Magnetoakustische Wellen für die Elektronik
Piezoelektrisch angeregte Spinwellen erreichen hohe Auslenkung bei großer Reichweite.
Die Magnonik, die sich mit magnetischen Phänomenen in Festkörpern befasst, gilt als vielversprechendes Gebiet, um eine Revolution in der Elektronik anzustoßen. Dabei stehen insbesondere Magnonen genannte Spinwellen im Fokus der Forschung. Bei diesen pflanzt sich eine Auslenkung der Spinachsen parallel ausgerichteter Elektronenspins in einem Material fort, was im Wesentlichen ohne Energieverlust stattfindet. Denn bei den Spinwellen müssen sich keine Ladungsträger bewegen, sondern lediglich die miteinander gekoppelten Spins neu ausrichten. Neben einer im Prinzip um Größenordnungen höheren Rechengeschwindigkeit und Taktfrequenz fiele auch weniger Wärme an. Außerdem wäre die Kontaktierung von magnonischen Bauteilen wesentlich einfacher zu gestalten.
Noch fehlt es allerdings an gut zu steuernden Materialien, die solche Spinwellen zuverlässig und schnell über ausreichend große Distanzen weiterleiten. Ein internationales Forscherteam um Ferran Macià von der Universität Barcelona hat jetzt eine interessante neue Möglichkeit der Spinkontrolle vorgeschlagen. Diese unterscheidet sich von bisherigen Verfahren, die vor allem auf zeitlich veränderlichen magnetischen Feldern beruhen. Solche Felder benötigen kleine Antennen, die Magnetpulse aussenden. Das bringt die Elektronenspins zwar zum Wackeln – allerdings ist der Effekt begrenzt. Typischerweise liegt die Amplitude der Spinauslenkung nur im Bereich von etwa einem Grad oder weniger. Außerdem ist die Reichweite der Spinwellen gering und beträgt häufig nur wenige Mikrometer. Auch andere Verfahren, die etwa mit Laserpulsen oder spinpolarisierten Strömen solche Spinwellen anregen, haben mit dem Problem zu kämpfen, das das Material der Ausbreitung zu großen Widerstand entgegensetzt.
Die Wissenschaftler um Macià setzen deshalb auf ein anderes Konzept. Ihre Idee besteht darin, die Spinwellen mit Hilfe von piezoelektrisch angeregten akustischen Wellen anzutreiben. So ist schon lange bekannt, dass Zug- oder Druckbelastungen, wie sie bei akustischen Wellen auftreten, die magnetischen Eigenschaften im Material beeinflussen können. Die Wissenschaftler trugen einen dünnen Nickelfilm auf einem piezoelektrischen Substrat auf. Die verzahnenden Antennen dazwischen waren in der Lage, akustische Oberflächenwellen im Bereich von 0,1 bis 2,5 Gigahertz zu erzeugen. Um die entstehenden Wellen auszumessen, bedienten sich die Wissenschaftler der Photoemissions-Elektronenmikroskopie an der CIRCE-Beamline des ALBA-Synchrotrons bei Barcelona.
Die Oberflächenwellen waren mit der Wiederholungsrate des ALBA-Synchrotrons synchronisiert, so dass die Forscher stroboskopische Aufnahmen der Zugbelastungen im Material und gleichzeitig auch der Magnetisierung aufnehmen konnten. Dabei erreichten sie eine räumliche Auflösung von weniger als hundert Nanometer. Wie sich bei den Aufnahmen zeigte, kam es zu einer beträchtlichen Auslenkung der Spinorientierung. Die Variation betrug bis zu 25 Grad bei entgegengesetzter Phase der Oberflächenwellen – und zwar bei Raumtemperatur. Es ist also möglich, Magnetisierungswellen hoher Amplitude zu erzeugen, die allein durch die Formänderung beim Durchlauf akustischer Wellen erzwungen werden. Die Lauflänge dieser magnetoakustischen Wellen war überraschend lang: Die Wissenschaftler konnten eine Ausbreitung über etwa sechs Millimeter nachweisen. Die Wellenlänge betrug einige Mikrometer.
Dabei ließen sich im selben Aufbau unterschiedliche Frequenzen und Wellenlängen erzielen. Außerdem ließen sich die magnetoakustischen Wellen auch mit Hilfe eines externen Magnetfelds modulieren. Indem sie mehrere akustische Oberflächenwellen an verschiedenen Stellen im Material anregten, konnten die Wissenschaftler auch Interferenzmuster magnetoakustischer Wellen herstellen.
Diese Ergebnisse zeigen einerseits das Potenzial auf, mit einem kompakten Aufbau etwa Informationen auf einem Mikrochip zu übertragen. Auch die Kommunikation zwischen Mikrochip-Komponenten wäre möglich. Man kann auch zwei Spinwellen miteinander interferieren lassen, um damit eine logische Operation durchzuführen.
Akustisch angeregte magnetischen Wellen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie neben der größeren Lauflänge der Wellen auch weniger Energie zur Anregung benötigen als solche Wellen, die durch magnetische Wechselfelder oder spinpolarisierte Ströme erzeugt werden. Abgesehen von Anwendungen in der Elektronik können sich die Forscher auch vorstellen, dass sich solche magnetoakustischen Wellen für kleine Motoren eignen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung:
B. Casals et al.: Generation and Imaging of Magnetoacoustic Waves over Millimeter Distances, Phys. Rev. Lett. 124, 137202 (2020); DOI: 10.1103/PhysRevLett.124.137202 - Institut de Ciència de Materials de Barcelona, Universitat Autònoma de Barcelona, Spanien
RK