Kann die Klimaforschung ihre großen Fragen (auf)lösen?
Eine neue Generation von globalen Klimamodellen kann Stürme und Gewitterzellen auflösen.
Globale Klimamodelle lösen die dem Erdsystem zugrunde liegenden Gleichungen auf einem Rechengitter mithilfe von Supercomputern. Sie schaffen damit virtuelle Geschwister unseres Planeten und die Möglichkeit, die zukünftige Entwicklung des Klimas abzuschätzen. Die so erstellten Klimaprojektionen tragen zu den Sachstandsberichten des Weltklimarats bei und werden in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen.
Klimamodelle sind, wie alle Modelle, per Definition mit Fehlern behaftet – „All models are wrong, but some are useful“ (George E. P. Box). Manchmal wird dies als Argument gegen die Existenz des menschengemachten Klimawandels interpretiert. Dass eine steigende CO2- Konzentration zu einer Zunahme der globalen Temperatur und des Niederschlags führt, folgt jedoch aus grundlegenden Gesetzen des Strahlungstransports und der Thermodynamik. Damit hat jedes physikalisch plausibel formulierte Klimamodell gar keine andere Wahl, als diese globalen Effekte abzubilden.
Für viele der drängendsten Fragen rund um den menschengemachten Klimawandel sind die heutigen Modelle allerdings wenig geeignet. Zum Beispiel betragen die Modellunterschiede in der Klimasensitivität – dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur als Folge einer CO2-Verdopplung – seit langem mehrere Kelvin, und Änderungen des tropischen Niederschlags sind so unsicher wie je.
Diese „Flaute“ hat ihren Ursprung vor mehr als fünfzig Jahren. Bereits die ersten globalen Klimamodelle der 1960er-Jahre mit Gitterbreiten von über hundert Kilometern konnten Tiefdruckgebiete der mittleren Breiten auflösen – das bedeutet, dass sich diese Wettersysteme automatisch als Teil der Modelllösung ergaben. Wolken und Konvektion hingegen, welche die Strahlungsbilanz und die Klimasensitivität entscheidend mitbestimmen, agieren auf sehr viel kleineren Skalen und mussten daher statistisch beschrieben werden. Trotz des Zuwachses in der Rechenleistung, Fortschritten in der Modellierung und der Arbeit vieler kluger Köpfe besteht diese Situation im Grunde bis heute fort und betrifft auch andere Komponenten des Klimasystems, etwa Ozeanwirbel mit Durchmessern von rund 50 km.
Cathy Hohenegger und Daniel Klocke widmen sich in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit einer neuen Generation von globalen, sturmauflösenden Klimamodellen. Diese nutzen Rechengitter von rund 2 km Gitterbreite und können so unter anderem die mit Gewittern verbundene, hochreichende Konvektion auflösen. Die massive Steigerung der Auflösung ermöglicht auch einen direkteren Vergleich mit Beobachtungsdaten. Darüber hinaus lassen sich regionale und lokale Modellklimainformationen gewinnen, wie sie für die Abschätzung von Klimawandelfolgen benötigt werden. Entscheidend ist hierbei der globale Charakter der Modelle: Nur über eine höhere Auflösung können sie die Wechselwirkungen zwischen weit entfernten Regionen erfassen, etwa den Einfluss der tropischen Konvektion auf die Nordatlantische Sturmzugbahn.
Die Verheißung der neuen Generation von Modellen ist groß. Werden sich die bedeutenden Fragen der Klimaforschung also sozusagen von selber auflösen? Nein, natürlich nicht. Die neuen Modelle stellen uns zudem vor immense technische Herausforderungen und damit vor neue, grundlegende Fragen: Wie sollen wir mit Datenmengen im Bereich von Zetabyte umgehen? Wie können wir die FAIR-Prinzipien einer offenen und reproduzierbaren Wissenschaft mit diesen Modellen umsetzen?
Spannender ist für mich jedoch die wissenschaftliche Herausforderung. Die neuen Modelle stellen die Physik des Klimasystems auf fundamentale Weise besser dar. Dieser Wert für die Klimaforschung kann gar nicht überschätzt werden, und ist in meinen Augen vergleichbar mit der Rolle des Large Hadron Collider für die Teilchenphysik. Dennoch sind auch die neuen Modelle nur Werkzeuge und werden ihr Wirkung erst dann voll entfalten, wenn wir sie in unsere Hierarchie aus bestehenden Modellen, Beobachtungen und Theorie integrieren. In meiner Gruppe arbeiten wir, neben vielen anderen Kolleginnen und Kollegen, an diesem Ziel. Damit ist dies nicht das Ende, sondern vielmehr der Beginn einer neuen Ära der Klimaforschung.
Aiko Voigt, Karlsruher Institut für Technologie
Dieser Essay ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen.