Kondensiertes Landau-Zener-Problem
Bose-Einstein-Kondensate tunneln zwischen Potentialmulden mit zeitabhängiger Energiedifferenz anders als nach der bekannten Landau-Zener-Formel erwartet.
Bose-Einstein-Kondensate tunneln zwischen Potentialmulden mit zeitabhängiger Energiedifferenz anders als nach der bekannten Landau-Zener-Formel erwartet.
An ultrakalten atomaren Gasen in optischen Gittern kann man in idealer Weise das Verhalten von quantenmechanischen Vielteilchensystemen untersuchen. Dabei lassen sich neben der Wechselwirkung der Atome auch die Form und die räumliche Dimension des Potentials variieren, in dem sich die Teilchen bewegen. So kann man eindimensionale Probleme wie das Tonks-Girardeau-Gas simulieren, einen Mott-Isolator durch das Zusammenspiel zwischen Teilchenwechselwirkung und Tunneleffekt erzeugen oder Anderson-Lokalisierung in einem ungeordneten Potential studieren. Jetzt hat ein deutsch-israelisches Forscherteam das Landau-Zener-Problem an einem Bose-Einstein-Kondensat aus wechselwirkenden Atomen untersucht und neuartiges Nichtgleichgewichtsverhalten beobachtet.
Beim Landau-Zener-Problem fragt man nach der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Teilchen von einem Quantenzustand zu einem mit ihm gekoppelten Zustand gelangt, wenn sich die Energiedifferenz der beiden Zustände mit der Zeit ändert und eine Resonanz durchläuft. Ohne Kopplung würden sich die gegen die Zeit aufgetragenen Energieniveaus kreuzen und der Zustand mit der anfangs kleineren Energie hätte schließlich die größere Energie. Doch die Kopplung macht sich nahe der Resonanz bemerkbar und führt zu einer vermiedenen Niveaukreuzung. Ist das Teilchen im Zustand mit der kleineren Energie und ändert man die Energien extrem langsam („adiabatisch“), so bleibt es im Zustand mit der kleineren Energie. Im Hinblick auf die Zustände des ungekoppelten Systems führt die Kopplung dazu, dass das Teilchen vom Zustand mit anfangs kleinerer Energie in den Zustand mit der am Ende kleineren Energie wechselt.
Für eine endliche Geschwindigkeit α, mit der sich die Differenz der beiden Energien ändert, kann sich das Teilchen „nichtadiabatisch“ verhalten und von einem Energiezweig der vermiedenen Energiekreuzung zum anderen springen. Lev Landau und Clarence Zener hatten 1932 unabhängig voneinander dieses Problem untersucht und im Wesentlichen dasselbe Resultat erhalten. Demnach hängt die Wahrscheinlichkeit P, den Energiezweig zu wechseln, von α und der Kopplung J der beiden Zustände in folgender Weise ab: P = exp(-(2πJ)²/hα). Im adiabatischen Grenzfall (α→0) ist P=0 und das Teilchen bleibt auf seinem Energiezweig.
Trifft die Landau-Zener-Formel auch für Vielteilchensysteme zu, die zwischen zwei Zuständen tunneln können, deren Energiedifferenz sich zeitlich ändert und dabei eine Entartung durchläuft? Dieser Frage sind Forscher um Immanuel Bloch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Ehud Altman vom Weizmann Institute of Science in Rehovot nachgegangen. Sie haben ein Bose-Einstein-Kondensat von ca. 90.000 Rubidium-87-Atomen hergestellt und in ein optisches Gitter von besonderer Form gebracht. Die Atome befanden sich in paarweise nebeneinander liegenden „Lichtschläuchen“ und konnten von einem Schlauch zum anderen tunneln.
Quer zu den Schläuchen verspürten die Atome ein Doppelmuldenpotential mit konstanter Tunnelkopplung während die Differenz der Potentialminima zeitlich verändert wurde. Entlang der Lichtschläuche konnten sich die Atome frei bewegen und ein Vielteilchensystem bilden. Die Forscher konnten aber mit einem zusätzlichen periodischen Potential längs der Schläuche die Beweglichkeit der Atome soweit einschränken, dass aus dem Vielteilchenzustand isolierte Einzelatome wurden. Bloch und seine Kollegen untersuchten zunächst, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass diese Einzelatome von einem Lichtschlauch in den anderen tunnelten. Dazu setzten sie alle Atome in die linke, tiefere Mulde des Doppelmuldenpotentials. Mit einer konstanten Geschwindigkeit α hoben sie die Mulde an, während sie die rechte Mulde absenkten. Sobald die linke Mulde deutlich höher war als die rechte, schauten die Forscher nach, wie viele Atome von der linken zur rechten Mulde getunnelt waren. Dieses Experiment wiederholten sie für unterschiedliche Geschwindigkeiten α.
Abb.: (a) Ein Kondensat aus ultrakalten bosonischen Atomen tunnelt von einer eindimensionalen Potentialmulde zur anderen, während die Energiedifferenz der Potentiale verändert wird. (b) Der Anteil der Atome, die von der linken Mulde in die rechte gelangen, hängt von der Änderungsgeschwindigkeit der Energiedifferenz ab. Für einzelne Atome ist die Landau-Zener-Formel erfüllt, für Kondensate zeigen sich deutliche Abweichungen, hinter denen Vielteilcheneffekte stecken. (Quelle: Yu-Ao Chen et al., Nature Physics)
Tatsächlich hing der Anteil Q der Atome, die von links nach rechts tunnelten und somit auf dem selben Energiezweig geblieben waren, genauso von der Tunnelkopplung J und der Geschwindigkeit α ab, wie man es nach der Landau-Zener-Formel erwartet: Q = 1 – P = 1 – exp(-(2πJ)²/hα). Wurde aber das periodische Potential entlang der Lichtschläuche abgeschaltet, sodass die Atome wieder ein Kondensat bilden konnten, fiel ihnen das Tunneln wesentlich leichter und es gab deutliche Abweichungen von der Landau-Zener-Vorhersage. Die Atome konnten einzeln aus dem Kondensat heraus tunneln, wobei die Tunnelwahrscheinlichkeit durch die Bose-Statistik erhöht war. Zudem führten die einzelnen atomaren Übergänge dazu, dass nicht nur eine vermiedene Energiekreuzung vorlag sondern viele, die miteinander verschmolzen.
Diese Vielteilcheneffekte zeigten sich ganz deutlich, als die Forscher der linken Mulde, in der das Kondensat saß, anfangs die größere Energie gaben. Dann senkten sie die linke Mulde ab und hoben die rechte an. Einzelatome tunnelten auch in diesem Fall so in die rechte Mulde, wie es von der Landau-Zener-Formel vorhergesagt wurde, obwohl die rechte Mulde am Ende eine größere Energie hatte als die linke. Das Kondensat hatte jedoch erhebliche Schwierigkeiten beim Tunneln, selbst für kleine Geschwindigkeiten α. Es blieb größtenteils in der linken Mulde gefangen und gab seine überschüssige Energie in Form von Phononen ab. Das nicht-adiabatische Verhalten des Kondensats führen die Forscher darauf zurück, dass der obere Energiezweig des Kondensats an der Resonanzenergie eine Schlaufe bildet, die verhindert, dass das Kondensat den Zweig ganz durchlaufen kann. Es kommt zu einer Instabilität und das Kondensat muss auf den unteren Energiezweig springen. Aus dem Gleichgewicht gebracht, sind Bose-Einstein-Kondensate also noch interessanter.
RAINER SCHARF
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