Intergalaktische Fütterung
Staudruck durch intergalaktisches Medium aktiviert galaktische Kerne.
Im Zentrum der meisten Galaxien sitzt vermutlich ein supermassereiches schwarzes Loch. Nicht nur die Bandbreite an Masse dieser schwarzen Löcher ist groß und reicht über mehrere Größenordnungen von einigen Millionen bis hin zu einigen Milliarden Sonnenmassen – auch ihre Aktivität kann sehr unterschiedlich ausfallen. Die meisten supermassereichen schwarzen Löcher führen ein recht beschauliches Leben im Zentrum ihrer Galaxie und verzehren nur hin und wieder einen Stern oder ein paar Gaswolken. Einige von ihnen sind jedoch hochgradig aktiv und fallen in die Kategorie „aktiver Galaxienkern“. Sie strahlen riesige Mengen an Energie ab und gehören zu den leuchtkräftigsten Objekten im All.
Abb.: 3D-Modell einer Galaxie mit Sternen (weiß) und gestautem Gas (rot), das langsam aus der Galaxie herausgezogen wird. Bild: C. Bellhouse, GASP Coll.)
Der Grund für die starke Strahlungsleistung aktiver Galaxienkerne liegt im Einfall hinreichend großer Materiemengen, die sich zunächst in Akkretionsscheiben sammeln, die sich bis zu etlichen hundert Lichtjahren erstrecken können. Warum einige Galaxien ihrem zentralen schwarzen Loch aber so viel Futter zuführen und andere nicht, ist bislang nur teilweise verstanden. Eine neue Untersuchung durch ein internationales Astronomenteam um Bianca Poggianti vom Observatorium der Universität Padua hat nun einen Mechanismus aufgedeckt, der dies offenbar effizient bewerkstelligt.
Eine Reihe unterschiedlicher Konstellationen kann zu aktiven galaktischen Kernen führen. Die Verschmelzung von größeren Galaxien kann besonders starke Aktivität verursachen, weil hierdurch die großen Gasmengen im Zentralbereich beider Galaxien durchmischt und abgebremst werden. Weniger starke aktive Galaxienkerne finden sich bei aneinander vorbeistreifenden Galaxien, bei denen die wechselseitigen Gezeitenkräfte den supermassereichen schwarzen Löchern zu Nachschub verhelfen. Poggianti und ihre Kollegen untersuchten jetzt ein bislang nur schlecht verstandenes System: Galaxien, deren Struktur durch den Staudruck im heißen, dichten, intergalaktischen Medium von Galaxienhaufen verformt wurde. Diese „quallenförmigen“ Galaxien, von denen insgesamt erst rund vierhundert bekannt sind, besitzen langgestreckte „Tentakel“ aus Gas und neugeborenen Sternen.
Dabei führt die schnelle Bewegung dieser Galaxien durch das intergalaktische Medium zu einem doppelten Effekt: Kurzfristig gesehen sorgt sie für Turbulenzen und thermische Instabilitäten in der betroffenen Galaxie, was den Kollaps von Molekülwolken bewirken kann und die Sternentstehungsrate erhöht. Langfristig entzieht es der Galaxie jedoch Gas und unterdrückt dadurch weitere Sterngeburten.
Die Astronomen machten ihre Beobachtungen im Rahmen des ESO-Programms GASP (Gas Stripping Phenomena in Galaxies with MUSE), das die Gas- und Sternenkinematik von nicht allzu weit entfernten Galaxien mit Hilfe des MUSE-
Offenbar hängt der Staudruck durch das intergalaktische Medium auch mit einer stark überdurchschnittlichen Aktivität in den Zentren der quallenförmigen Galaxien zusammen: Bei sechs der sieben Galaxien konnten die Forscher einen aktiven galaktischen Kern ausmachen, der sonst nur selten anzutreffen ist. Das ließ den Schluss zu, entweder müsse der Staudruck durch das externe Gas das Gas in der Galaxienscheibe dem zentralen schwarzen Loch neues Futter zuführen oder der aktive galaktische Kern müsse umgekehrt zu einem erhöhten Gasverlust sorgen. Das wäre dadurch möglich, dass die Energie, die das supermassereiche schwarze Loch in seine Galaxie pumpt, den Verlust größerer Gasmengen begünstigt. Es könnten aber natürlich auch beide Arten von Kausalität auftreten.
Um dies aufzuklären, analysierten die Forscher die Geschwindigkeitsverteilung der Galaxien im Galaxienhaufen. Die einzige nicht aktive der sieben Galaxien war zugleich die langsamste, während die anderen sich anscheinend noch in der Phase der ersten Bewegung hinein in den Galaxienhaufen befanden: Ein starkes Indiz dafür, dass der Staudruck das aktive galaktische Zentrum befeuert und nicht umgekehrt. Das ist auch in Einklang mit hydrodynamischen Simulationen, denen zufolge nichtrotierende Gasmassen des intergalaktischen Mediums die Rotationsbewegung von galaktischem Gas abbremsen können und es auf eine spiralförmige Bahn in Richtung Galaxienzentrum bringen können. Gegenwärtig lässt sich aber auch nicht ausschließen, dass umgekehrt auch die aktiven Galaxienkerne den Gasverlust beschleunigen, was auf ein interessantes Wechselspiel in diesen eigenwillig geformten Galaxien hinweisen würde. Simulationen hierzu stehen noch aus.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
RK