Lichtstrahl macht von selbst die Biege
Bestimmte Lösungen der Maxwell-Gleichungen laufen im leeren Raum um die Ecke.
Ein Lichtstrahl kann im Vakuum eine Kurve machen, ohne dabei aufzufächern, selbst wenn das elektromagnetische Feld keinen äußeren Einflüssen unterliegt. Das haben Forscher in Israel berechnet – und Experimente bestätigen dies.
Licht breitet sich normalerweise gradlinig aus, wenn man von Beugungseffekten absieht. „Bessel-Strahlen“, die man näherungsweise mit ringförmigen Blenden erzeugt, behalten ihre Ausbreitungsrichtung bei, ohne gebeugt zu werden und auseinanderzulaufen. Doch es gibt auch andere „nichtbeugende“ Lichtstrahlen, die überraschenderweise von selbst aus der ursprünglichen Strahlrichtung ausbrechen, wie theoretische Untersuchungen gezeigt hatten. Sie beruhen auf Lösungen der Maxwell-Gleichungen, die ihre Form nicht verändern und sich dabei beschleunigt bewegen, ohne dass Kräfte auf sie einwirken.
Abb.: Der von unten kommende Lichtstrahl biegt nach links ab. Dabei „heilt“ er sich selbst, wie die gepunktete Bahn zeigt: Wird der Strahl anfangs ausgeblendet, so bildet er sich nach kurzer Wegstrecke erneut. (Bild: I. Kaminer et al., PRL)
Die bisher konstruierten Lösungen mussten allerdings paraxial sein, das heißt der Winkel zwischen dem Wellenvektor des Lichts und der optischen Achse musste hinreichend klein sein – und es auch bleiben. Doch jetzt haben Forscher um Moti Segev Lösungen der Maxwell-Gleichungen konstruiert, die nichtparaxiale monochromatischen Lichtstrahlen entsprechen, die fast um 90 Grad aus ihrer ursprünglichen Richtung abweichen können.
Der Schlüssel zu diesem ungewöhnlichen Verhalten der Lichtstrahlen liegt in einer Beobachtung, die Michael Berry und Nandor Balazs 1979 gemacht hatten. Sie hatten zeitabhängige Lösungen der eindimensionalen, potentialfreien Schrödinger-Gleichung konstruiert, die sich bewegen, ohne ihre Form zu ändern und auseinanderzulaufen. Neben ebenen Wellen fanden sie auch Lösungen in Form einer Airy-Funktion, die sich beschleunigt bewegen, obwohl keine Kraft auf sie wirkt.
Berry und Balazs zeigten, dass dieses Verhalten nicht dem Ehrenfest-Theorem widerspricht, demzufolge sich der Schwerpunkt eines kräftefreien Wellenpakets unbeschleunigt bewegen muss. Das Theorem kann nicht zur Anwendung kommen, da die Airy-Funktion nicht quadratintegrabel ist und sich nicht als Wahrscheinlichkeitsdichte für ein einzelnes, kräftefreies Teilchen interpretieren lässt. Vielmehr repräsentiert sie eine unendliche Zahl von Teilchen, wie das ja auch bei einer ebenen Welle der Fall ist.
Bei der Airy-Funktion sind diese Teilchen für t=0 in Form einer Parabel x = –p2 über den Phasenraum verteilt. Obwohl sich jedes der Teilchen kräftefrei bewegt, bewegt sich die gesamte Parabel mit konstanter Beschleunigung entlang der x-Achse (und folglich mit konstanter Geschwindigkeit entlang der p-Achse), ohne dabei ihre Form zu ändern. Die dieser Parabel zugehörige Wellenfunktion bewegt sich ebenfalls beschleunigt entlang der x-Achse.
Nicht nur die Schrödinger-Gleichung hat solche beschleunigten Lösungen, sondern auch andere lineare Wellengleichungen, wie etwa die Helmholtz-Gleichung, die sich aus den im Vakuum geltenden Maxwell-Gleichungen ergibt. Das hatten Demetrios Christodoulides und seine Mitarbeiter 2007 für den eindimensionalen Fall berechnet, und sie hatten solche beschleunigten Airy-Strahlen experimentell nachgewiesen.
In zwei oder drei Dimensionen eröffnet die beschleunigte Bewegung der Lichtwellen die Möglichkeit, Lichtstrahlen zu erzeugen, die ihre Anfangsrichtung verlassen. Allerdings zeigte es sich, dass der „Airy-Trick“ versagt, sobald ein Strahl merklich von seiner Anfangsrichtung abweicht und nicht länger paraxial ist. Deswegen haben Moti Segev und seine Mitarbeiter einen allgemeineren Lösungsansatz gewählt. Sie haben strahlförmige Lösungen der zweidimensionalen Helmholtz-Gleichung konstruiert, bei der der Strahl eine Kurve in Form eines Viertelkreises macht. Diese Lösungen konnten sie auf Bessel-Funktionen zurückführen.
Die Forscher fanden sowohl transversal-elektrische (TE) als auch transversal-magnetische (TM) Lösungen, bei denen das elektrische Feld bzw. das Magnetfeld senkrecht zur Ausbreitungsrichtung steht. Sie verfolgten die Entwicklung des Strahls, indem sie die Raumbereiche suchten, in denen das elektrische Feld besonders intensiv war. Bei der TM-Lösung änderte sich die Polarisationsrichtung entlang des Strahls. Zunächst zeigte der Strahl in z-Richtung und war in x-Richtung polarisiert, dann bog der Strahl ab, sodass er in x-Richtung zeigte und nun in z-Richtung polarisiert war. Der Strahl war also nicht nur gebogen sondern hatte sich auch verdreht.
Die konstruierten Lösungen erwiesen sich als stabil gegen Störungen, ja sie zeigten sogar „Selbstheilung“: Wurde der intensivste Bereich eines Strahls eingangs der von ihm beschriebenen Kurve ausgeblendet, so trugen die den Strahl umgebenden Bereiche des elektromagnetischen Feldes dazu bei, dass der Strahl wiedererstand und seine gekrümmte Bahn fortsetzen konnte.
Inzwischen haben französische Forscher um Francois Courvoisier gekrümmte Strahlen erstmals mit Femtosekundenlaserpulsen erzeugt. Allerdings liefen diese Lichtfelder schließlich auseinander, da sie strenggenommen keine „nichtbeugenden“ Strahlen waren – im Gegensatz zu den Strahlen, die Segev und seine Kollegen konstruiert hatten. Doch die israelischen Wissenschaftler sind zuversichtlich, dass sich auch diese Strahlen experimentell realisieren lassen.
Die gekrümmten Strahlen eröffnen faszinierende Möglichkeiten – und das nicht nur für Lichtwellen sondern z. B. auch für Schallwellen oder Oberflächenwellen in Flüssigkeiten. So könnte man strahlenförmige Bereiche mit hoher Wellenamplitude gezielt um Hindernisse herumführen. Im Zusammenhang mit der nichtlinearen Optik würden sich dann weitere interessante Möglichkeiten ergeben.
Rainer Scharf
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