Lichtkristall im Ungleichgewicht
Neue Methode vereinfacht Identifizierung topologischer Quantenzustände.
Aus den Gesetzen der Quantenphysik ergibt sich, dass sich Elektronen wellenartig verteilen. Diese Wellen können in manchen Materialien eine geometrisch recht komplizierte Form annehmen. In topologischen Materialien gibt es Elektronen-Zustände, die für technische Anwendungen sehr interessant sein können, allerdings ist es ausgesprochen schwierig, diese Materialien und die dazugehörigen Elektronenzustände zu identifizieren.
Von der TU Wien und mehreren Forschungsgruppen aus China wurde dazu nun eine neue Idee entwickelt und im Experiment umgesetzt. Eine Art „Kristall aus Lichtwellen“ wird erzeugt, um Atome genau im richtigen geometrischen Muster festzuhalten. Diese Lichtkristalle, die auch bisher schon in unterschiedlicher Form für die Manipulation von Atomen verwendet wurden, kann man nun verwenden, um das System gezielt aus dem Gleichgewicht zu bringen: Man schaltet zwischen einfachen und komplizierten Zuständen hin und her, und das System verrät dabei, ob es topologisch interessante Zustände hat oder nicht.
Die Bedeutung der Topologie erkennt man leicht, wenn man etwa einen Donut mit einem Kuchenstück vergleicht. „Mit Quantenzuständen ist es so ähnlich“, erklärt Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien. „Quantenzustände können eine nichttriviale Topologie haben, die gegenüber Störungen sehr stabil ist, auch wenn sich bestimmte Details ändern. Das macht sie technisch so interessant – denn mit Störungen hat man in jedem Experiment und in jedem technischen Gerät immer zu kämpfen.“ Im Jahr 2016 wurde der Physik-Nobelpreis für Forschung an topologischen Materialeigenschaften vergeben, doch immer noch gilt es als äußerst schwierig, bei einem bestimmten Material überhaupt festzustellen, ob es topologisch interessante Zustände zulässt oder nicht.
„Wir beschäftigen uns mit Quantenzuständen, die sich nicht im Gleichgewicht befinden, die also gerade dabei sind, sich rasch zu verändern“, sagt Schmiedmayer. „Das ist meist schwierig, aber wie wir zeigen konnten, kann man auf diese Weise oft hochinteressante Informationen bekommen.“ Diese Erkenntnisse aus Wien brachte Schmiedmayer nun in eine Kooperation mit Forschungsteams aus China in ein gemeinsames Projekt ein. „Geleitet wurde das Experiment von Shuai Chen, in der Forschungsgruppe von Jian-Wei Pan. Beide waren einst mein Mitarbeiter in Heidelberg, und seit ihrer Rückkehr nach China arbeiten wir eng zusammen“, berichtet Schmiedmayer.
Mit Hilfe von Lichtwellen können Atome an bestimmten Stellen festgehalten werden, sodass ein regelmäßiges Gitter aus Atomen entsteht, ähnlich wie in einem Kristall. Indem man das Licht verändert, kann man auch die Geometrie der Atom-Anordnung umschalten, und dabei untersuchen, wie sich die Elektronen-Zustände ändern.
„Bei dieser Veränderung wird schlagartig ein massives Ungleichgewicht erzeugt“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Die Quantenzustände müssen sich neu anordnen und ein neues Gleichgewicht anstreben, ähnlich wie Kugeln, die man von einem Hügel nach unten rollen lässt, bis sie im Tal einen Gleichgewichtszustand finden. Und wir konnten nun klare Signaturen finden, durch die uns das System genau während dieses Ungleichgewichtsprozesses verrät, ob topologisch interessante Zustände zu finden sind oder nicht.“
Für die Forschung an topologischen Materialien ist das eine wichtige neue Erkenntnis. Man könnte sogar die künstlichen Lichtkristalle anpassen, um bestimmte Kristallstrukturen zu simulieren und dadurch neue topologische Materialien zu finden.
TU Wien / DE