18.10.2016

Künstliche Zellen aus Hydrophobinen

Erstmals Kugeln mit Doppelmembran aus natür­lichen Proteinen ent­wickelt.

Die Forscher der Universität des Saarlandes um Karin Jacobs hatten eigentlich etwas ganz anderes im Sinn. Ursprüng­lich wollten sie die Eigen­schaften bestimmter natürlich vorkom­mender Proteine erforschen und beschreiben. „Uns fiel auf, dass diese Hydro­phobine Kolonien bilden, wenn man sie in Wasser gibt. Sie ordnen sich sofort dicht an dicht an den Grenz­flächen zwischen Wasser und Glas oder zwischen Wasser und Luft an“, sagt Jacobs. „Zwischen den einzelnen Hydro­phobinen muss also eine Anziehungs­kraft herrschen, sonst würden sie sich nicht zu Kolonien zusammen­finden.“ Aber wie stark diese Kraft ist, wussten sie und ihre Mitar­beiter nicht.

Abb.: Hydrophobine sind eine Familie natürlich vor­kommen­der Proteine mit einem wasser­lie­benden (blau) und einem wasser­ab­sto­ßenden Teil (rot; Bild: U. Saar­land).

An dieser Stelle kam Ralf Seemann ins Spiel. Sein Team beschäftigt sich mit Vor­gängen, die sich an den Grenz­flächen zweier Flüssig­keiten abspielen. Die Forscher haben nun, genau wie an einer Straßen­kreuzung mit vier Einmün­dungen, in einer winzigen Versuchs­anordnung einen Ölstrom quer über die Kreuzung geschickt. Von den anderen beiden Einmün­dungen aus ließen sie nun „Wasser­finger“, in denen sich die Hydro­phobine ganz vorne anord­neten – sie streben ja immer an die Grenz­fläche des Mediums, in dem sie schwimmen – in diese Kreuzung hinein­ragen. Die Forscher drückten diese Finger stetig weiter aufein­ander zu, um zu sehen, ab welchem Zeit­punkt die Anziehungs­kraft wirkt. „Irgend­wann schnappen die beiden Wasser­finger dann zusammen und bildeten eine einzige stabile Grenz­fläche aus zwei Lagen“, sagt Seemann. „Das Verrückte dabei ist: Es funktio­niert auch anders herum, also mit Ölfingern, die einen Wasser­strom unter­brechen“, erklärt der Forscher. Das sei neuartig, denn bei anderen Molekülen funktio­niert das nur in einem der beiden Szenarien. Ursache für dieses Verhalten ist, dass sich die Proteine normaler­weise entweder mit ihrer wasser­liebenden, der hydro­philen Seite, an ein wässriges Medium anheften, oder mit ihrer hydro­phoben Seite an einem öligen Medium. Dass eine Sorte von Mole­külen in beiden Umgebungen gleich­zeitig stabile Doppel­lagen bildet, ist neu.

Von dieser Erkenntnis angetrieben, wollten die Forscher in einem dritten Experi­mentier­schritt dann heraus­finden, ob sich die stabile Doppel­lage zu einer Art Transport­tasche, einem Vesikel, formen lässt. Ähnlich wie eine Seifen­blase haben sie dazu die stabile Doppel­membran aufge­blasen, aller­dings mit Flüssig­keit, nicht mit Luft. Es funktio­nierte: Die zell­artige Kugel mit der Doppel­membran aus natür­lichen Proteinen blieb stabil. „Das hat bisher noch niemand gemacht“, freut sich Jean-Baptiste Fleury, der diese Experi­mente durch­ge­führt hat, über den Erfolg. Künstlich herstell­bar waren bisher nur ein­lagige Membranen oder Vesikel aus speziell synthe­ti­sierten Makro­mole­külen. Vesikel mit einer Doppel­membran aus natür­lichem Protein, die dazu noch maßge­schneidert entweder für eine wässrige oder eine ölige Umgebung geeignet sind, gibt es bisher nicht.

In einem weiteren Schritt haben die Wissenschaftler nachge­wiesen, dass sich in diese Vesikel auch Ionen­kanäle ein­lagern lassen, die geladene Teilchen durch die Doppel­lage aus Hydro­phobinen trans­por­tieren können, genau wie bei einer natür­lichen Zell­wand, die aus einer Doppel­lage aus Lipid­mole­külen besteht. Dadurch haben die Forscher die Grund­lage für weitere Arbeiten gelegt, zum Beispiel für einen ziel­ge­naueren Wirk­stoff­trans­port. Man könnte in solchen Vesikeln zum Beispiel wasser­lös­liche Mole­küle durch eine wässrige Umgebung hindurch trans­por­tieren und öllös­liche durch eine ölige Umgebung.

UdS / RK

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen