17.10.2017

Hütchenspiel im Mikrokosmos

Wie Atome sich durch Austausch ihrer Positionen un­unter­scheid­bar machen.

Stellen Sie sich vor, Sie schauen bei einem Hütchenspiel zu – und zwar bei einer ganz ein­fachen Variante: Ihr Spiel­partner ist kein gewiefter Trick­betrüger, sondern grund­ehrlich. Und auf dem Tisch vor ihm stehen keine drei Becher, sondern nur zwei. Diese sind aus schwarzem Plastik und sehen sich so ver­flixt ähn­lich, dass Sie sie beim besten Willen nicht aus­ein­ander­halten können. Ihr Mit­spieler beginnt nun, beide Gefäße hin und her zu schieben. Er ist ebenso schnell wie geschickt. Dennoch gelingt es Ihnen mit ein wenig Konzen­tra­tion, seinen Rochaden zu folgen. Am Ende können Sie korrekt angeben, welcher der Becher ursprüng­lich links gestanden hatte und welcher rechts.

Was aber wäre passiert, wenn Sie sich beim Verschieben der Hütchen hätten um­drehen müssen? In diesem Fall hätten Sie wohl raten müssen: Für Sie sehen beide Becher schließ­lich völlig iden­tisch aus. Natür­lich sind sie das nicht wirk­lich: Becher 1 bleibt Becher 1, egal wie häufig er mit Becher 2 seinen Platz wechselt. In der Welt der klein­sten Dinge lassen sich aber Experi­mente durch­führen, bei denen die Sache mit der Iden­tität nicht so klar ist. Ein solches Hüt­chen­spiel im Mikro­kosmos haben jetzt Forscher der Uni Bonn zusammen mit Kollegen aus Öster­reich und den USA vor­ge­schlagen.

Die Stelle der Becher übernehmen in diesem Fall zwei Atome, die sich in exakt dem­selben atomaren Zustand befinden. „Der­artige Atome lassen sich mit heutiger Technik her­stellen“, erklärt Dieter Meschede von der Uni Bonn. „Sie sind tat­säch­lich voll­kommen gleich und unter­scheiden sich ledig­lich durch die Posi­tion, an der sie sich befinden.“ Als Hütchen­spieler in der Welt der Atome hat man gewisse Frei­heiten. Dort gibt es zum Beispiel das quanten­mecha­nische Phänomen, dass sich Teil­chen zur selben Zeit an zwei ver­schie­denen Orten auf­halten können. Durch eine trick­reiche Nutzung dieses Effekts lässt sich erreichen, dass Atom 1 und Atom 2 mit einer gewissen Wahr­schein­lich­keit ihre Plätze tauschen, ohne dass irgend­jemand etwas davon mit­be­kommt.

Anders gesagt: Nach dem Experiment weiß der Betrachter nicht, ob Atom 1 tat­säch­lich noch Atom 1 ist oder aber gegen Atom 2 getauscht wurde. Her­kömm­liche Becher könnte man anhand winzig­ster Unter­schiede – zum Beispiel einer mikro­skopisch kleinen Delle – immer noch sicher unter­scheiden. Für iden­tisch präpa­rierte Atome gilt das nicht: Sie sind exakt gleich. „Nach dem Experi­ment lässt sich daher nicht mehr – in welcher Form auch immer – heraus­finden, welches von beiden Atom 1 ist und welches Atom 2“, erklärt Andrea Alberti von der Uni Bonn. Das hat auch philo­so­phische Konse­quenzen. Dem deutschen Philo­sophen Gott­fried Wilhelm Leibniz wird die Erkennt­nis zuge­schrieben, dass zwei Objekte dann iden­tisch sind, wenn sich zwischen ihnen kein Unter­schied fest­stellen lässt. In diesem Sinne ist bei den ver­tauschten Atomen ein Teil ihrer Indivi­dua­lität ver­loren gegangen: Sie sind zwei, und doch sind sie irgend­wie eins.

Erstaunlicherweise sind die beiden nach dem Ortswechsel zudem mit­ein­ander ver­schränkt: Bestimmte Eigen­schaften beider Teil­chen wie der Spin hängen nun von­ein­ander ab. Beob­achtet man den Spin von Atom 1, so hat man sofort den Spin von Atom 2 eben­falls bestimmt. „Das ist, als würde man unab­hängig von­ein­ander zwei Münzen werfen“, erläutert Alberti. „Wenn die eine Kopf zeigt, muss das auch für die andere gelten.“

Die Forscher arbeiten zurzeit daran, diesen theore­tischen Vor­schlag in der Praxis umzu­setzen. Das Experi­ment lässt sich in abge­wandelter Form auch mit anderen Teil­chen durch­führen, zum Beispiel mit Ionen – einen Weg, den ihre Kollegen aus Öster­reich gehen wollen. „Wir erwarten uns von diesen Ver­suchen, in denen wir exakt zwei Quanten­teil­chen sehr präzise kon­trol­lieren, neue Erkennt­nisse über das funda­mentale quanten­mecha­nische Aus­tausch­prinzip“, hofft Alberti.

RFWU Bonn / RK

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