19.02.2021

Kohärent kontrollierte Kerne

Erstmaliger Nachweis kohärenter Kontrolle von Kernanregungen durch Röntgen-Doppelblitz.

Erstmals ist einem Forscherteam des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik die kohärente Kontrolle von Kern­anregungen mit geeignet geformten Röntgen­licht gelungen. In dem am Europäischen Synchrotron ESRF durchgeführten Experiment wurde eine zeitliche Stabilität von wenigen Zeptosekunden erreicht. Zukünftige Experimente basierend auf der Kontrolle der Kerndynamik versprechen genauere Zeit­standards und neue Möglichkeiten auf dem Weg zu Kern­batterien. 
 

Abb.: Schematischer Aufbau des Experiments. Der in der ersten Probe erzeugte...
Abb.: Schematischer Aufbau des Experiments. Der in der ersten Probe erzeugte Doppelpuls induziert eine Quanten­dynamik in den Atomkernen der zweiten Probe, die durch die Verzögerung eines Teils des Doppel­pulses kontrolliert werden kann. (Bild: MPIK)

Moderne Experimente zur Quantendynamik können die Quanten­prozesse der Elektronen in Atomen mit Hilfe von Laserfeldern weitreichend steuern. Das Innenleben der Kerne der Atome spielt dabei aber meist keine Rolle, weil die für sie charakteristischen Energie-, Zeit- und Längenskalen so extrem sind, dass sie durch die Laserfelder praktisch nicht beeinflusst werden. Neue Ansätze bringen frischen Wind in die Kernphysik, indem sie diese Unempfindlichkeit gegen äußere Störungen ausnutzen und die extremen Skalen der Atomkerne für besonders genaue Messungen einsetzen. So können Atomkerne auf Röntgen­strahlen mit einer äußerst genau definierten Energie reagieren, wobei – ähnlich wie Elektronen in der Atomhülle – einzelne Nukleonen angeregt werden. Diese Übergänge können als Taktgeber für präzise Kernuhren verwendet werden. Hierzu ist die Vermessung der Kern­eigenschaften mit höchster Präzision erforderlich.

Ein Forscherteam um Physiker des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg ist nun einen Schritt weiter gegangen, indem es die Quantendynamik der Atomkerne nicht nur vermessen, sondern auch durch geeignet geformte Röntgenpulse mit bisher unerreichter zeitlicher Stabilität von wenigen Zeptosekunden – das ist ein Faktor hundert besser als alles bisher Erreichte – kontrolliert hat. Damit wird der in der optischen Spektroskopie erfolgreich etablierte Werkzeug­kasten der kohärenten Kontrolle auch für Atomkerne anwendbar, was ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven eröffnet.

Die kohärente Kontrolle nutzt die Wellen­eigenschaften von Materie zur Steuerung von Quantenprozessen durch elektro­magnetische Felder, etwa Laserpulse. Die quanten­mechanischen Eigenschaften von Materie lassen sich durch entsprechend präzise Steuerung der hierfür verwendeten Laserfelder kontrollieren. In den vergangen Jahrzehnten gab es große Fortschritte und Erfolge bei der kohärenten Kontrolle von Atomen und Molekülen, mit einer zeitlichen Präzision des Lichts bis in den Bereich von Attosekunden, was der natürlichen Zeitskala von Elektronen in Atomen entspricht. Wichtige Forschungs­ziele mit möglichen zukünftigen Anwendungen sind etwa die Kontrolle von chemischen Reaktionen oder die Entwicklung neuer genauerer Zeitstandards.

In den letzten Jahren hat die Verfügbarkeit von neuartigen Strahlungs­quellen für Röntgen­strahlung mit Laserqualität (Synchrotron­strahlung und Freie-Elektronen-Laser) ein neues Gebiet eröffnet: die nukleare Quantenoptik. Physikern der Abteilungen von Christoph Keitel und Thomas Pfeifer vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) ist nun am Europäischen Synchrotron ESRF (Grenoble, Frankreich) in Kooperation mit Forschern vom DESY (Hamburg) und dem Helmholtz-Institut/Friedrich-Schiller-Universität (Jena) erstmals der Nachweis kohärenter Kontrolle von Kernanregungen durch Röntgen­strahlung gelungen. Hierbei wurde eine Stabilität der kohärenten Kontrolle von wenigen Zeptosekunden erreicht.

Im Experiment nutzten die Forscher um Projektleiter Jörg Evers (MPIK) zwei mit dem Eisen-Isotop Fe-57 angereicherte Proben, die mit kurzen Röntgen­pulsen aus dem Synchrotron bestrahlt werden. Mit der ersten Probe erzeugten sie einen steuerbaren Doppel-Röntgenpuls, der dann verwendet wurde, um die Dynamik der Kerne in der zweiten Probe zu kontrollieren. Die untersuchten Kern­anregungen, die sich durch Röntgen­emission wieder abregen, sind als Mößbauer-Übergänge durch eine sehr hohe Energie­schärfe gekennzeichnet. Die mit einem Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckung des zugrunde­liegenden Effekts gelang Rudolf Mößbauer 1958 am MPI für medizinische Forschung, aus welchem im gleichen Jahr das MPIK ausgegründet wurde.

Um den Doppelpuls zu erzeugen, werden die Kerne der ersten Probe durch den kurzen Röntgenpuls angeregt, und geben diese Anregung aufgrund der hohen Energie­schärfe vergleichsweise langsam wieder als einen zweiten Röntgenpuls ab. Im Experiment wird die Probe zwischen der Anregung und der Abregung schnell um eine kleine Distanz bewegt, die etwa der halben Röntgen­wellenlänge entspricht. Hierdurch ändert sich die Flugzeit des zweiten Pulses zur zweiten Probe, was die Lage der Wellen der beiden Röntgenpulse (relative Phase) gegeneinander verschiebt.

Dieser Doppelpuls steuert nun die Kerne in der zweiten Probe. Der erste Puls regt eine quanten­mechanische Dynamik im Kern an, analog zu einer schwingenden Schaukel. Der zweite Puls ändert diese Dynamik, in Abhängigkeit von der relativen Phase der beiden Röntgenpulse. Trifft die Welle des zweiten Pulses beispielsweise im Takt mit der Kerndynamik auf die zweite Probe, so werden die Kerne weiter angeregt. Durch die Variation der relativen Phase konnten die Forscher so gezielt zwischen einer weiteren Anregung der Kerne und einer Abregung der Kerne hin- und herschalten, und damit den quanten­mechanischen Zustand der Kerne kontrollieren. Dieser lässt sich aus den gemessenen Interferenz­strukturen der Röntgen­strahlung hinter der zweiten Probe rekonstruieren.

Angesichts der erforderlichen extremen Anforderungen an die Kontrolle von Atomkernen (die Verrückung der ersten Probe um eine halbe Wellenlänge liegt in der Größen­ordnung eines Atomradius) überrascht der offenbar geringe Einfluss äußerer Störungen auf die Güte des Experiments. Dass dies dennoch funktioniert, liegt in der kurzen Dauer einer Messsequenz, während derer die wesentlichen störenden Bewegungen quasi eingefroren sind. Diese Stabilität ist eine Voraussetzung für zukünftige neue Anwendungen auf der Basis von Kernübergängen: genauere Zeit­standards, Untersuchung der Variation von Fundamental­konstanten oder der Suche nach neuer Physik jenseits der akzeptierten Modelle.

Im Bereich der atomaren Dynamik ist die weitreichende Kontrolle der Schlüssel für viele Anwendungen. Die hier demonstrierten Möglichkeiten öffnen das Tor zu neuen experimentellen Ansätzen, die auf einer Kontrolle der Kerndynamik beruhen, wie etwa genauere Messungen durch Präparation der Kerne in bestimmte Zustände. Insofern zukünftige Röntgen­quellen eine stärkere Anregung der Kerne ermöglichen würden, wären damit auch Kernbatterien, die ohne Kernspaltung oder -fusion große Mengen Energie in internen Anregungen der Kerne speichern und wieder abgeben können, denkbar. 

MPIK / DE
 

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