Komplexe Plasmen an Bord der ISS
Einblicke in astrophysikalische Zusammenhänge und Relevanz für halbleitertechnische Anwendungen.
Vor vier Jahren installierte Alexander Gerst auf seiner damaligen „Blue Dot“-Mission die Anlage PK-4 auf der Internationalen Raumstation ISS. Mit der Experimentereihe sollten bereits begonnene Untersuchungen zum Verhalten komplexer Plasmen in der Schwerelosigkeit fortgeführt werden. Seit dem untersuchten mehrere Forscherteams 400 Kilometer über der Erde diese auch als staubig bezeichneten Plasmen unter Mikrogravitationsbedingungen. Über Experimente zu Driftphänomenen der Mikropartikel in wechselnden elektrischen Feldern berichteten nun jüngst Wissenschaftler des Instituts für Materialphysik im Weltraum am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der AG Atom-, Plasma- und Raumfahrtphysik der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Joint Institute for High Temperatures der Russischen Akademie der Wissenschaften in der Fachzeitschrift Physics of Plasmas.
Abb.: Selbstangeregte Dichtewellen in staubigem Plasma. (Bild: AIP/Jaiswal et al.)
PK-4 ist eine Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der russischen staatlichen Raumfahrtgesellschaft Roscosmos zur Untersuchung komplexer Plasmen. Komplexe oder staubige Plasmen enthalten neben Elektronen, Ionen und neutralen Gasteilchen auch Mikropartikel von bis zu 100 Mikrometer Größe. Diese Staubteilchen werden durch Stöße mit Ionen oder Elektronen im Plasma aufgeladen und interagieren stark miteinander. Bei ausreichend hoher Dichte entspricht ihr Verhalten dann dem einer Flüssigkeit oder eines Kristalls. Der größte Vorteil der staubigen Plasmen liegt darin, dass einzelne Teilchen individuell untersucht und neue Erkenntnisse über die Fluid- und Festkörperphysik gewonnen werden können.
Auf der Erde verzerrt jedoch die Schwerkraft die meisten Experimente mit komplexen Plasmen. Die Mikrogravitationsumgebung auf der Internationalen Raumstation ermöglicht Untersuchungen an staubigen Plasmen, die anderweitig nicht zu realisieren wären. Im Februar 2017 beobachteten Forscher Staubdichtewellen oder sichtbare Schallwellen bei ihren Bewegungen durch das komplexe Plasma.
Im Experiment driftete eine Mikropartikelwolke in einem mit konstantem Gleichstrom betriebenen Plasma und bildete eigenangeregte Wellenmuster. Anschließend wurde die Polarität der Entladung umgekehrt. Obwohl die Feldstärke für beide Entladungspolaritäten nahezu identisch war, zeigten die Wellenmuster Bifurkationen: Zwischen den beiden alten Kämme im Kopf der Mikropartikelwolke bildete sich ein neuer Wellenberg.
„Das wohl interessanteste Ergebnis war, dass die Geschwindigkeit dieser Wellen stark von dem die Wellen anregenden elektrischen Feld abhängt“, erklärt Mikhail Pustylnik, Wissenschaftler am DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum und einer der Autoren der Veröffentlichung. „Wir erwarten, dass wir diese Art von Wellen in allen astrophysikalischen Situationen antreffen werden, in denen Staubpartikel vorhanden sind – zum Beispiel in einem Kometenschweif.“
„Auch in der Halbleiterindustrie werden viele Plasmaprozesse eingesetzt", sagte Pustylnik. Dabei stellt Staub die Anwender vor große Probleme: Die Partikel können während der Herstellung beispielsweise die Siliziumwafer beschädigen. Ab diesem Herbst planen die Forscher weitere Experimente, in denen der die elektrischen Felder durch Umpolung der Entladung verändert werden sollen.
AIP / LK
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