Hütchenspiel im Mikrokosmos
Wie Atome sich durch Austausch ihrer Positionen ununterscheidbar machen.
Stellen Sie sich vor, Sie schauen bei einem Hütchenspiel zu – und zwar bei einer ganz einfachen Variante: Ihr Spielpartner ist kein gewiefter Trickbetrüger, sondern grundehrlich. Und auf dem Tisch vor ihm stehen keine drei Becher, sondern nur zwei. Diese sind aus schwarzem Plastik und sehen sich so verflixt ähnlich, dass Sie sie beim besten Willen nicht auseinanderhalten können. Ihr Mitspieler beginnt nun, beide Gefäße hin und her zu schieben. Er ist ebenso schnell wie geschickt. Dennoch gelingt es Ihnen mit ein wenig Konzentration, seinen Rochaden zu folgen. Am Ende können Sie korrekt angeben, welcher der Becher ursprünglich links gestanden hatte und welcher rechts.
Was aber wäre passiert, wenn Sie sich beim Verschieben der Hütchen hätten umdrehen müssen? In diesem Fall hätten Sie wohl raten müssen: Für Sie sehen beide Becher schließlich völlig identisch aus. Natürlich sind sie das nicht wirklich: Becher 1 bleibt Becher 1, egal wie häufig er mit Becher 2 seinen Platz wechselt. In der Welt der kleinsten Dinge lassen sich aber Experimente durchführen, bei denen die Sache mit der Identität nicht so klar ist. Ein solches Hütchenspiel im Mikrokosmos haben jetzt Forscher der Uni Bonn zusammen mit Kollegen aus Österreich und den USA vorgeschlagen.
Die Stelle der Becher übernehmen in diesem Fall zwei Atome, die sich in exakt demselben atomaren Zustand befinden. „Derartige Atome lassen sich mit heutiger Technik herstellen“, erklärt Dieter Meschede von der Uni Bonn. „Sie sind tatsächlich vollkommen gleich und unterscheiden sich lediglich durch die Position, an der sie sich befinden.“ Als Hütchenspieler in der Welt der Atome hat man gewisse Freiheiten. Dort gibt es zum Beispiel das quantenmechanische Phänomen, dass sich Teilchen zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten aufhalten können. Durch eine trickreiche Nutzung dieses Effekts lässt sich erreichen, dass Atom 1 und Atom 2 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ihre Plätze tauschen, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommt.
Anders gesagt: Nach dem Experiment weiß der Betrachter nicht, ob Atom 1 tatsächlich noch Atom 1 ist oder aber gegen Atom 2 getauscht wurde. Herkömmliche Becher könnte man anhand winzigster Unterschiede – zum Beispiel einer mikroskopisch kleinen Delle – immer noch sicher unterscheiden. Für identisch präparierte Atome gilt das nicht: Sie sind exakt gleich. „Nach dem Experiment lässt sich daher nicht mehr – in welcher Form auch immer – herausfinden, welches von beiden Atom 1 ist und welches Atom 2“, erklärt Andrea Alberti von der Uni Bonn. Das hat auch philosophische Konsequenzen. Dem deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz wird die Erkenntnis zugeschrieben, dass zwei Objekte dann identisch sind, wenn sich zwischen ihnen kein Unterschied feststellen lässt. In diesem Sinne ist bei den vertauschten Atomen ein Teil ihrer Individualität verloren gegangen: Sie sind zwei, und doch sind sie irgendwie eins.
Erstaunlicherweise sind die beiden nach dem Ortswechsel zudem miteinander verschränkt: Bestimmte Eigenschaften beider Teilchen wie der Spin hängen nun voneinander ab. Beobachtet man den Spin von Atom 1, so hat man sofort den Spin von Atom 2 ebenfalls bestimmt. „Das ist, als würde man unabhängig voneinander zwei Münzen werfen“, erläutert Alberti. „Wenn die eine Kopf zeigt, muss das auch für die andere gelten.“
Die Forscher arbeiten zurzeit daran, diesen theoretischen Vorschlag in der Praxis umzusetzen. Das Experiment lässt sich in abgewandelter Form auch mit anderen Teilchen durchführen, zum Beispiel mit Ionen – einen Weg, den ihre Kollegen aus Österreich gehen wollen. „Wir erwarten uns von diesen Versuchen, in denen wir exakt zwei Quantenteilchen sehr präzise kontrollieren, neue Erkenntnisse über das fundamentale quantenmechanische Austauschprinzip“, hofft Alberti.
RFWU Bonn / RK