09.10.2018

Ist dunkle Energie überhaupt erlaubt?

Neue Vermutung scheint die String­theorie aus den Angeln zu heben.

In der Stringtheorie könnte ein Umbruch bevorstehen. Im Juni veröffent­lichte ein Team von String­theoretikern von der Harvard Univer­sity und dem Caltech eine revo­lutionär klingende Ver­mutung: Die String­theorie soll mit der Existenz von dunkler Energie, wie sie bisher ver­standen wurde, grund­sätz­lich unver­einbar sein – doch nur mit dunkler Energie kann man heute die beschleu­nigte Expan­sion des Univer­sums erklären. Timm Wrase von der TU Wien erkannte rasch, dass an dieser Ver­mutung etwas nicht stimmen kann: Es dürfte sonst näm­lich auch kein Higgs-Teil­chen geben. Seine Berech­nungen führte er zusammen mit Theore­tikern von der Columbia Univer­sity in New York und der Uni Heidel­berg durch. Die plötz­lich ent­fachte Diskus­sion über Strings und dunkle Energie soll nun der Forschung einen neuen Ruck ver­leihen, hofft Wrase.

In die Stringtheorie werden große Hoffnungen gesetzt: Sie soll erklären, wie Gravi­ta­tion mit Quanten­physik zusammen­hängt, und wie die Natur­gesetze zu ver­stehen sind, mit denen man die gesamte physi­ka­lische Welt beschreiben kann, von den klein­sten Teil­chen bis zur größten Struktur des Kosmos. Oft wird der String­theorie vor­ge­worfen, bloß mathe­matisch-abstrakte Ergeb­nisse zu liefern und zu wenige Vor­her­sagen zu treffen, die sich im Experi­ment tat­säch­lich unter­suchen lassen. Nun aller­dings disku­tiert die String­theorie-Commu­nity auf der ganzen Welt eine heiße Frage, die mit kosmischen Experi­menten eng zusammen­hängt: Es geht dabei um nichts Gerin­geres als die Expan­sion des Uni­versums. 2011 wurde der Physik-Nobel­preis für die Ent­deckung ver­geben, dass das Uni­versum nicht nur ständig größer wird, sondern dass sich diese Expan­sion auch noch ständig beschleu­nigt. Dieses Phänomen lässt sich nur erklären, wenn man eine zusätz­liche, bisher unbe­kannte dunkle Energie annimmt.

„Man dachte lange, dass sich eine solche dunkle Energie gut in das Konzept der String­theorie ein­bauen lässt“, sagt Wrase. Die String­theorie geht davon aus, dass es zusätz­liche, bisher unbe­kannte Teilchen­sorten gibt, die sich in Form von Feldern beschreiben lassen. Diese Felder haben einen Zustand mini­maler Energie „So lassen sich in der String­theorie auch Felder beschreiben, mit denen sich die dunkle Energie erklären ließe – sie befinden sich in einem lokalen Energie-Minimum, aber die Energie hat trotz­dem einen Wert, der größer als Null ist“, erklärt Wrase.

Doch Cumrun Vafa von der Harvard University, einer der renom­mier­testen String­theoretiker der Welt, ver­öffent­lichte am 25. Juni einen Artikel mit großer Spreng­kraft: Er stellte darin die Ver­mutung auf, dass solche schüssel­förmigen Felder mit posi­tiver Energie in der String­theorie gar nicht möglich sind. Wrase erkannte rasch die Trag­weite dieser Behaup­tung. „Wenn das stimmt, kann es die beschleu­nigte Expan­sion, wie wir sie uns bisher vor­ge­stellt haben, nicht geben“, sagt er. „Es müsste dann ein Feld mit ganz anderen Eigen­schaften geben, ver­gleich­bar mit einer leicht abschüs­sigen Ebene, auf der eine Kugel nach unten rollt und dabei poten­zielle Energie ver­liert.“ Dann würde sich der Betrag der dunklen Energie im Lauf der Zeit ändern und die beschleu­nigte Expan­sion des Uni­versums käme möglicher­weise eines Tages zum Still­stand. Die Gravi­ta­tion könnte dann die gesamte Materie wieder zusammen­ziehen und an einem Punkt ver­sammeln, ähn­lich wie zum Zeit­punkt des Urknalls.

Doch Wrase stellte fest, dass dieser Einwand auch nicht der Weis­heit letzter Schluss sein kann. „Die Ver­mutung von Vafa, die bestimmte Arten von Feldern ver­bietet, würde näm­lich auch Dinge ver­bieten, von denen wir wissen, dass es sie gibt“, erklärt er. Wrase konnte zeigen, dass auch das Higgs-Feld Eigen­schaften hat, die durch Vafas Ver­mutung eigent­lich ver­boten sein sollten – und das Higgs-Feld gilt als experi­men­tell gesicherte Tatsache, für seinen Nachweis wurde 2013 der Physik-Nobel­preis ver­geben. Seither Wrase seine Über­legungen publi­zierte, wird in der String­theorie-Commu­nity heftig darüber disku­tiert. „Diese Kontro­verse ist eine gute Sache für die String­theorie“, ist Wrase über­zeugt. „Plötz­lich haben viele Leute ganz neue Ideen, über die bisher ein­fach noch niemand nach­ge­dacht hatte.“

Wrase untersucht nun mit seinem Team, welche Felder die String­theorie zulässt und an welchen Punkten sie gegen Vafas Ver­mutung ver­stoßen. „Vielleicht führt uns das zu spannenden neuen Erkennt­nissen über die Natur der dunklen Energie – das wäre ein großer Erfolg“, hofft Wrase. Die Hypo­thesen, die dabei ent­stehen werden sich – zumin­dest teil­weise – schon bald experi­men­tell über­prüfen lassen: Die beschleu­nigte Expan­sion des Uni­versums wird in den nächsten Jahren nämlich genauer unter­sucht als je zuvor.

TU Wien / RK

 

 

 

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