05.03.2024

Im Nanokanal wird Abwärme zu Strom

Neue Variante des thermoelektrischen Effekts identifiziert.

Die Abwärme von Industrieanlagen, Rechenzentren und Gebäuden, von Kühlschränken, Smartphones und anderen elek­tronischen Geräten ist eine bislang kaum genutzte Quelle für die saubere Strom­erzeugung. Das Problem: Abwärme, die keine einhundert Grad heiß ist, lässt sich bislang nicht effizient verwerten. Das könnte sich zukünftig ändern, denn Steffen Hardt von der TU Darmstadt und Leiter des Fachgebiets Nano- und Mikrofluidik, hat zusammen mit seinem Mit­arbeiter Rajkumar Sarma einen neuen Mechanismus identi­fiziert, der Wärme in elektrische Energie umwandelt.

Abb.: In dem Kanal mit der Salzlösung schwimmen die positiven und negativen...
Abb.: In dem engen Kanal mit der hochkonzentrierten Salzlösung schwimmen die positiven und negativen Ionen des Salzes teils frei umher, teils bilden sie ladungsneutrale Cluster. Die Clusterbildung hängt von der Temperatur ab. Genau das lässt sich für die Umwandlung von Wärme in Strom nutzen.
Quelle: TU Darmstadt

Die neuartige Energie­wandlung erfolgt in einem Material mit winzigen Nanokanälen, gefüllt mit einer hoch­konzentrierten Salzlösung. Ist eine Seite des Materials wärmer als die andere, kommt es zu einem thermo­elektrischen Effekt. Schon ein geringer Temperatur­gradient verursache in den Nanokanälen eine elektrische Spannung, die deutlich ausgeprägter sei, als es die etablierte Theorie erwarten lasse, sagt Hardt: „Mit unseren jetzt vorge­stellten Modell­rechnungen können wir die außergewöhnlich hohe elektrische Spannung erklären, die in einigen Experimenten nachgewiesen wurde.“

In dem engen Kanal mit der hochkonzen­trierten Salzlösung schwimmen die positiven und negativen Ionen des Salzes teils frei umher, teils bilden sie ladungs­neutrale Cluster. Die Cluster­bildung hängt von der Temperatur ab. Genau das lässt sich für die Umwandlung von Wärme in Strom nutzen, denn wird das mit der Salzlösung gefüllte Nanomaterial an einer Seite erwärmt, zerfallen dort die Cluster. Die frei­gesetzten Ladungen wandern zur kälteren Seite, um das Konzentrations­gefälle auszugleichen. Dieser Ladungs­transport durch den Nanokanal geht einher mit einer hohen elektrischen Spannung. 

Die Wissenschaftler untersuchen derartige Phänomene rein theoretisch. Sie kooperieren im Rahmen des EU-Projektes Translate aber mit experimentell arbeitenden Forschungs­gruppen. So hat ein Team vom University College Cork den Effekt sowohl in einem Material aus oxidiertem Aluminium untersucht als auch in einer Substanz auf Basis von Zellulose, dem Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden. Beide Materialien besitzen die für die Energie­wandlung entscheidenden Nanokanäle. „Am vielver­sprechendsten waren die Experimente mit Zellulose“, sagt Hardt. Als nachwachsender und reichlich verfügbarer Rohstoff bietet das natürliche Material viele Vorteile. Doch für Hardt und Sarma ist es aufgrund seiner ungeordneten Struktur eine Heraus­forderung. Die Forscher erweitern jetzt ihr theoretisches Modell, um es mit den Ergebnissen aus Cork in Einklang zu bringen. 

Wann die Technik marktreif ist, kann Hardt noch nicht abschätzen: „Das Prinzip funktioniert, aber wir müssen den Wirkungsgrad steigern und ob das gelingt, hängt vor allem vom Material­design ab.“ An Ideen für die Anwendung mangelt es den Forschenden indes nicht. Ihnen schwebt zum Beispiel eine Fassaden­verkleidung aus einem Nanomaterial vor, das einen Teil der Abwärme eines Gebäudes in Strom verwandelt. Noch ist das zwar eine kühne Vision, aber sie sollte verfolgt werden, denn aktuell verteilen sich geschätzte siebzig Prozent der von Kraftwerken produ­zierten und von Haushalten sowie Industrie genutzten Energie als Abwärme in der Atmosphäre. Diese Verschwendung können wir uns nicht länger leisten.

TU Darmstadt / JOL

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