Klimawandel wird sichtbar sein
Der Bremerhavener Klimaforscher Peter Lemke bewertet die am Donnerstag beginnende Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Grönland positiv.
Berlin (dpa) - Der Bremerhavener Klimaforscher Peter Lemke bewertet die am Donnerstag beginnende Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Grönland positiv. «Es ist gut, dass sich die Bundeskanzlerin mit dem Klimawandel auch dort auseinandersetzt, wo die Folgen besonders gut zu erkennen sind», sagte der Professor in einem Interview. Es sei mittlerweile erwiesen, dass der Klimawandel Ursache für das immer stärkere Abschmelzen der Eiskappe auf Grönland ist. Lemke leitet den Klimabereich am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Er koordinierte das «Eiskapitel» im Klimaberichts des UN-Umweltbeirats IPCC.
Herr Professor Lemke, die Bundeskanzlerin wird auf ihrer Grönland- Reise große Gletscher besichtigen - den Ilulissat- und den Eqi- Gletscher. Ist das langsame Sterben der Eismassen auf der Insel für das nicht geübte Auge überhaupt sichtbar?
Lemke: «Ich denke schon. Frau Merkel ist Physikerin. Und sie wird vor Ort sicher Hinweise dafür bekommen, wie sich die Gletscher im Verlauf der letzten zehn Jahre verändert haben. Das Abschmelzen der Eiskappe und der Massenverlust über das Abbrechen von Eisbergen an den Gletscherzungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verstärkt.»
Halten Sie als Wissenschaftler Besuche von Politikern «an der Front» des Klimawandels für sinnvoll?
Lemke: «Es ist gut, dass sich eine Bundeskanzlerin mit dem Klimawandel auch dort auseinandersetzt, wo die Folgen besonders gut zu erkennen sind. Politiker sollten mit eigenen Augen sehen, wo und wie der Klimawandel stattfindet. Die Auswirkungen sind allerdings auch in den Alpen deutlich sichtbar. Auch hier hat ein rapides Abschmelzen der Gletscher eingesetzt - besonders im Jahr 2003, als Europa einen Hitzesommer erlebte. Die Gletscherzungen werden kleiner. Und auf den Gletschern sieht es zum Teil schmutzig aus, weil der im Winter gefallene Neuschnee rasch verschwindet. Jeder Urlauber kann sich ein Bild davon machen.»
Birgt der Rückgang der Eismassen tatsächlich die Gefahr, dass in Europa und in anderen Teilen der Welt verstärkt zu Flutkatastrophen kommen könnte, Gebiete langfristig sogar von der Landkarte verschwinden könnten?
Lemke: «Das Abschmelzen der Gletscher trägt wesentlich zum Anstieg des Meeresspiegels bei. 0,8 Millimeter Anstieg pro Jahr resultieren allein durch den Rückgang der Gletscher in Gebirgen. 0,2 Millimeter gehen zusätzlich auf das Konto des Rückgangs der Eismassen in Grönland und weitere 0,2 Millimeter auf den Eisverlust in der Antarktis. Außerdem dehnen sich die Ozeane durch die Erderwärmung aus. Insgesamt steigt damit der Meeresspiegel pro Jahr um etwa 3 Millimeter. Das bedeutet, dass die Meere in den kommenden 100 Jahren um 30 Zentimeter, aber auch um 60 Zentimeter ansteigen werden, wenn sich der stärkere Temperaturanstieg bewahrheitet.
Für ein Land wie Deutschland dürfte dies kein Problem darstellen, da die Deiche erhöht werden können. Aber ein Land wie Bangladesch lässt sich nicht eindeichen. Zu rechnen ist aber damit, dass es mehr Wetterextreme geben wird. Das Wetter sattelt auf den langsam ansteigenden Klimatrend auf. Je mehr Feuchtigkeit in der wärmeren Atmosphäre ist, desto mehr kann es zu heftigen Gewittern, Starkregen und möglicherweise auch zu Stürmen kommen. Und dies könnte durchaus in dem einen oder anderen Fall katastrophale Auswirkungen haben.»
Wie macht sich der Klimawandel in Grönland konkret bemerkbar?
Lemke: «Erstens wird Jahr für Jahr mehr Schmelzwasser freigesetzt. Die fortschreitende Erwärmung führt zu verstärktem Auftauen. Es kommt aber zweitens auch zu einem vermehrten Abbrechen von Eisbergen an den Gletscherzungen, die dann über die Fjorde zum Meer schwimmen. Festzustellen ist auch, dass der Prozess sich immer weiter verstärken wird, weil der anthropogene (vom Menschen verursachte) Anteil an den Treibhausgasen unvermindert ansteigt und die dadurch verursachte Erwärmung verstärkt wird.»
Interview: Ulrich Scharlack, dpa