02.02.2015

Kollagen unter Spannung

Wasser spielt bedeutende Rolle für Zugspannung von Kollagenfasern.

Die Körper von Menschen und Tieren verdanken ihre Festigkeit vor allem einem faser­bildenden Protein, dem Kollagen. Knochen, Sehnen, Bänder oder die Haut enthalten es in großen Mengen. Ein Stoff, der mit Festigkeit wenig assoziiert wird, nämlich Wasser, entpuppt sich nun als integraler Bestandteil des Kollagens, wie Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm, in Zusammenarbeit mit Forschern von dem Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA), zeigen konnten. Das Team um Admir Masic und Luca Bertinetti entfernte Wasser aus Kollagen­fasern, was sich dramatisch auswirkte. Die Fasern zogen sich zusammen und erreichten dadurch eine 300-Mal stärkere Spannung, als Muskeln sie auszuüben vermögen. Dieses Wissen könnte für neuartige, aktive Materialien genutzt werden. Die Ergebnisse deuten aber auch darauf hin, dass Kollagen in Lebewesen mehr Funktionen übernehmen kann, als bisher angenommen. Demnach spielt es nicht nur eine passive Rolle, nämlich als eine Art Stütz­apparat für den Organismus. Es kann auch eine aktive Rolle spielen, etwa bei der Bildung von Knochen.

Abb.: Aus den Mustern der zweidimensionalen Röntgenbeugung lassen sich Informationen über Änderungen in der molekularen und nanoskopischen Kollagenstruktur gewinnen, wenn das Protein trocknet. (Bild: MPIKG)

Einem Gebäude ähnlich ist Kollagen hierarchisch aus einer komplexen Anordnung von Einzel­bau­steinen aufgebaut. Der Basisbaustein ist das Kollagenmolekül. Es erinnert an ein Seil: Drei kettenförmige Proteine winden sich umeinander und bilden so eine Dreifachhelix. Viele dieser „Seile“ wiederum verbinden sich zu dickeren „Tauen“, so genannten Kollagenfibrillen. Mit rund 100 bis 500 Nanometern Dicke sind die Fibrillen allerdings 100.000 Mal dünner als echte Taue. In den Fibrillen liegen benachbarte Kollagen­moleküle nicht bündig aneinander, sondern versetzt, sodass eine gestaffelte Anordnung entsteht. Das führt entlang der Fibrille zu einander abwechselnden dichteren und weniger dichten Zonen. Viele Fibrillen wiederum bündeln sich zu Kollagen­fasern.

Welche Eigenschaften Kollagen aufweist und vor allem wie das in ihm enthaltene Wasser seine Funktion beeinflusst, haben nun Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenflächenforschung in Potsdam-Golm untersucht. Das Besondere an der Studie des Golmer Teams: Es kombinierte erstmals verschiedene Messmethoden, um Kollagen auf verschiedenen Ebenen seines hierarchischen Aufbaus zu untersuchen, und kontrollierte dabei in einer Feuchtigkeits­kammer den Wasser­gehalt des Naturstoffes. Eine spezielle Vorrichtung in der Kammer maß die Spannungs­kräfte, die auf das aus Ratten­schwänzen gewonnene Kollagen wirkten.

Die Messergebnisse brachten die Forscher in Einklang mit Computer­modellen von Kollagen­molekülen, entwickelt von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA). So kam es der Rolle des Wassers im Kollagen bis ins Detail auf die Spur. „Wasser ist ein integraler Bestandteil von Kollagen“, sagt Admir Masic. Im natürlichen Zustand macht es rund sechzig Gewichtsprozent des Kollagens aus. Wassermoleküle fügten sich so nahtlos in das Kollagen ein, dass sie dessen Helixform folgen, berichtet Masic. Das fand das Team durch Unter­suchungen mit Röntgen­beugung heraus. Mit dieser Methode lassen sich Details der Helix­struktur erforschen, etwa die Neigung der Windungen oder der Durchmesser der Helix.

Bei dem hohen Wasser­gehalt verwundert es nicht, dass sich der Entzug von Wasser dramatisch auswirkt. Nimmt die relative Luftfeuchtigkeit von 95 auf 5 Prozent ab, trocknet man das Kollagen also praktisch aus, ziehen sich Kollagen­moleküle um 1,3 Prozent und die entsprechenden Fibrillen um 2,5 Prozent zusammen. Trotz dieser relativ geringen Längen­änderung entsteht dabei ein Zug von 100 Megapascal, was über 300 Mal mehr ist, als ein Muskel erzeugt.

Auch dem Mechanismus dieser Kontraktion kamen die Forscher um Masic und Bertinetti auf die Spur. Dafür nutzten sie die Raman-Spektroskopie, mit der sie die Konformation der Molekül­ketten des Kollagens untersuchten. Dabei zeigte sich, dass die Verkürzung durch Änderungen der Konformation hervorgerufen wird. Vorstellen kann man sich das mit einem zunächst gestreckten Seil, das in Wellen geworfen wird, sodass die Enden näher zusammenrücken. Ein interessantes Detail des Mechanismus: Die dichten Regionen der Fibrillen dehnten sich, während sich die dünneren zusammen zogen. Unterm Strich ergab sich so eine Kontraktion.

„Mit diesem Wissen könnten Materialien entwickelt werden, die sich bei Entzug von Wasser gegensätzlich verhalten“, sagt Luca Bertinetti. Er denkt dabei zum Beispiel an aufeinander geklebte Schichten von zwei Materialien, von denen sich das eine bei Entzug von Wasser dehnt und das andere zusammenzieht. Die Doppelschicht würde sich dann biegen. Die Messergebnisse des Teams zeigen, dass solche Werkstoffe große Kräfte ausüben könnten. Auch für die Produktion von Leder oder Pergamentpapier könnten die neuen Erkenntnisse aufschlussreich sein.

Doch nicht nur für die Technik sind die Ergebnisse aus Golm interessant. Zwar kommt ein so starker Wasser­entzug wie in der Feuchtigkeits­kammer der Forscher unter physiologischen Bedingungen im Körper eines Lebewesens nicht vor. Doch Masics und Bertinettis Team hat festgestellt, dass der Wasserentzug auch unter biologischen Verhältnissen groß genug sein kann, damit das Kollagen eine ebenso große Zugspannung aufbaut wie ein Muskel.

Daher könnte das Biomolekül statt einer passiven, nämlich der mechanischen Stabilisierung des Körpers, auch eine aktive Rolle spielen. „Während des Aufbaus von Knochen könnte dem darin enthaltenen Kollagen Wasser entzogen werden, so dass es sich zusammenzieht“, sagt der Direktor des Institutes, Peter Fratzl, der diese Forschungsarbeit koordiniert hat. Dadurch werde der Knochen zusammengedrückt, was verhindere, dass das eigentlich spröde Material durch Zugspannungen auseinander gerissen werden kann. Eine ähnliche Rolle spiele der Stahl im Stahlbeton, vergleicht Fratzl.

Unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass der Abstand zwischen den dichten Zonen der Kollagen­fibrillen in Knochen der gleiche ist wie in getrocknetem Kollagen und dass die Zugfestigkeit von Knochen in etwa der Spannung von getrocknetem Kollagen entspricht. In nächster Zukunft wollen die Golmer Forscher die mögliche physiologische Rolle der Kollagen­kontraktion in verschiedenen Geweben erforschen.

MPIKG / DE

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