Mehr Blackouts durch Intelligente Stromzähler?
Analysen Theoretischer Physiker wecken Zweifel, ob „Smart Meter“ Stromschwankungen im Netz verringern können.
Seit Anfang 2010 ist es in Deutschland Pflicht, intelligente Stromzähler in Neubauten oder grundsanierten Gebäuden zu installieren. Zusammen mit Tarifen, die je nach Tageszeit unterschiedlich sind, soll mit ihnen aktives Stromsparen möglich werden: Die programmierbare Waschmaschine beispielsweise soll dann laufen, wenn der Strom am billigsten ist. Wissenschaftler des Instituts für Theoretische Physik der Universität Bremen äußern jedoch Zweifel daran, dass dieser Ansatz immer das leistet, wozu er erdacht wurde – nämlich Stromschwankungen im Netz zu verringern.
Abb.: Bis 2020 sollen nach dem Willen der EU-Kommission achtzig Prozent aller Haushalte mit den neuen digitalen Zahlern ausgerustet sein. (Bild: EnBW)
Sie haben den Markt, der bei massenhaftem Einsatz von intelligenten Stromzählern entsteht, simuliert und sind zu einem überraschenden Ergebnis gekommen. Danach wird durch die intelligenten Stromzähler ein neuer künstlicher Strom-Markt geschaffen, der – wie alle Märkte – auch Blasen und sogar Crashs produzieren kann.
Es ist eine Folge der Energiewende und des technischen Fortschritts: Statt eines 24 Stunden geltenden Einheitsstrompreises können Haus-und Wohnungsbesitzer ihre Verbrauchsgeräte heute so programmieren, dass diese den günstigsten Strompreis nutzen – beispielsweise, um ihre Wäsche zu waschen. Voraussetzung sind ein intelligenter Stromzähler, der den aktuellen Strompreis übermittelt, und ein entsprechender Tarif, der die Schwankungen im Stromnetz berücksichtigt.
Strom ist noch nie gleichmäßig ins Netz eingespeist worden; Wind- und Solarenergie sorgen aber mittlerweile dafür, dass diese Schwankungen im Netz noch markanter sind. Die Idee hinter dem vorgeschriebenen Einsatz intelligenter Stromzähler ist, diese Schwankungen zu dämpfen: Wird viel Strom ins Netz eingespeist – zum Beispiel weil der Wind stark bläst –, wird der Strom günstiger. Steht wenig Strom zur Verfügung, ist er teurer und wird daher seltener abgerufen. Für den Nutzer einer Waschmaschine heißt dies ganz konkret, diese zu programmieren. In Verbindung mit dem Intelligenten Stromzähler bekommt sie erst dann ein Startsignal für die Wäsche, wenn eine vorher definierte Preisgrenze unterschritten wurde.
So weit, so gut. „Die Grundidee dahinter stammt aus der Wirtschaftstheorie, nach der Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Und darüber soll dann wiederum die Stromnachfrage angepasst werden: Viel Strom – viele Abnehmer, wenig Strom – wenige Abnehmer“, sagt Stefan Bornholdt vom Institut für Theoretische Physik der Uni Bremen. „Die Standardtheorie von Angebot und Nachfrage ist jedoch unvollständig, wenn eine riesige Zahl Konsumenten gleichzeitig um den günstigsten Preis konkurriert. Denn natürlich wollen alle ihre Wäsche waschen, wenn der Strom am billigsten ist.“
Doch das könnte womöglich nicht klappen. Die Bremer Forscher haben die Konkurrenzsituation der Konsumenten im Computer simuliert und herausgefunden, dass es in diesem neu entstehenden Segment des Strommarktes „chaotisch, wild und zappelig“ zugehen kann – ähnlich wie an einer Finanzbörse.
Ein Beispiel: „Wenn wenig Strom im Netz und der Preis daher teuer ist, wird das Waschen einfach verschoben. Aber das geht nicht unendlich lang, weil es sich beim Waschen um ein Grundbedürfnis handelt“, erläutert Bornholdt. „Je mehr von den Menschen vorprogrammierte Waschmaschinen nun auf ihren Start warten, desto höher steigt die potentielle Nachfrage: Eine Nachfrage-Blase bildet sich.“ Und die platzt spätestens, sobald der Preis wieder etwas absinkt: Weil viele Konsumenten aufgrund des sich aufstauenden Waschbedürfnisses ihre „Schmerzgrenze“ nach oben angepasst haben, starten plötzlich unzählige Waschmaschinen auf einmal. „Dann wird ein kollektiver Lawinen-Mechanismus ausgelöst, der die Stromnetze extrem belastet – Blackouts wegen unerwarteter Überlastung nicht ausgeschlossen“, so der Physiker.
Nach Meinung seines Teams ist der massenhafte Einsatz der neuen intelligenten Stromzähler „ein Schnellschuss, der nicht sorgfältig bis zum Ende durchdacht ist“. Man müsse die Versorger darauf aufmerksam machen, dass sich derartige Szenarien abspielen könnten. „In unserem Computermodell haben wir mit verschiedenen Variablen das nachvollzogen, was reale Menschen in solchen Situationen logischerweise tun würden“, so Bornholdt. „Der Einzelne weiß in solch einer Situation natürlich nicht, welche Folgen sein Verhalten hat, wenn es sich potenziert. Und leider wissen es auch diejenigen noch nicht, die den Strom bereitstellen.“
U. Bremen / OD