Nach dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik existiert zu jedem Teilchen ein Antiteilchen, das sich exakt gleich verhalten sollte. „Anti-Menschen“ in einer Anti-Welt würden somit die gleichen physikalischen Gesetze beobachten wie wir. Diese Annahme ist jedoch nur schwer zu überprüfen, da es fast unmöglich ist, Messungen an Antimaterie vorzunehmen: Wann immer ein Antiteilchen auf sein materielles Gegenstück trifft, vernichten sich die beiden Teilchen gegenseitig unter Freisetzung von Energie. Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat jetzt einen Weg gefunden, diese Hürde zu nehmen. In einem Experiment am CERN fangen die Forscher Antiprotonen in Heliumatomen ein. Da die Heliumatome aufgrund neuer Kühltechniken fast zum Stillstand kommen, lassen sich an den so gefangenen Antiprotonen hochgenaue spektroskopische Untersuchungen durchführen. „Wir erreichen für das Verhältnis von Antiproton- zu Elektron-Masse eine Genauigkeit von 800 zu einer Billion“, sagt Masaki Hori vom MPI für Quantenoptik.
Abb.: Schema des experimentellen Aufbaus, mit dem am CERN das Verhältnis von Antiproton- zu Elektron-Masse bestimmt wird. (Bild: M. Hori, MPQ)
Forscher des MPI für Quantenoptik bauten 1997 in Zusammenarbeit mit weiteren europäischen, amerikanischen und japanischen Gruppen den „Antiproton Decelerator“ am CERN. Hier werden die in Teilchenkollisionen bei hohen Energien erzeugten Antiprotonen gesammelt, zirkulieren in einer ringförmigen Vakuumkammer von 190 Meter Umfang und werden dort schrittweise abgebremst, bevor sie den Experimenten zugeführt werden. Die ASACUSA-Gruppe, zu der Hori als einer der Projektleiter gehört, schickt die Antiprotonen auf ein Helium-Target. Gewöhnliches Helium besteht aus einen Atomkern, der von zwei Hüllenelektronen umrundet wird. Wenn die Antiprotonen auf das Heliumgas treffen, ersetzen ungefähr drei Prozent der negativ geladenen Antiteilchen eines der Hüllenelektronen. Das Antiproton befindet sich in einer hoch angeregten Umlaufbahn in einer Entfernung von etwa 100 Pikometern von dem Heliumkern. Um seine Masse zu bestimmen, führen die Wissenschaftler hochpräzise spektroskopische Untersuchungen durch. Dazu bestrahlen sie die antiprotonischen Heliumatome mit Laserlicht, dessen Frequenz genau so eingestellt ist, dass das Antiproton von einer Energiebahn auf die nächste hüpft. Vergleicht man diese Frequenz mit theoretischen Berechnungen, dann lässt sich daraus die Masse des Antiprotons im Verhältnis zur Masse des Elektrons ableiten.
Die ständige thermische Bewegung der antiprotonischen Atome ruft jedoch prinzipielle Ungenauigkeiten hervor: Atome, die sich dabei auf den Laser zu bewegen, sehen aufgrund der Dopplerverschiebung eine andere Frequenz als Atome, die sich davon weg bewegen. Der große Fortschritt, über den das ASACUSA-Team jetzt berichtet, wurde durch ein neues Kühlverfahren erzielt, das die Atome auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, zwischen 1,5 und 1,7 Kelvin, bringt. „Wir benutzten dabei die Methode der Buffergas-Kühlung“, erklärt Hori. „Es ist überraschend, dass dieses Verfahren überhaupt funktioniert. Denn normalerweise würde man annehmen, dass die Atome des Buffergases, wenn sie mit den zur Hälfte aus Antimaterie bestehenden Heliumatomen zusammenstoßen, annihilieren. Hier wird die Annihilation aber dadurch verhindert, dass die Antiprotonen von dem verbliebenen Hüllenelektron sicher abgeschirmt werden.“ Die neuen Messungen, die auf zwischen 2010 und 2104 genommenen Daten von etwa zwei Milliarden Atomen beruhen, zeigten, dass das Antiproton 1836,1526734 Mal so schwer ist wie das Elektron. Dieser Wert ist in exzellenter Übereinstimmung mit einer kürzlich erfolgten Messung des Verhältnisses von Proton- zu Elektron-Masse.
Die Physiker glauben, dass in der Natur eine fundamentale Symmetrie herrscht, die CPT-Invarianz. Das CPT-Theorem postuliert, dass eine Antiwelt, in der alle Materie im Universum durch Antimaterie ersetzt, rechts und links vertauscht und überdies der Fluss der Zeit umgekehrt wird, von unserer realen Welt nicht zu unterscheiden ist. Könnte experimentell ein noch so kleiner Unterschied zwischen Materie und Antimaterie festgestellt werden, so würde das einen Bruch dieser fundamentalen Symmetrie bedeuten. Und diese Beobachtung könnte vielleicht zu einer Erklärung führen, warum das Universum, in dem wir leben, vollständig aus Materie besteht, obwohl doch bei seiner Entstehung im großen Urknall Materie und Antimaterie in gleicher Menge erzeugt wurden. „Wir sind zuversichtlich, dass wir die Genauigkeit unserer Messungen noch steigern können. Dafür wollen wir die Buffergas-Kühlung mit der Zwei-Photon-Spektroskopie kombinieren, die schon für sich die durch den Dopplereffekt hervorgerufenen Ungenauigkeiten reduziert“, resümiert Hori. Zu diesem Zweck wird am CERN schon das nächste Experiment mit Namen ELENA geplant.
MPQ / RK