Macht radioaktive Strahlung Quarzglas flüssig?
Simulationen zeigen markante Unterschiede zum glasartigen Erstarren von Schmelzen
Für hochradioaktive Abfälle gibt es Verglasungsverfahren, die den Abfall in widerstandsfähige Kokillen aus Borosilikatglas einschmelzen. Die ungeordnete glasartige Struktur bietet den Vorteil hoher Stabilität gegenüber Hitze und Säuren und soll sich bei radioaktiver Strahlung stetig selbst heilen. Zweifel an diesem Prozess hegen nun Wissenschaftler an der University of California in Los Angeles. Sie simulierten das Verhalten von Silikatgläsern unter Neutronenbeschuss. Dabei entdeckten sie, dass die Strukturänderungen bei Bestrahlung mehr zu einer bisher unbekannten Unordnung wie in Flüssigkeiten neigt. Sollte sich dieses Verhalten auch experimentell bestätigen lassen, müsste die Stabilität von Glaskokillen neu bewertet werden.
Abb.: Simulation von Strukturdefekten in Silikat nach dem Beschuss mit Neutronen (Bild: N.M. Anoop Krishnan / UCLA)
Mathieu Bauchy und seine Kollegen von der UCLA-
Für die Materialänderungen durch radioaktive Strahlung gingen sie von einem Beschuss mit Neutronen mit einer kinetischen Energie von jeweils 600 Elektronenvolt aus. Diese Neutronen stießen in zufällig verteilter Richtung ballistisch auf die Atome im Silikatverbund und führten über eine Kettenreaktion zu einer Änderung der Atompositionen. Für die Silikatstruktur nach einem schockartigen Erstarren starteten sie die Simulation mit einer Schmelze bei 4500 Kelvin, die mit einem Kelvin pro Pikosekunde bis auf 300 Kelvin abgekühlt wurde. Bei beiden Systemen warteten sie solange ab, bis sich ein relatives Gleichgewicht einstellte.
Beide Simulationen zeigten über die gesamte Superzelle auf den ersten Blick einen sehr ähnlichen Aufbau. Auch für die Dichte ergaben sich fast identische Werte von 2,2 Gramm pro Kubikzentimeter. Markante Unterschiede zwischen der erstarrten Schmelze und dem Silikat nach Neutronenbeschuss offenbarten sich jedoch bei der Nahordnung mit Atomabständen bis drei Ångström und über mittlere Abstände zwischen drei und zehn Ångström. Das virtuell mit Neutronen beschossene Silikat wies auf dieser Größenskala mehr Defekte in Form von Ringstrukturen mit sechs bis zehn Atomen und gemeinsamen Eckatomen bei benachbarten Silikateinheiten auf.
„Die atomare Struktur des bestrahlten Materials gleicht eher einer Flüssigkeit als einem Glas“, sagt Mathieu Bauchy. Trotz vielfacher detaillierter Strukturanalysen verschiedener Silikate könnte seiner Meinung nach der schädigende Einfluss eines Neutronenbeschuss auf die Silikatstruktur bisher unterschätzt werden. Allein die markanten Unterscheide der beiden simulierten Silikatstrukturen lege laut Bauchy nahe, dass diese Gläser doch wesentlich durch radioaktive Strahlung beeinflusst werden könnten.
Das bisher magere Verständnis über den Einfluss von schnellen Neutronen auf die Struktur von Silikaten beurteilen die Forscher als ein ernst zu nehmendes Risiko für den als sicher geltenden Einschluss radioaktiver Substanzen in Glaskokillen. Ihre Simulationen wollen die Forscher nun auch auf Zement-
Jan Oliver Löfken
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