24.07.2015

Mehr Blackouts durch Intelligente Stromzähler?

Analysen Theoretischer Physiker wecken Zweifel, ob „Smart Meter“ Strom­schwan­kungen im Netz verringern können.

Seit Anfang 2010 ist es in Deutschland Pflicht, intel­ligente Strom­zähler in Neu­bauten oder grund­sanierten Gebäuden zu instal­lieren. Zusammen mit Tarifen, die je nach Tages­zeit unter­schied­lich sind, soll mit ihnen aktives Strom­sparen möglich werden: Die programmierbare Wasch­maschine beispiels­weise soll dann laufen, wenn der Strom am billigsten ist. Wissen­schaftler des Instituts für Theore­tische Physik der Univer­sität Bremen äußern jedoch Zweifel daran, dass dieser Ansatz immer das leistet, wozu er erdacht wurde – nämlich Strom­schwan­kungen im Netz zu verringern.

Abb.: Bis 2020 sollen nach dem Willen der EU-Kommission achtzig Prozent aller Haus­halte mit den neuen digitalen Zahlern ausgerustet sein. (Bild: EnBW)

Sie haben den Markt, der bei massenhaftem Einsatz von intelli­genten Strom­zählern entsteht, simuliert und sind zu einem überraschenden Ergebnis gekommen. Danach wird durch die intelli­genten Strom­zähler ein neuer künstlicher Strom-Markt geschaffen, der – wie alle Märkte – auch Blasen und sogar Crashs produzieren kann.

Es ist eine Folge der Energiewende und des technischen Fortschritts: Statt eines 24 Stunden geltenden Einheits­strom­preises können Haus-und Wohnungs­besitzer ihre Verbrauchs­geräte heute so programmieren, dass diese den günstigsten Strompreis nutzen – beispielsweise, um ihre Wäsche zu waschen. Voraus­setzung sind ein intelli­genter Strom­zähler, der den aktuellen Strompreis übermittelt, und ein entsprechender Tarif, der die Schwan­kungen im Stromnetz berück­sichtigt.

Strom ist noch nie gleichmäßig ins Netz eingespeist worden; Wind- und Solar­energie sorgen aber mittlerweile dafür, dass diese Schwankungen im Netz noch markanter sind. Die Idee hinter dem vorge­schrie­benen Einsatz intelli­genter Strom­zähler ist, diese Schwan­kungen zu dämpfen: Wird viel Strom ins Netz eingespeist – zum Beispiel weil der Wind stark bläst –, wird der Strom günstiger. Steht wenig Strom zur Verfügung, ist er teurer und wird daher seltener abgerufen. Für den Nutzer einer Waschmaschine heißt dies ganz konkret, diese zu programmieren. In Verbindung mit dem Intelligenten Stromzähler bekommt sie erst dann ein Startsignal für die Wäsche, wenn eine vorher definierte Preisgrenze unterschritten wurde.

So weit, so gut. „Die Grundidee dahinter stammt aus der Wirtschafts­theorie, nach der Angebot und Nach­frage den Preis regeln. Und darüber soll dann wiederum die Strom­nach­frage angepasst werden: Viel Strom – viele Abnehmer, wenig Strom – wenige Abnehmer“, sagt Stefan Bornholdt vom Institut für Theore­tische Physik der Uni Bremen. „Die Standard­theorie von Angebot und Nachfrage ist jedoch unvoll­ständig, wenn eine riesige Zahl Konsu­menten gleich­zeitig um den günstigsten Preis konkur­riert. Denn natürlich wollen alle ihre Wäsche waschen, wenn der Strom am billigsten ist.“

Doch das könnte womöglich nicht klappen. Die Bremer Forscher haben die Konkurrenz­situation der Konsu­menten im Computer simuliert und heraus­gefunden, dass es in diesem neu entstehenden Segment des Strom­marktes „chaotisch, wild und zappelig“ zugehen kann – ähnlich wie an einer Finanz­börse.

Ein Beispiel: „Wenn wenig Strom im Netz und der Preis daher teuer ist, wird das Waschen einfach verschoben. Aber das geht nicht unendlich lang, weil es sich beim Waschen um ein Grund­bedürfnis handelt“, erläutert Bornholdt. „Je mehr von den Menschen vorpro­grammierte Wasch­maschinen nun auf ihren Start warten, desto höher steigt die potentielle Nachfrage: Eine Nachfrage-Blase bildet sich.“ Und die platzt spätestens, sobald der Preis wieder etwas absinkt: Weil viele Konsumenten aufgrund des sich aufstauenden Wasch­bedürfnisses ihre „Schmerz­grenze“ nach oben angepasst haben, starten plötzlich unzählige Wasch­maschinen auf einmal. „Dann wird ein kollek­tiver Lawinen-Mecha­nismus ausgelöst, der die Strom­netze extrem belastet – Blackouts wegen unerwarteter Über­lastung nicht ausge­schlossen“, so der Physiker.

Nach Meinung seines Teams ist der massenhafte Einsatz der neuen intelli­genten Strom­zähler „ein Schnell­schuss, der nicht sorgfältig bis zum Ende durch­dacht ist“. Man müsse die Versorger darauf aufmerksam machen, dass sich derartige Szenarien abspielen könnten. „In unserem Computer­modell haben wir mit verschiedenen Variablen das nach­voll­zogen, was reale Menschen in solchen Situa­tionen logischer­weise tun würden“, so Bornholdt. „Der Einzelne weiß in solch einer Situa­tion natürlich nicht, welche Folgen sein Verhalten hat, wenn es sich potenziert. Und leider wissen es auch diejenigen noch nicht, die den Strom bereit­stellen.“

U. Bremen / OD

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