12.11.2009

Metamaterial dreht Tscherenkov-Effekt um

Negativer Brechungsindex führt dazu, dass Tscherenkov-Strahlung in die „falsche“ Richtung abgegeben wird.

Negativer Brechungsindex führt dazu, dass Tscherenkov-Strahlung in die „falsche“ Richtung abgegeben wird.

Bewegt sich ein elektrisch geladenes Teilchen schneller durch ein Medium als das Licht (genauer: als die Phase des Lichts), so gibt es die Tscherenkov-Strahlung ab. Diese elektromagnetische Strahlung wird u. a. in Teilchendetektoren genutzt, die in der experimentellen Teilchenphysik und bei der Untersuchung kosmischer Strahlung eingesetzt werden. Da die Tscherenkov-Strahlung bevorzugt nach vorn, also in Bewegungsrichtung des jeweiligen Teilchens emittiert wird, stört das Teilchen die Strahlungsdetektion. Jetzt haben chinesische Forscher ein Metamaterial entwickelt, in dem die Tscherenkov-Strahlung nach hinten, also in die „falsche“ Richtung abgegeben wird.

Bei ihrem Experiment griffen Sheng Xi und seine Kollegen von der Zhejiang University in Hangzhou auf eine Idee des russischen Physikers Victor Veselago zurück. Der hatte vor über 40 Jahren die optischen Eigenschaften eines (damals noch hypothetischen) Materials mit negativem Brechungsindex berechnet. Solch ein Material nannte er „linkshändig“, da in ihm die Vektoren des elektrischen und magnetischen Feldes sowie der Wellenvektor einer elektromagnetischen Welle ein linkshändiges System bilden und nicht der üblichen „Rechte-Hand-Regel“ folgen. Das führt dazu, dass beim Übergang in ein linkshändiges Material ein Lichtstrahl in die falsche Richtung gebrochen wird, sodass der gebrochene Strahl auf derselben Seite des Lots liegt wie der einfallende. Veselago hatte zudem vorhergesagt, dass auch die Tscherenkov-Strahlung in die falsche Richtung emittiert wird. 

 

Abb.: Das neuartige Metamaterial besteht aus gekreuzten Kupferdrähten und -winkeln, die auf der Ober- und Unterseite einer Plastikschicht angebracht sind. Die Seitenlänge der Winkel beträgt 3 mm. (Bild: Sheng Xi et al., Phys. Rev. Lett.)

 

Natürliche Substanzen sind nicht linkshändig, doch inzwischen haben zahlreiche Forscher künstliche Metamaterialien hergestellt, die diese Eigenschaft besitzen. Sie bestehen aus regelmäßig angeordneten Drähten und geschlitzten Metallringen, die in einem Bereich von Anregungsfrequenzen gleichzeitig elektrische und magnetische Resonanz zeigen. Dadurch werden die elektrische Permittivität ε und die magnetische Permeabilität µ gleichzeitig negativ – und mit ihnen der Brechungsindex. Die ersten, noch grobmaschigen Metamaterialien waren nur für Mikrowellen linkshändig. Doch inzwischen gibt es auch nanostrukturierte linkshändige Materialien für sichtbares Licht.

Um nachzuweisen, dass der Tscherenkov-Effekt in einem linkshändigen Material tatsächlich in die falsche Richtung geht, hatten die chinesischen Forscher einige Schwierigkeiten zu überwinden. Zunächst mussten sie ein neuartiges Metamaterial entwickeln, in dem sich die elektromagnetischen Wellen in besonderer Weise ausbreiten konnten. Alle bisher gefertigten Metamaterialien bestanden aus übereinander gestapelten Schichten, zu denen das Magnetfeld einer Welle parallel und ihr elektrisches Feld senkrecht waren. Beim Tscherenkov-Effekt liegt das elektrische Feld in der vom Teilchenimpuls und dem Wellenvektor aufgespannten Ebene. Um die Tscherenkov-Strahlung in einem geschichteten Metamaterial überhaupt beobachten zu können, musste deshalb das elektrische Feld parallel und das magnetische Feld senkrecht zu den Schichten liegen. Das erreichten die Forscher mit einer neuartigen Materialstruktur.

Das entwickelte Metamaterial war jedoch nur für Mikrowellen im Frequenzbereich von 8,1 bis 9,5 GHz linkshändig. Die Tscherenkov-Strahlung eines relativistischen Teilchens ist jedoch in diesem Wellenlängenbereich extrem schwach. Sie hat ihr Maximum im Ultravioletten, für das man noch keine linkshändigen Metamaterialien herstellen kann. Die Forscher griffen deshalb zu einem Trick und fingierten eine überlichtschnelle Bewegung eines geladenen Teilchens durch das Metamaterial, die die Tscherenkov-Strahlung bei Mikrowellenfrequenzen abgab. Dazu führten sie einen Wellenleiter durch das Metamaterial, der in regelmäßigen Abständen seitliche Schlitze hatte, durch die er Mikrowellenstrahlung einer bestimmten Frequenz an das umgebende Material abgeben konnte. Wie die Rechnungen der Forscher zeigten, hatte diese Strahlung praktisch dieselben Eigenschaften wie die entsprechende Frequenzkomponente der Tscherenkov-Strahlung.

Zunächst wurden im Wellenleiter Mikrowellen mit Frequenzen von 11 bis 14 GHz angeregt, für die das Metamaterial nicht linkshändig war. Die entstehende Tscherenkov-Strahlung bereitete sich im Metamaterial bevorzugt in die richtige Richtung aus, also in die Bewegungsrichtung der Mikrowellen im Wellenleiter. Wurden hingegen Mikrowellen mit Frequenzen von 8,1 bis 9,5 GHz durch den Wellenleiter geschickt, für die das Metamaterial linkshändig war, so breitete sich die Tscherenkov-Strahlung tatsächlich in die falsche Richtung aus, nämlich entgegen der Bewegungsrichtung der Mikrowellen im Wellenleiter.

Gelänge es, dass neue Metamaterial feiner zu strukturieren, so dass es auch für den Bereich des infraroten oder sichtbaren Lichtes linkshändig ist, so könnte man den „umgedrehten“ Tscherenkov-Effekt vielleicht auch direkt mit schnell durch das Material fliegenden Elektronen hervorrufen. Dann könnten Detektoren aus Metamaterial auch für Hochenergiephysik zum verbesserten Nachweis von geladenen Teilchen interessant werden.
 

RAINER SCHARF

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