Im Nanokanal wird Abwärme zu Strom
Neue Variante des thermoelektrischen Effekts identifiziert.
Die Abwärme von Industrieanlagen, Rechenzentren und Gebäuden, von Kühlschränken, Smartphones und anderen elektronischen Geräten ist eine bislang kaum genutzte Quelle für die saubere Stromerzeugung. Das Problem: Abwärme, die keine einhundert Grad heiß ist, lässt sich bislang nicht effizient verwerten. Das könnte sich zukünftig ändern, denn Steffen Hardt von der TU Darmstadt und Leiter des Fachgebiets Nano- und Mikrofluidik, hat zusammen mit seinem Mitarbeiter Rajkumar Sarma einen neuen Mechanismus identifiziert, der Wärme in elektrische Energie umwandelt.
Die neuartige Energiewandlung erfolgt in einem Material mit winzigen Nanokanälen, gefüllt mit einer hochkonzentrierten Salzlösung. Ist eine Seite des Materials wärmer als die andere, kommt es zu einem thermoelektrischen Effekt. Schon ein geringer Temperaturgradient verursache in den Nanokanälen eine elektrische Spannung, die deutlich ausgeprägter sei, als es die etablierte Theorie erwarten lasse, sagt Hardt: „Mit unseren jetzt vorgestellten Modellrechnungen können wir die außergewöhnlich hohe elektrische Spannung erklären, die in einigen Experimenten nachgewiesen wurde.“
In dem engen Kanal mit der hochkonzentrierten Salzlösung schwimmen die positiven und negativen Ionen des Salzes teils frei umher, teils bilden sie ladungsneutrale Cluster. Die Clusterbildung hängt von der Temperatur ab. Genau das lässt sich für die Umwandlung von Wärme in Strom nutzen, denn wird das mit der Salzlösung gefüllte Nanomaterial an einer Seite erwärmt, zerfallen dort die Cluster. Die freigesetzten Ladungen wandern zur kälteren Seite, um das Konzentrationsgefälle auszugleichen. Dieser Ladungstransport durch den Nanokanal geht einher mit einer hohen elektrischen Spannung.
Die Wissenschaftler untersuchen derartige Phänomene rein theoretisch. Sie kooperieren im Rahmen des EU-Projektes Translate aber mit experimentell arbeitenden Forschungsgruppen. So hat ein Team vom University College Cork den Effekt sowohl in einem Material aus oxidiertem Aluminium untersucht als auch in einer Substanz auf Basis von Zellulose, dem Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden. Beide Materialien besitzen die für die Energiewandlung entscheidenden Nanokanäle. „Am vielversprechendsten waren die Experimente mit Zellulose“, sagt Hardt. Als nachwachsender und reichlich verfügbarer Rohstoff bietet das natürliche Material viele Vorteile. Doch für Hardt und Sarma ist es aufgrund seiner ungeordneten Struktur eine Herausforderung. Die Forscher erweitern jetzt ihr theoretisches Modell, um es mit den Ergebnissen aus Cork in Einklang zu bringen.
Wann die Technik marktreif ist, kann Hardt noch nicht abschätzen: „Das Prinzip funktioniert, aber wir müssen den Wirkungsgrad steigern und ob das gelingt, hängt vor allem vom Materialdesign ab.“ An Ideen für die Anwendung mangelt es den Forschenden indes nicht. Ihnen schwebt zum Beispiel eine Fassadenverkleidung aus einem Nanomaterial vor, das einen Teil der Abwärme eines Gebäudes in Strom verwandelt. Noch ist das zwar eine kühne Vision, aber sie sollte verfolgt werden, denn aktuell verteilen sich geschätzte siebzig Prozent der von Kraftwerken produzierten und von Haushalten sowie Industrie genutzten Energie als Abwärme in der Atmosphäre. Diese Verschwendung können wir uns nicht länger leisten.
TU Darmstadt / JOL