Licht aus dem Inneren des Tunnels
Bislang unbekannter Mechanismus für optische Nichtlinearität entdeckt.
Physiker vom Max-Born-Institut in Berlin und der Universität Rostock haben einen bislang unbekannten Mechanismus für optische Nichtlinearität aufgedeckt. Der Mechanismus entsteht durch das lichtinduzierte Tunneln von Elektronen im Inneren von nichtleitenden Stoffen. Für Strahlungsintensitäten nahe der Zerstörschwelle des Materials wird der beim Tunneln entstehende nichtlineare Strom zur dominanten Quelle heller Lichtblitze, die Harmonische niedriger Ordnung der einfallenden Strahlung sind. Diese Ergebnisse des Forscherteams erweitern nicht nur das grundlegende Verständnis von optischer Nichtlinearität elektrisch nichtleitender Materialien, sondern auch das Potenzial für ihre Anwendung in der Informationsverarbeitung und optischer Materialverarbeitung erheblich.
Das heutige Verständnis von nichtlinearer Optik bei moderaten Lichtintensitäten basiert auf der Kerr-Nichtlinearität, die die nichtlineare Verschiebung fest gebundener Elektronen unter dem Einfluss eines einfallenden optischen Lichtfeldes beschreibt. Dieses Bild ändert sich dramatisch, wenn die Intensität dieses Lichtfeldes hoch genug ist, um die gebundenen Elektronen aus ihrem Grundzustand herauszuschleudern, was bei langen Wellenlängen des einfallenden Lichtfeldes mit dem Phänomen des Tunnelns beschrieben wird.
Dass die Elektronen, die am Ende des Tunnels entstanden sind, eine wichtige Quelle für optische Nichtlinearität darstellen, ist bereits seit den 1990er Jahren aus bahnbrechenden Arbeiten des kanadischen Wissenschaftlers François Brunel bekannt. Dieser Tunnelprozess findet mit maximaler Wahrscheinlichkeit am Scheitelpunkt der Lichtwelle statt. Brunel hatte gezeigt, dass die Elektronenbewegung nach dem Verlassen des Tunnels eine Quelle für eine intensive Lichtemission darstellt. Dieses Bild hat sich nun grundlegend geändert. „In dem neuen Experiment an Glas konnten wir zeigen, dass der mit dem quantenmechanischen Tunnelprozess verbundene Strom selbst eine optische Nichtlinearität erzeugt, die den traditionellen Brunel-Mechanismus deutlich übertrifft“, erklärt Alexandre Mermillod-Blondin vom Max-Born-Institut für nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie, der das Experiment leitete. Bei dem Experiment wurden zwei ultrakurze Lichtpulse mit unterschiedlichen Wellenlängen und leicht unterschiedlichen Ausbreitungsrichtungen auf eine dünne Platte aus Glas fokussiert und eine zeit- und frequenzaufgelöste Analyse der entstehenden Lichtemission durchgeführt.
Der Gruppe um Thomas Fennel, der an der Universität Rostock und am Max-Born-Institut arbeitet, gelang es dann den für die Emission verantwortlichen Mechanismus zu identifizieren. „Umfangreiche Simulationen und die Analyse der gemessenen und vorhergesagten Signale mit Hilfe einer Kennzahl, die wir als effektive Nichtlinearität bezeichnen, waren der Schlüssel dazu. Damit wurde es möglich, den neuen Ionisationsstrommechanismus von anderen möglichen Mechanismen zu unterscheiden und seine Dominanz zu demonstrieren“, erklärt Fennel. Der nun entdeckte Mechanismus sowie die neue Metrologie zur Charakterisierung optischer Nichtlinearität könnten es Forschern in zukünftigen Studien ermöglichen, lichtgetriebene Ionisation und Lawinenbildung in dielektrischen Materialien mit bisher unerreichter Auflösung zeitlich aufzulösen und zu steuern – letztlich möglicherweise sogar auf der Zeitskala eines einzigen Lichtzyklus.
FVB / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
P. Jürgens et al.: Origin of strong-field-induced low-order harmonic generation in amorphous quartz, Nat. Phys., online 29. Juni 2020; DOI: 10.1038/s41567-020-0943-4 - Starkfeld-Nanophysik (T. Fennel), Institut für Physik, Universität Rostock