Licht definiert seinen eigenen geschützten Weg
Nichtlinearer topologischer Isolator ermöglicht Lichtpulsen Induktion einer kurzlebigen topologischen Domäne in ihrem Umfeld.
„Photonen sind von Natur aus schwer zu zähmen“, erklärt Alexander Szameit von der Uni Rostock. „Kaum hat man sie an einem definierten Ort und zu einem definierten Zeitpunkt gesammelt, verselbstständigen sie sich schon wieder.“ Deshalb suchen Forscher seit Jahrhunderten nach Methoden, um Licht in gewünschte Bahnen zu lenken. Linsen und gekrümmte Spiegel konzentrieren Licht in einem Brennpunkt. Leistungsstarke Laser erzeugen kohärente Strahlen und kurze intensive Lichtpulse. Und optische Glasfaserkabel transportieren die gigantischen Datenmengen des Internets rund um die Welt. Doch Lichtwellen sind empfindlich. Schon ein kleiner Sprung in einer Linse, ein Staubkorn im Laserstrahl oder ein Knick in der Faser können die komplexen Mechanismen durcheinanderbringen, die Licht zum vielseitigen Werkzeug machen.
Topologische Isolatoren sind Festkörper, deren Inneres für Elektronen undurchdringlich ist. Gleichzeitig leitet ihre Oberfläche jedoch elektrische Ströme komplett ungehindert. Ihre photonischen Gegenstücke haben Szameit schon lange fasziniert. „Seit es uns das erste Mal gelungen ist, einen topologischen Isolator für Licht zu realisieren, arbeiten wir an neuen Wegen, diese einzigartigen Materialien nutzbar zu machen,“ so der Forscher.
Photonische topologische Isolatoren führen Licht entlang genau definierter Bahnen. Die ihnen zugrundeliegenden mathematischen Prinzipien sorgen dabei für eine enorme Widerstandsfähigkeit gegenüber Herstellungsfehlern und äußeren Störeinflüssen. Aber gerade diese herausragenden Eigenschaften sind auch eine Hürde für ihren technologischen Einsatz. „Ist Licht einmal in einem topologischen Kanal gefangen, erfährt es keine Streuverluste mehr. Dies bedeutet aber auch, dass es von außen nicht mehr gesteuert werden kann, ohne den eben erst mühsam aufgebauten Schutz zu zerstören,“ sagt Matthias Heinrich, Mitarbeiter im Team von Szameit.
Auf dem Papier schien die Lösung schnell gefunden. „Im Prinzip ist es ganz einfach. Man braucht nur einen Schalter, mit dem man die topologischen Eigenschaften des Systems zwischen zwei aufeinanderfolgenden Lichtpulsen ein- oder ausschalten kann,“ so Szameit. Die Topologie eines Systems hängt jedoch direkt mit der globalen räumlichen Anordnung seiner Bestandteile zusammen, während die Länge von ultrakurzen Laserpulsen in Femtosekunden gemessen wird – also viele Größenordnungen außer Reichweite der schnellsten Steuerelektronik.
In Zusammenarbeit mit Theoretikern aus Rostock, Barcelona, Lissabon und Moskau entwickelten die Forscher der Uni Rostock jetzt ein Material, in dem die Lichtpulse entscheiden können, ob sie den topologischen Schutz aktivieren oder sich wie in einem herkömmlichen Material ausbreiten. „Abhängig von ihrer Spitzenintensität können sich optische Pulse fundamental unterschiedlich verhalten,“ erklärt Team-Mitglied Lukas Maczewsky. „Das Zauberwort heißt Nichtlinearität.“ Zwei Jahre intensiver Forschungsarbeit und zahllose Stunden in den Laboren sind jetzt von Erfolg gekrönt. Der nichtlineare topologische Isolator – ein neuartiges synthetisches Material – gestattet es Lichtpulsen oberhalb einer bestimmten Leistungsschwelle, eine kurzlebige topologische Domäne in ihrem direkten Umfeld zu induzieren.
Das Ergebnis der internationalen Kooperation stellt einen bedeutenden Fortschritt der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Quantenoptik und der topologischen Photonik dar. Auch wenn es noch einige Hürden zu überwinden gilt, bis daraus Bausteine eines funktionstüchtigen optischen Quantencomputers werden, sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt, wenn es um innovative Anwendungen der entwickelten Materialien geht. Photonische Datenverarbeitung und lichtbasierte neuronale Netzwerke könnten durch den rasanten wissenschaftlichen Fortschritt schon bald Realität werden.
U. Rostock / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
L. J. Maczewsky et al.: Nonlinearity-induced photonic topological insulator, Science 370, 701 (2020); DOI: 10.1126/science.abd2033 - AG Experimentelle Festkörperoptik (A. Szameit), Institut für Physik, Universität Rostock