Green-Bank-Radioteleskop, dem 300-Meter-Arecibo-Teleskop sowie den Radio­antennen des „Very Large Array“ (VLA) in den USA. Im Inter­ferometrie­betrieb zusammen­geschaltet, erreichen diese Observatorien die höchste direkte Winkel­auflösung überhaupt in der Astronomie, einige Tausend Mal höher als die des Hubble-Teleskops in optischen Wellenlängen. Die Spektr-R Antenne von RadioAstron befindet sich auf einer elliptischen Umlauf­bahn um die Erde, auf der sie im Apogäum einen maximalen Erd­abstand von 350.000 km erreicht. Das entspricht einem virtuellen Radio­teleskop mit bis zu 27-fachem Erd­durchmesser.

Abb.: Künstlerische Darstellung des 10-Meter-Weltraum-Radioteleskops an Bord des russischen Spektr-R Satelliten, der die Weltraumkomponente des RadioAstron-Projekts darstellt. (Bild: Astro Space Center of Lebedev Physical Institute)

„RadioAstron hat so extreme hohe Strahlungs­temperaturen bereits in einer ganzen Reihe von Objekten gemessen hat, darunter auch wie erst kürzlich berichtet im Galaxienkern von BL Lacertae“, sagt Andrei Lobanov, der Koordinator der RadioAstron-Aktivitäten am Bonner Max-Planck-Institut für Radio­astronomie (MPIfR). „Das weist in der Tat darauf hin, dass wir neue physikalische Annahmen zur Erklärung der Energiequellen für die Strahlung in Quasaren benötigen.“

Aber die unglaublich hohen Temperaturen stellten nicht die einzige Überraschung bei der Analyse der RadioAstron-Mess­ergebnisse von 3C 273 dar. Das Forscherteam entdeckte noch einen weiteren Effekt, der bisher nie in einer extra­galaktischen Quelle sichtbar wurde: Das Radio­bild von 3C 273 zeigt Unter­strukturen, die vom Durchgang der Strahlung durch sehr stark verdünntes inter­stellares Plasma in unserer Milch­straße hervor­gerufen werden.

„So ähnlich wie ein Bild bei der Betrachtung durch die heiße turbulente Luft über einer Kerzen­flamme verzerrt wird, verzerrt auch das turbulente Plasma in unserer Milch­straße die Bilder von weit entfernten astro­physikalischen Quellen wie z.B. Quasaren“, erklärt Michael Johnson vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA), der Erstautor der Untersuchung über die Bild­verzerrungen. „Die Details in der Struktur des turbulenten Materials sind so kleinräumig, dass wir diese Verzerrungen vorher überhaupt nicht wahrnehmen konnten. Erst die erstaunlich hohe Winkel­auflösung von RadioAstron gibt uns ein Werkzeug in die Hand, um sowohl die extreme Physik in der unmittelbaren Umgebung von super­masse­reichen Schwarzen Löchern in den Zentren von fernen Galaxien zu erforschen als auch das diffuse Plasma in unserer Milchstraße.“

„Unser Forschungsteam ist schon sehr lange dabei, die VLBI-Technik auf Weltraum-Radioteleskope zu erweitern, um so Basislinien zu erhalten, die den Durchmesser der Erde bei weitem übertreffen”, schließt Anton Zensus, Direktor und Leiter der Forschungs­abteilung Astronomie/VLBI am MPIfR. „Die neuen Entdeckungen zu 3C 273 sind ein wunder­bares Beispiel für unsere erfolgreich Zusammenarbeit im Rahmen des RadioAstron-Projekts.”

MPIfR / DE

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