Komplexe Muster selbstorganisiert
Neue Methode für Oberflächen mit maßgeschneiderten optischen und mechanischen Eigenschaften.
Wenn man das Bad oder die Terrasse neu fliest und dabei zum Beispiel quadratische, rechteckige oder sechseckige Fliesen benutzt, so kommt, wenn man alles richtig macht, ein einfaches und regelmäßiges Muster dabei heraus. Auf ähnliche Weise können Wissenschaftler mit winzigen Kügelchen aus verschiedenen Materialien ebenfalls einfache regelmäßige Strukturen herstellen, die nützliche optische oder mechanische Eigenschaften haben. Diese regelmäßigen Strukturen ergeben sich von selbst aus dem Wechselspiel der zwischen den Kügelchen wirkenden Kräfte und äußeren Einflüssen, wie etwa einem Druck.
Seit einiger Zeit versuchen Forscher, komplexere Ausführungen solcher kolloidalen Kristalle zu realisieren. Dies erwies sich aber bislang als schwierig. An der ETH Zürich haben es Lucio Isa und seine Mitarbeiter am Departement für Materialwissenschaften nun geschafft, mit Hilfe eines Tricks simple Mikrokügelchen dazu zu zwingen, sich zu komplexen kolloidalen Kristallen zusammenzufinden. „Vereinfacht gesprochen haben wir gezeigt, dass 1 plus 1 nicht unbedingt 2 ergeben muss“, erklärt Isa. Dahinter verbirgt sich eine Technik, mit der die Forscher nur etwa ein Mikrometer große Kügelchen aus weichen Polymer-Gelen dazu bringen, kompliziertere Muster zu bilden, als sie es freiwillig tun würden.
Im Labor sperrten sie dazu Polymer-Teilchen auf der Oberfläche eines Wasserbades ein, auf dem eine Ölschicht aus Hexan schwamm. Mit Hilfe von verschiebbaren Barrieren kann die Größe der Wasseroberfläche verringert und die Kügelchen dadurch immer mehr zusammengedrückt werden, wodurch sie sich zu kristallartigen Strukturen anordnen. Während sich diese Strukturen bilden, lagern sie sich auf einer Siliziumunterlage ab, die durch die Wasseroberfläche gezogen wird. Dadurch werden sie wie mit einem Abzieher eingesammelt. Zum Abschluss entfernen die Forscher die Scheibe aus dem Wasserbad.
„Wiederholt man diesen Vorgang jeweils mit einem frischen Stücke Silizium, so findet man am Ende stets sechseckige Strukturen darauf, auch wenn man die Kügelchen immer höheren Drücken aussetzt und damit stärker komprimiert“, sagt Isa. Benutzt man jedoch statt einer frischen Siliziumunterlage eine bereits benutzte, auf der sich schon eine sechseckige Kristallstruktur aus Mikrokügelchen befindet, so müssen sich die neuen Kügelchen während der zweiten Ablagerung an zwei Randbedingungen orientieren: Zum einen stoßen sie sich gegenseitig ab, während sie von den Barrieren seitlich zusammengepfercht werden; zum anderen stoßen sie aber auch gegen die starr auf der Siliziumunterlage angeordneten Kügelchen des ersten Durchgangs. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Einflüsse treiben die Kügelchen die der zweiten Schicht die Bildung von Mustern voran, die völlig anders sein können als das erste und auch viel komplexer.
Sieht man sich die beiden Schichten zusammen unter einem hochauflösenden Mikroskop genau an, so erkennt man je nach Packungsdichte der Mikrokügelchen die verschiedensten Anordnungen: ineinandergreifende S-förmige Muster, hexagonale Übergitter, oder auch Fischgrätenmuster. „Damit haben wir gezeigt, dass man mit einfachen Bausteinen, in unseren Fall kleinen Kügelchen, in zwei Schritten sehr komplexe Anordnungen erzeugen kann“, sagt Isa.
Mit Hilfe von Computersimulationen konnten er und sein Team zeigen, dass sich die komplexen Muster tatsächlich nur daraus ergaben, dass sich die Kügelchen gegenseitig abstoßen. Insbesondere führte dabei die Abstoßung zwischen den Kügelchen der ersten, nunmehr starren Schicht und denen der zweiten zur Frustration. Das bedeutet, dass die beweglichen Kügelchen konnten sich nicht mehr frei arrangieren, sondern mussten das Muster der ersten Schicht berücksichtigen, auch wenn sie sich untereinander natürlicherweise anders angeordnet hätten.
Isa sieht in seiner Methode einen wichtigen Schritt in Richtung eines gezielten Designs komplexer selbstorganisierender Strukturen aus einfachen Grundbausteinen. Die Form der Grundbausteine und der Grad der Kompression können dabei so gewählt werden, dass sich am Ende ein vorherbestimmtes Muster ergibt. Diese Muster können reguläre Kristalle mit mehr oder weniger komplexen periodischen Gitterstrukturen sein. Isa hofft aber, die Herstellungsmethode auch auf Quasikristalle ausdehnen zu können, die zwar eine gewisse lokale Ordnung aufweisen, deren Muster sich aber nicht periodisch im Raum wiederholen.
Während Isa all das aus rein wissenschaftlichen Gründen hochinteressant findet, sieht er auch konkrete Anwendungsmöglichkeiten. So könnten beispielsweise maßgeschneiderte Oberflächenmuster mit bestimmten optischen Eigenschaften hergestellt werden oder solche, die ein gewünschtes Benetzungs- oder Reibungsverhalten aufweisen. Diese könnten dann zur Beschichtung optischer Bauteile oder anderer Materialien verwendet werden.
ETHZ / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
F. Grillo et al.: Self-templating assembly of soft microparticles into complex tessellations, Nature 582, 219 (2020); DOI: 10.1038/s41586-020-2341-6 - Laboratory for Soft Materials and Interfaces, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich