16.08.2024

Hitzedummy verbessert Büroklima

Sensortechnologie und mathematische Modelle weisen den Weg zur Wohlfühltemperatur.

Wenn die Sonne im Hochsommer erbarmungslos auf die Fassaden brennt, heizen sich Innenräume von Gebäuden mit unbeschat­teten Fenstern oder schlechter Isolation gnadenlos auf. Bringt selbst das offene Fenster keinen kühlenden Luftzug, beginnt es ab 26 Grad Raum­temperatur unangenehm zu werden. Steigt die Raum­temperatur noch weiter, werden sogar körperlich wenig anstrengende Tätigkeiten wie Büroarbeiten zur Belastung. Ventilatoren und Klima­anlagen laufen heiß. Empa-Forscherin Agnes Psikuta hat sich deshalb vorgenommen, belastbare Daten zum Raumklima am Arbeits­platz zu generieren. Ihr Ziel: Gebäude deutlich nachhaltiger klimatisieren – und dabei gleichzeitig die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Menschen erhalten. Ihre Arbeitskollegen sind ANDI und HVAC, smarte Dummys, die das Raumklima vermessen. Sie erkennen dank Sensortechnologie und mathematischer Modellierung wie Arbeits­plätze nachhaltig auf Wohlfühltemperatur gebracht werden können.

Abb.: Agnes Psikuta positioniert den Dummy HVAC für die Datenmessung in der...
Abb.: Agnes Psikuta positioniert den Dummy HVAC für die Datenmessung in der Klimakammer.
Quelle: Empa

Der futuristisch anmutende HVAC, kurz für „Heating, Ventilation, Air Conditioning», ist gut ausgerüstet: Mit Sensoren für Lufttemperatur, Feuchtigkeit und Luftbewegung allein ist es indes nicht getan. Insgesamt 46 Messfelder durchbrechen die Kunststoff­schale des Manikins, mit denen er die Wärmestrahlung aus der Umgebung quanti­fiziert und beispiels­weis“ Sonnenwärme von Heizungsluft unterscheiden kann. Sein Partner ANDI ergänzt HVACs Daten optimal: „ANDI ist der Typ für das große Ganze, er nimmt die Wärmebilanz auf, die ein Mensch unter den gegebenen Bedingungen hat“, erklärt Agnes Psikuta vom Biomimetic Membranes and Textiles-Labor der Empa in St. Gallen. 

Hierzu hält ANDI seine Betriebs­temperatur konstant auf 34 Grad, was der Haut­temperatur eines Menschen in der Komfortzone entspricht. Komfortzone bedeutet hierbei, dass der Körper eines gesunden Erwachsenen seine Kern­temperatur von 36.5-37.5 mit minimalstem Aufwand konstant halten kann. „In der Komfortzone schwitzt der Mensch nicht, er zittert nicht vor Kälte und friert nicht an Händen und Füssen, weil er seine thermische Balance mit Leichtigkeit aufrecht­erhalten kann“, sagt die Forscherin.

Die mathe­matische Modellierung dieser kombi­nierten Daten ergibt schließlich ein virtuelles thermisches Modell eines Menschen am Arbeitsplatz. Nun untersucht Agnes Psikuta gemeinsam mit Partner­instituten an der EPFL und der polnischen Silesian University of Technology wie HVAC und ANDI mit den Parametern von realen Bürobedingungen im Jahreszeit­verlauf zurechtkommen. Am Ende soll es möglich sein, aufgrund dieser Arbeiten den Energiebedarf von Gebäuden zu optimieren. 

„Im Hochsommer laufen Klimaanlagen auf Hochtouren, um beispiels­weise Großraumbüros komplett zu kühlen. Wie effektiv die Situation für den jeweiligen Arbeitsplatz ist, ist aber unklar“, so die Forscherin. Bauliche Elemente direkt am Arbeitsplatz wie kühlende Wandpaneele oder ventilierte Bürostühle könnten für energie­sparendere und effizientere Lösungen sorgen. Gleiches könnte sich für die winterliche Heizperiode ergeben: HVAC und ANDI könnten ermitteln, ob etwa eine Raum­temperatur von 17 Grad ausreicht, wenn der Arbeits­platz lokal auf 22 Grad beheizt ist. 

Die beiden Manikins sind jedoch auch in ganz anderen Situationen im Einsatz – und zwar auf dem OP-Tisch. Während eines mehrstündigen chirur­gischen Eingriffs ist es wichtig, dass der Körper des Patienten nicht zu stark auskühlt, während die Chirurgin nicht ins Schwitzen kommen darf. Verliert der Patient zu viel Wärme, steigt das Risiko für Kompli­kationen und die Heilungs­chancen verschlechtern sich. „Bisherige Möglichkeiten, den Patienten warm genug zu halten, bestehen allerdings aus wenig nachhaltigen Einweg­lösungen oder umständlichen, schwer desinfizier­baren Aufbauten“, sagt Psikuta.

In einem Projekt mit der Technischen Universität Warschau ermitteln HVAC und ANDI daher, wie leicht zu desin­fizierende Infrarot­lampen im OP-Saal positioniert werden müssten, ohne die komplexen räumlichen Gegebenheiten während des Eingriffs zu behindern. Außerdem darf die Wärmestrahlung nicht das Gesundheits­personal aufheizen oder gar Haut­verbrennungen beim Patienten hervorrufen. Während HVAC mit seiner dichten Matrix an Sensoren den Wärmefluss von der Lampe zum Körper misst, berechnet ANDI die gesamte Wärmebilanz eines Patienten inklusive der aktuellen Raum­temperatur. „Mit den modellierten Daten soll die Position und Leistung der Wärme­lampen für verschiedenste Situationen ermittelt werden“, sagt die Forscherin. „So hoffen wir, ideale Operations­bedingungen ohne Risiko einer Unter­kühlung schaffen zu können.“

Empa / JOL

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