28.03.2017

Kausale Unordnung

Kausal undefinierte Quantenordnung experimentell nachgewiesen.

Unser Verständnis der Welt baut grundlegend auf makroskopischen Wahrnehmungen auf, wie z.B. auf dem Aufeinander­folgen von Ereignissen in einer wohl­definierten Ordnung. Solche eindeutigen Abfolgen sind in unserer Alltagswelt unabdingbar. In der Quantenwelt jedoch lässt sich dieses Aufeinander­folgen „durcheinander­bringen”: Unterschiedliche Reihenfolgen, in denen Quanten­operationen ablaufen, können trotzdem zugleich stattfinden – eine Superposition. Einem Team um Philip Walther von der Universität Wien ist die erste experimentelle Quantifizierung einer solchen Super­position gelungen.

Abb.: Das Anwenden des Superpositionsprinzips auf die Bewegung eines Photons kann dieses gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen führen. (Bild: J. Schmöle, U. Wien)

Das wird an folgendem Beispiel, einem Rennen zwischen zwei Freunden, Alice und Bob, deutlich: Im Alltag wird klarerweise jener Läufer zum Sieger gekürt, der die Ziellinie als erstes überquert. Unser gesunder Menschen­verstand sagt uns daher, dass entweder Alice oder Bob gewinnt oder dass es ein Unentschieden gibt. Tatsächlich erlaubt es die Quanten­mechanik jedem Läufer, in ein und demselben Rennen zugleich zu gewinnen und zu verlieren: Alice könnte die Ziellinie vor und nach Bob in einer Quanten­superposition erreichen. Aber wie gelingt der Nachweis, dass jeder Läufer in Superposition gewonnen hat? Ein Teil der Herausforderung liegt nämlich darin, dass das Rennen laut Quanten­mechanik „kollabiert", sobald wir es beobachten. Das bedeutet, dass wir Alice entweder als Gewinnerin oder Verliererin sehen.

Die Forscher um Philip Walther führten nun eine neue Messung durch, auch „kausaler Zeuge" genannt, mit welcher es gelingt, Alice dabei zu beobachten, wie sie das Rennen zugleich gewinnt und verliert. Mit der neuen Methode, entwickelt von einer Gruppe um Caslav Brukner, konnten die Wissenschaftler sogar quantitativ bestimmen, bis zu welchem Ausmaß die zwei Situationen tatsächlich in Superposition waren.

Anstatt ein mikroskopisches Quantenrennen abzuhalten, schickten die Physiker in ihren Experimenten jeweils ein Photon in Super­position in zwei verschiedene Richtungen zugleich. Jeder dieser Pfade wurde sodann in unterschiedlichen Reihenfolgen durch zwei verschiedene Quantenoperationen geleitet. Um die Methode des kausalen Zeugen anwenden zu können, entwarfen die Forscher ein Schema, mit dem sie Information über die Superposition der Reihenfolgen gewinnen konnten, ohne dabei die Superposition zu zerstören. Dies erreichten sie, indem sie ein anderes Quanten­system verwendeten, um – salopp formuliert – die Fahne zu schwenken, sobald das Photon an einer der Quanten­operationen vorbeikam. Ihr neuer Trick ermöglichte den Forschern, Information ausschließlich über die gesamte Superposition und nicht konkret über die Reihenfolge der Operationen auszulesen. Ihre Mess­resultate bestätigen, dass die Photonen wirklich durch beide Quanten­operationen in zwei verschiedenen Reihenfolgen zugleich hindurch­gegangen waren.

Die Tatsache, dass die Reihenfolge der Quantenoperationen in eine Quanten­superposition gebracht werden kann, eröffnet der Quanten­forschung neue Möglichkeiten. Dies ist bereits an der großen Anzahl von theoretischen Vorschlägen zur Rolle der „kausalen Zusammenhänge" in der Quantenmechanik erkennbar. Diese Vorschläge in Experimente im Labor zu übertragen, ist jedoch eine Herausforderung. „Unsere experimentelle Demonstration ist ein bedeutender Schritt in diesem Gebiet, da sie zeigt, wie Information aus dem Inneren der Quantenprozesse gewonnen werden kann, ohne deren Quantennatur zu zerstören", so Giulia Rubino.

Das nächste Ziel der Gruppe ist es, neue technologische Fortschritte auszunutzen, um Super­positionen von noch komplexeren Prozessen zu schaffen. Dies wird es ermöglichen, tiefere Einblicke in das Zusammenspiel zwischen kausalen Zusammen­hängen und Quanten­mechanik zu gewinnen. Außerdem ist es ein interessanter Ansatz, um Aufgaben jenseits der Möglichkeiten selbst eines Standard-Quanten­computers mit einer fixen Abfolge von Rechen­operationen zu optimieren.

U. Wien / DE

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