Kohärent kontrollierte Kerne
Erstmaliger Nachweis kohärenter Kontrolle von Kernanregungen durch Röntgen-Doppelblitz.
Erstmals ist einem Forscherteam des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik die kohärente Kontrolle von Kernanregungen mit geeignet geformten Röntgenlicht gelungen. In dem am Europäischen Synchrotron ESRF durchgeführten Experiment wurde eine zeitliche Stabilität von wenigen Zeptosekunden erreicht. Zukünftige Experimente basierend auf der Kontrolle der Kerndynamik versprechen genauere Zeitstandards und neue Möglichkeiten auf dem Weg zu Kernbatterien.
Moderne Experimente zur Quantendynamik können die Quantenprozesse der Elektronen in Atomen mit Hilfe von Laserfeldern weitreichend steuern. Das Innenleben der Kerne der Atome spielt dabei aber meist keine Rolle, weil die für sie charakteristischen Energie-, Zeit- und Längenskalen so extrem sind, dass sie durch die Laserfelder praktisch nicht beeinflusst werden. Neue Ansätze bringen frischen Wind in die Kernphysik, indem sie diese Unempfindlichkeit gegen äußere Störungen ausnutzen und die extremen Skalen der Atomkerne für besonders genaue Messungen einsetzen. So können Atomkerne auf Röntgenstrahlen mit einer äußerst genau definierten Energie reagieren, wobei – ähnlich wie Elektronen in der Atomhülle – einzelne Nukleonen angeregt werden. Diese Übergänge können als Taktgeber für präzise Kernuhren verwendet werden. Hierzu ist die Vermessung der Kerneigenschaften mit höchster Präzision erforderlich.
Ein Forscherteam um Physiker des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg ist nun einen Schritt weiter gegangen, indem es die Quantendynamik der Atomkerne nicht nur vermessen, sondern auch durch geeignet geformte Röntgenpulse mit bisher unerreichter zeitlicher Stabilität von wenigen Zeptosekunden – das ist ein Faktor hundert besser als alles bisher Erreichte – kontrolliert hat. Damit wird der in der optischen Spektroskopie erfolgreich etablierte Werkzeugkasten der kohärenten Kontrolle auch für Atomkerne anwendbar, was ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven eröffnet.
Die kohärente Kontrolle nutzt die Welleneigenschaften von Materie zur Steuerung von Quantenprozessen durch elektromagnetische Felder, etwa Laserpulse. Die quantenmechanischen Eigenschaften von Materie lassen sich durch entsprechend präzise Steuerung der hierfür verwendeten Laserfelder kontrollieren. In den vergangen Jahrzehnten gab es große Fortschritte und Erfolge bei der kohärenten Kontrolle von Atomen und Molekülen, mit einer zeitlichen Präzision des Lichts bis in den Bereich von Attosekunden, was der natürlichen Zeitskala von Elektronen in Atomen entspricht. Wichtige Forschungsziele mit möglichen zukünftigen Anwendungen sind etwa die Kontrolle von chemischen Reaktionen oder die Entwicklung neuer genauerer Zeitstandards.
In den letzten Jahren hat die Verfügbarkeit von neuartigen Strahlungsquellen für Röntgenstrahlung mit Laserqualität (Synchrotronstrahlung und Freie-Elektronen-Laser) ein neues Gebiet eröffnet: die nukleare Quantenoptik. Physikern der Abteilungen von Christoph Keitel und Thomas Pfeifer vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) ist nun am Europäischen Synchrotron ESRF (Grenoble, Frankreich) in Kooperation mit Forschern vom DESY (Hamburg) und dem Helmholtz-Institut/Friedrich-Schiller-Universität (Jena) erstmals der Nachweis kohärenter Kontrolle von Kernanregungen durch Röntgenstrahlung gelungen. Hierbei wurde eine Stabilität der kohärenten Kontrolle von wenigen Zeptosekunden erreicht.
Im Experiment nutzten die Forscher um Projektleiter Jörg Evers (MPIK) zwei mit dem Eisen-Isotop Fe-57 angereicherte Proben, die mit kurzen Röntgenpulsen aus dem Synchrotron bestrahlt werden. Mit der ersten Probe erzeugten sie einen steuerbaren Doppel-Röntgenpuls, der dann verwendet wurde, um die Dynamik der Kerne in der zweiten Probe zu kontrollieren. Die untersuchten Kernanregungen, die sich durch Röntgenemission wieder abregen, sind als Mößbauer-Übergänge durch eine sehr hohe Energieschärfe gekennzeichnet. Die mit einem Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckung des zugrundeliegenden Effekts gelang Rudolf Mößbauer 1958 am MPI für medizinische Forschung, aus welchem im gleichen Jahr das MPIK ausgegründet wurde.
Um den Doppelpuls zu erzeugen, werden die Kerne der ersten Probe durch den kurzen Röntgenpuls angeregt, und geben diese Anregung aufgrund der hohen Energieschärfe vergleichsweise langsam wieder als einen zweiten Röntgenpuls ab. Im Experiment wird die Probe zwischen der Anregung und der Abregung schnell um eine kleine Distanz bewegt, die etwa der halben Röntgenwellenlänge entspricht. Hierdurch ändert sich die Flugzeit des zweiten Pulses zur zweiten Probe, was die Lage der Wellen der beiden Röntgenpulse (relative Phase) gegeneinander verschiebt.
Dieser Doppelpuls steuert nun die Kerne in der zweiten Probe. Der erste Puls regt eine quantenmechanische Dynamik im Kern an, analog zu einer schwingenden Schaukel. Der zweite Puls ändert diese Dynamik, in Abhängigkeit von der relativen Phase der beiden Röntgenpulse. Trifft die Welle des zweiten Pulses beispielsweise im Takt mit der Kerndynamik auf die zweite Probe, so werden die Kerne weiter angeregt. Durch die Variation der relativen Phase konnten die Forscher so gezielt zwischen einer weiteren Anregung der Kerne und einer Abregung der Kerne hin- und herschalten, und damit den quantenmechanischen Zustand der Kerne kontrollieren. Dieser lässt sich aus den gemessenen Interferenzstrukturen der Röntgenstrahlung hinter der zweiten Probe rekonstruieren.
Angesichts der erforderlichen extremen Anforderungen an die Kontrolle von Atomkernen (die Verrückung der ersten Probe um eine halbe Wellenlänge liegt in der Größenordnung eines Atomradius) überrascht der offenbar geringe Einfluss äußerer Störungen auf die Güte des Experiments. Dass dies dennoch funktioniert, liegt in der kurzen Dauer einer Messsequenz, während derer die wesentlichen störenden Bewegungen quasi eingefroren sind. Diese Stabilität ist eine Voraussetzung für zukünftige neue Anwendungen auf der Basis von Kernübergängen: genauere Zeitstandards, Untersuchung der Variation von Fundamentalkonstanten oder der Suche nach neuer Physik jenseits der akzeptierten Modelle.
Im Bereich der atomaren Dynamik ist die weitreichende Kontrolle der Schlüssel für viele Anwendungen. Die hier demonstrierten Möglichkeiten öffnen das Tor zu neuen experimentellen Ansätzen, die auf einer Kontrolle der Kerndynamik beruhen, wie etwa genauere Messungen durch Präparation der Kerne in bestimmte Zustände. Insofern zukünftige Röntgenquellen eine stärkere Anregung der Kerne ermöglichen würden, wären damit auch Kernbatterien, die ohne Kernspaltung oder -fusion große Mengen Energie in internen Anregungen der Kerne speichern und wieder abgeben können, denkbar.
MPIK / DE
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
K. P. Heeg et al.: Coherent X-ray-optical control of nuclear excitons, Nature 590, 401 (202); DOI: 10.1038/s41586-021-03276-x - Angeregte Atome und Moleküle in starken Feldern (C. Ott), Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
- Correlated and X-Ray Quantum Dynamics (J. Evers), Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg