10.02.2025

Versteckte Symmetrie in exotischen Kristallen

Plasmonen offenbaren quasikristalline Muster im vierdimensionalen Raum.

Kristalle sind hochsymmetrisch, doch Quasikristallen fehlen wichtige Symmetrieeigenschaften. Diese Festkörper geben Physikerinnen und Physikern Rätsel auf. Eine Forschungskollaboration zwischen dem Technion in Haifa, der Universität Duisburg-Essen und der Universität Stuttgart hat nun eines davon gelöst. Bei der Untersuchung kollektiver Elektronenschwingungen – Plasmonen – auf Goldoberflächen entdeckten die Wissenschaftler ein quasikristallines Muster. Angeregt durch frühere Plasmonen-Experimente suchten sie nach der fehlenden Symmetrie – und fanden sie im vierdimensionalen Raum.

Abb.: Projektion eines vierdimensionalen, regelmäßigen Kristalls auf eine...
Abb.: Projektion eines vierdimensionalen, regelmäßigen Kristalls auf eine zweidimensionale Ebene. Dort findet man eine fünfzählige quasikristalline Symmetrie.
Quelle: F. Sterl / Sterltech Optics

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Symmetrisch bedeutet, dass ein Muster mit sich selbst zur Deckung kommt, wenn man es um seine Kantenlänge oder ein Vielfaches davon verschiebt. Doch es gibt auch Muster, denen diese Translationssymmetrie fehlt – eine Mischung aus Ordnung und Chaos. Ein Beispiel dafür ist das Penrose-Parkett, das aus zweierlei rautenförmigen Kacheln besteht. In der Natur gibt es eine dreidimensionale Entsprechung: Quasikristalle, die zwar den Raum ausfüllen, aber keine Translationssymmetrie haben. Die Stuttgarter Physiker haben nun eine neue Art von Ordnung in einem Quasikristall entdeckt – diese existiert im vierdimensionalen Raum. Dies zeigt, dass höhere Raumdimensionen in der Physik von Quasikristallen eine reale Rolle spielen.

Das Team von Harald Giessen untersuchte Oberflächenplasmonen – kollektive Schwingungen von Elektronen auf einer Goldoberfläche – angeregt durch Laserlicht. Die Physiker gravierten nanometerdünne Kerben ins Gold, sodass sich die Plasmonen wie Wasserwellen überlagern und komplexe Muster entstehen. Mit speziellen Mikroskopieverfahren zeichneten sie diese Interferenzmuster auf, in Kooperation mit dem Team in Duisburg sogar deren zeitliche Entwicklung im Sub-Femtosekundenbereich. An jedem Punkt der Oberfläche lassen sich die Größe und Richtung der elektrischen Felder – die Feldvektoren – bestimmen. Diese bilden Wirbel, ähnlich wie Haarwirbel auf einem Kopf. 

Solche Wirbel haben eine topologische Ladung. Die Topologie fragt nach Gemeinsamkeiten von Formen, zum Beispiel sind eine Tasse mit Henkel und ein Autoreifen topologisch äquivalent, weil sie je ein Loch besitzen und ineinander umgeformt werden können. Die topologische Ladung der Oberflächenplasmonen im Experiment beschreibt, wie oft Feldvektoren sich um das Zentrum des Wirbels drehen, wenn man einmal um den Wirbel herumläuft. Die topologische Ladung bleibt konstant, ist also eine stabile Symmetrieeigenschaft der Plasmonen. Die Forscher zeigten, dass diese die topologische Ordnung von Skyrmionen annehmen, eine Art von Wirbeln, die sich wie Teilchen verhalten.

„Dann hatte ich die Idee, die nanometerdünnen Kerben in Form eines Fünfecks anzuordnen", sagt Giessen. Das ist ungewöhnlich, denn diese Symmetrie kommt in der Natur eigentlich nicht vor – zumindest nicht in gewöhnlichen Kristallen. Zur Überraschung der Forscher zeigten sich ähnliche Wirbelmuster wie zuvor. Die neuen Wirbel zeigten eine fünfzählige Symmetrie, die ein charakteristisches Merkmal von Quasikristallen ist. „Wir fragten uns, ob wir quasikristalline Skyrmionen gefunden haben", sagt Giessen. 

Doch das bestätigte sich nicht: Die Wirbel waren instabil und zeigten keine topologische Ladung. „Aus Frustration wollten wir schon aufgeben“, sagt Giessen. Stattdessen tauschten sich die Forschenden mit Fachkollegen weltweit aus. Guy Bartal und Shai Tsesses vom Technion in Haifa erkannten die Ähnlichkeit des Stuttgarter Plasmonen-Musters mit dem Penrose-Parkett. Dieses ist zwar in zwei Dimensionen unsymmetrisch. Doch der Physiker Dov Levine zeigte in den 1980er Jahren, dass es die Projektion eines symmetrischen vierdimensionalen Gitters ist, ähnlich wie der zweidimensionale Schatten eines dreidimensionalen Würfels. Die Symmetrie versteckt sich also in einer höheren Dimension.

Eine Hypothese besagt, dass Quasikristalle ebenfalls Projektionen von höherdimensionalen Gittern in den dreidimensionalen Raum sind, also auch eine versteckte Symmetrie aufweisen. Das brachte das Forscherteam um Giessen auf die Idee, die Suche nach der topologischen Ladung vom zweidimensionalen in den vierdimensionalen Raum zu verlagern. Tatsächlich wurden sie dort fündig: Sie fanden ein vierdimensionales Äquivalent zur topologischen Ladung – topologische Ladungsvektoren. Die Physiker entdeckten somit, dass Quasikristalle tatsächlich symmetrische Eigenschaften haben, die mit höheren Raumdimensionen verknüpft sind. 

„Das ist ein faszinierendes Ergebnis der Grundlagenforschung“, sagt Giessen. Über Anwendungen könne man nur spekulieren. Doch topologische Materialeigenschaften sind stabil und könnten im Quantencomputing helfen, das mit instabilen Qubits kämpft. Dass sich diese Eigenschaften in höheren, unsichtbaren Dimensionen verstecken, könnte für sichere Informationsspeicherung oder Kommunikation relevant sein.

U. Stuttgart / JOL

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