13.04.2012

Majoranas Spuren

In einem Nanodraht hat man Hinweise auf Majorana-Fermionen gefunden.

Jedes negativ geladene Fermion besitzt ein positives Antiteilchen, wie es die Dirac-Gleichung vorhersagt. So gehört zum Elektron das Positron. Ungeladene Fermionen wie die Neutrinos könnten der Dirac-Gleichung zufolge ihre eigenen Antiteilchen sein, wie der italienische Physiker Ettore Majorana 1937 herausfand. Majorana verschwand 1938 unter ungeklärten Umständen, und auch die Suche nach den von ihm postulierten Fermionen, die ihre eigenen Antiteilchen sind, bleib bisher erfolglos. Doch jetzt haben niederländische Physiker deutliche Hinweise auf Majorana-Fermionen gefunden.

Abb.: Der Nanodraht zwischen Normalleiter (N) und Supraleiter (S), in dem Hinweise auf Majorana-Fermionen gefunden wurden. (Bild: V. Mourik et al., Science)

Die Dirac-Gleichung beschreibt ein geladenes Fermion durch ein Feld ψ, das komplexe Werte annimmt und deshalb vom komplex konjugierten Feld ψ* verschieden ist, durch das das entsprechende Antiteilchen beschrieben wird. Ettore Majorana (1906-1938), der nach Enrico Fermis Zeugnis ein Genie ersten Ranges war, fand heraus, dass man die Dirac-Gleichung in eine Form bringen kann, so dass das Feld ψ reell ist und folglich mit dem Antiteilchenfeld ψ* übereinstimmt. Teilchen und Antiteilchen sind dann identisch. Ob das auch für Neutrinos gilt, sollen u. a. Experimente zum neutrinolosen Doppel-Betazerfall klären, bei dem sich die beiden entstehenden Neutrinos sogleich wieder vernichten.

Beim Wettrennen um den Nachweis von Majorana-Fermionen haben die Teilchenphysiker in letzter Zeit Konkurrenz von den Festkörperphysikern bekommen. Kondensierte Materie besteht zwar ausschließlich aus Elektronen, Protonen und Neutronen, die nicht ihre eigenen Antiteilchen sind. Doch in kondensierter Materie können Anregungen auftreten, deren Quasiteilchen exotische Eigenschaften besitzen. So könnten sich Elektronen in einem unkonventionellen Supraleiter mit Spintriplett-Paarung wie Majorana-Fermionen verhalten: Zwei Elektronen mit gleicher Energie und gleicher Spinrichtung „annihilieren“, indem sie ein Cooper-Paar bilden. Da die Spintriplett-Paarung aber sehr fragil ist, steht der Nachweis, dass dabei tatsächlich Majorana-Fermionen auftreten, noch aus.

In einem herkömmlichen Supraleiter paaren sich Elektronen mit entgegengesetzt gerichtetem Spin, die sich somit voneinander unterscheiden und deshalb keine Majorana-Fermionen sein können. Tritt indes eine starke Spin-Bahn-Kopplung zwischen dem Spin der Elektronen und ihrer Bewegung im Kristall auf, dann wird die Spinerhaltung verletzt und es ergeben sich neue Möglichkeiten. So entsteht etwa ein topologischer Isolator mit einer ungewöhnlichen Bandstruktur, der in seinem Inneren ein Nichtleiter ist, während er an seiner Oberfläche metallisch leitet.

Bringt man einen topologischen Isolator in Kontakt mit einem konventionellen Supraleiter, so wird aus dem Isolator ein topologischer Supraleiter, der sowohl eine ungewöhnliche Bandstruktur als auch die für Supraleiter charakteristische Bandlücke aufweist. Frühere Berechnungen hatten gezeigt, dass in der Mitte der Bandlücke Anregungen mit einer Energie E=0 auftreten, die durch Paarung von Elektronen und Löchern entstehen und somit ungeladen sind. Die entsprechenden Quasiteilchen sitzen auf der metallischen Oberfläche des Supraleiters und sollten sich wie Majorana-Fermionen verhalten.

Im Jahr 2010 hatte zwei Forschergruppen um Sankar das Sarma von der University of Maryland bzw. Felix von Oppen von der FU Berlin unabhängig voneinander vorhergesagt, dass man gar keinen topologischen Supraleiter benötigt, wenn man Majorana-Fermionen beobachten will. Sie sollten auch dann auftreten, wenn man einen Nanodraht, der aus einem herkömmlichen Halbleitermaterial mit einer starken Spin-Bahn-Kopplung besteht, mit einem Supraleiter in Kontakt bringt. Leo Kouwenhoven und seine Kollegen von an der TU Delft haben diese Vorhersage jetzt experimentell überprüft.

Die Forscher haben einen InSb-Halbleiternanodraht auf eine Unterlage mit verschiedenen elektrischen Kontakten aufgetragen. An einem Ende war der Draht an eine Goldelektrode angeschlossen, am anderen Ende seitlich mit einem Supraleiter verbunden. Einer der elektrischen Kontakten erzeugte durch eine Gate-Spannung eine Tunnelbarriere im Draht, die ihn in einen normal- und einen supraleitenden Abschnitt teilte. Kouwenhoven und seine Mitarbeiter maßen den differentiellen Tunnelstrom dI/dV im Draht in Abhängigkeit von der angelegten Spannung und dem Magnetfeld, dem der Draht ausgesetzt wurde. In der Meßkurve fanden sie mehrere Maxima, die sich bekannten Anregungen zuordnen ließen. Doch ein Maximum bei V=0 war ungewöhnlich und verhielt sich anders als alle bekannten Anregungen in Supraleitern. Es hing, im Gegensatz zu den anderen Maxima, weder von der Gate-Spannung noch von der Stärke des Magnetfeldes ab, wenn dieses parallel zum Draht gerichtet war.

Das beobachtete Maximum entsprach einer Anregung aus ungeladenen Teilchen mit einer Energie E=0, was im Einklang damit ist, dass es sich dabei um Majorana-Fermionen handelte. Die Forscher überprüften dies, indem sie das Experiment abänderten und z. B. den an den Draht angefügten Supraleiter durch einen Normalleiter ersetzten oder die Richtung des Magnetfeldes änderten. Der Theorie zufolge konnten dann keine Majorana-Fermionen auftreten. Und tatsächlich beobachteten die Forscher in diesen Fällen, dass der ominöse „Peak“ in der Tunnelstromkurve verschwand.

Noch sind nicht alle „Majorana-Forscher“ von diesem vermeintlichen Nachweis überzeugt. Deshalb wollen Kouwenhoven und seine Mitarbeiter zeigen, dass die von ihnen beobachteten Anregungen dieselben ungewöhnlichen topologischen Eigenschaften haben wie Majorana-Fermionen. Tauschen zwei dieser Teilchen ihre Plätze, so behalten sie das in „Erinnerung“, indem ihre Wellenfunktion eine topologische Phase gewinnt. Dieses Verhalten macht die Majorana-Fermionen interessant für das Quantencomputing. Ein direkter Nachweis dieser Phase würde wohl auch die Skeptiker überzeugen.

Rainer Scharf

PH

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