Jung, dynamisch, vielversprechend
Auf einem Workshop in Paris wurde im November 2011 eine aktualisierte Roadmap für die Astroteilchenphysik in Europa vorgestellt.
So jung die Astroteilchenphysik auch ist, so spektakulär sind die Entdeckungen, die dieses Gebiet an der Schnittstelle von Teilchenphysik, Astronomie und Kosmologie bislang hervorgebracht hat. Zu den Erfolgen der Astroteilchenphysik zählen u. a. die Entdeckung von Neutrino-Oszillationen, von solaren und Supernova-Neutrinos sowie zahlreicher hochenergetischer Gammaquellen. Zudem widmet sie sich fundamentalen Fragen nach Dunkler Materie und Dunkler Energie oder auch der Physik des Urknalls. Grund genug, um im Jahr 2007 eine erste Roadmap für dieses hochdynamische Feld herauszubringen und eineinhalb Jahre später sieben Schlüsselprojekte zu konkretisieren. Ende November hat das Roadmap-Komitee des europäischen Astroteilchen-Netzwerks Aspera nun eine aktualisierte Fassung vorgelegt. Neben der schnellen Entwicklung der Astroteilchenphysik galt es, auf die schwierige Finanzsituation zu reagieren, denn hatte die 2008er-Roadmap noch eine Verdopplung der Mittel für die Astroteilchenphysik am Ende der folgenden zehn Jahre gefordert, hat die Finanz- und Wirtschaftskrise dieses Ziel in vielen europäischen Ländern schnell wieder infrage gestellt.
Eine Neuerung ist die Unterscheidung in mittelgroße Projekte bis etwa 50 Millionen Euro und Großprojekte ab 100 Millionen. „Bei den mittelgroßen Projekten sind einige in vollem Schwung, vor allem die erweiterten Gravitationswellendetektoren“, sagt Christian Spiering, Physiker am DESY in Zeuthen und Vorsitzender des Roadmap-Komitees. Spiering ist überzeugt, dass es mit Advanced-LIGO, Advanced-Virgo und Geo-HF in den nächsten vier bis fünf Jahren gelingen wird, Gravitationswellen nachzuweisen. „In diesem Gebiet ist so viel Dynamik drin, die müssen wir unbedingt halten und dafür sorgen, dass Europa bei der Entdeckung vorne mitmischt“, unterstreicht Christian Spiering. Im Gegensatz zu der Roadmap von 2008 stellt die neue Fassung nicht das Einstein-Teleskop (ET) in den Vordergrund, sondern empfiehlt, die erweiterten Detektoren und die zugehörige Grundlagenforschung zu stärken, um damit den (noch weiten) Weg für das ET zu ebnen.
In den nächsten Jahren sollen die erweiterten Gravitationswellendetektoren den direkten Nachweis für Gravitationswellen erbringen. In dieser Simulation entstehen sie bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher.
(Bild: NASA)
Auch die Suche nach Dunkler Materie hat gerade in jüngster Zeit große Fortschritte gemacht. Der LHC bietet erstmals die Möglichkeit, Supersymmetrie und sog. WIMPs (weakly interacting massive particles) zu sehen – oder eben auch nicht – und damit die aktuelle Hypothese für Dunkle Materie zu testen. „Da werden wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren den Moment der Wahrheit erleben“, ist sich Christian Spiering sicher.
Bei den Großprojekten priorisiert die Roadmap das Cherenkov Telescope Array (CTA) zur Detektion hochenergetischer kosmischer Gammastrahlung, legt aber auch großes Gewicht auf das Laguna-Projekt für die Niedrigenergie-Neutrinophysik (Large Apparatus studying Grand Unification and Neutrino Astrophysics). CTA baut auf den Erkenntnissen der beiden bestehenden Projekte zur Hochenergie-Gammaphysik – H.E.S.S. und Magic – auf und garantiert daher zahlreiche neue Entdeckungen. Laguna ist eng mit der Forschung am CERN verknüpft und wird daher auch in der European Strategy auftauchen, die das CERN derzeit vorbereitet und voraussichtlich im Frühjahr 2013 vorlegen wird – hier soll die neue Aspera-Roadmap wichtigen Input liefern. „Bei Laguna möchten wir noch viel mehr Teilchenphysiker ins Boot holen“, wünscht sich Christian Spiering.
Diese vier Projekte bzw. Themenfelder bilden den Schwerpunkt der neuen Roadmap. In Bezug auf die Finanzierung erhoffen sich die Astroteilchenphysiker, dass sich für das eine oder andere Projekt kurzfristig – z. B. aus nationalen Gegebenheiten – Möglichkeiten auftun. Aus diesem Grund sortiert die Roadmap die einzelnen Projekte nicht streng nach Wertigkeit, damit vielversprechenden, aber nicht ganz vorne rangierenden Projekten, für die sich solche Chancen ergeben, nicht der Weg verbaut wird. „In drei bis vier Jahren müssen wir dann schauen, wo die einzelnen Projekte stehen und von welchem wir uns eventuell verabschieden müssen“, erläutert Christian Spiering. Bleibt also zu hoffen, dass die Projekte mit neuen Entdeckungen die beste Werbung für sich selbst machen – sei es durch Nachweis von Gravitationswellen oder Dunkler Materie oder die Entdeckung neuer kosmischer Gammaquellen.
Maike Pfalz