05.10.2020

Mikroschwimmer mit Lichtantrieb

2D-Material bietet verblüffenden Solarbatterie-Effekt.

Mit externer Energie angetriebene Mikroschwimmer erfreuten sich in den vergangenen Jahren großen Interesses. Sie bieten zahlreiche Anwendungs­möglichkeiten,etwa im Bereich der Biomedizin oder Umwelttechnik. Eine Zukunftsvision ist, dass sie Medikamente an schwer zugängliche Stellen des Körpers trans­portieren oder eines Tages Umweltschäden beheben, zum Beispiel, indem sie zur Abwasser­aufbereitung eingesetzt werden. Die Kehrseite der Medaille: solche Mikroschwimmer benötigen eine kontinuierliche Energiezufuhr. Andernfalls ist der Antrieb schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Abb.: Illustration eines Schwimm­roboters mit einem neuartigen...
Abb.: Illustration eines Schwimm­roboters mit einem neuartigen 2D-Kohlenstoff­nitrid als Energie­speicher. (Bild: V. Hiendl, e-conversion)

Licht bietet sich als eine Energie­quelle an, da sie reichlich verfügbar und gut kontrollierbar ist. Ein Manko aber gibt es: wenn das Licht ausgeht, stehen bisher entwickelte foto­katalytische Schwimmer still. Ein inter­disziplinäres Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) und des Max-Planck-Instituts für Festkörper­forschung (MPI-FKF) in Stuttgart entwickelte nun einen Typ von Mikro­schwimmern, der kurz beleuchtet wird, diese Energie speichert und während des Betriebs im Dunkeln aus der gespeicherten Energie schöpfen kann – ähnlich einer Solarzelle, die Energie für einen späteren Zeitpunkt speichert. Das Team entwickelte den Mikroschwimmer aus einem neuartigen 2D-Kohlenstoff­nitrid. Sie zeigten, dass sie das Teilchen in einer Flüssigkeit sowohl mit sichtbarem als auch mit ultra­violettem Licht vorwärtsbewegen können. Einer klitzekleinen Solarzelle ähnelnd, schwamm es mit der gespeicherten Energie weiter, auch wenn das Licht ausging. Dreißig Sekunden Beleuchtung reichten, und der Schwimmer konnte etwa eine halbe Stunde lang von der Energie zehren und weiter vorwärtskommen. 

Das Projekt war eine erstmalige Zusammen­arbeit zwischen der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS unter der Leitung von Metin Sitti und der Abteilung für Nanochemie am MPI-FKF unter der Leitung von Bettina Lotsch. Metin Sitti und sein Team erforschen neue Fortbewegungs-, Herstellungs- und Steuerungs­methoden vieler verschiedener frei-beweglicher Mikromaschinen – mit dem Ziel, diese eines Tages im menschlichen Körper zur gezielten Medikamenten­abgabe einsetzen zu können. Bettina Lotsch und ihr Team sind auf die Entwicklung neuer Materiallösungen und Konzepte für die Umwandlung und Speicherung von Sonnenenergie spezialisiert. Der Schwerpunkt liegt auf den Wechsel­wirkungen zwischen Licht und Materie und der daraus resultierenden chemischen Reaktivität. „Die Zusammen­arbeit unserer beiden Teams ermöglichte uns neue Einsichten in die zugrunde liegenden Mechanismen jenseits der bisher bekannten lichtbetriebenen Mikroschwimmer. Wir möchten zusammen untersuchen, wie man solche Mikro-Maschinen für zukünftige medizinische Anwendungen und für den Bereich Umwelttechnik entwerfen und realisieren kann“, sagen Lotsch und Sitti. 

Als Grundlage des nur etwa drei Mikrometer großen Schwimmers verwendete das Team kaliumhaltiges Poly(hepazinimid), kurz K-PHI, ein aus vielen aneinander­gelagerten Schichten bestehendes 2D Kohlenstoff­nitrid, das Licht gut absorbiert und umwandelt. Wird es beleuchtet, kommt es zur Bildung von Elektronen und Löchern, die auf der Oberfläche des Kohlenstoff­nitrids eine Fotoreaktion auslösen können, oder aber die auf dem Material stabilisierten Elektronen werden direkt gespeichert, um so Ladung wie in einer Solarbatterie zu akkumulieren. Die gespeicherte Energie wird dann erst später für den Antrieb des Schwimmers verwendet. „Während das Kohlenstoff­nitrid Licht absorbiert, erzeugt es energiereiche Elektronen, die durch Redox­reaktionen mit ihrer Umgebung entladen werden können. Früher glaubte man, dass die Wasserstoff­entwicklung den Antrieb auslöst, da Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten werden kann. Dies war jedoch nicht der Fall. Wir fanden heraus, dass die Elektronen den Sauerstoff reduzieren und der Antriebs­mechanismus komplexer ist“, sagt Filip Podjaski, Wissenschaftler in der Abteilung für Nanochemie am MPI-FKF.

Das Team entwickelte drei Versionen der Mikroschwimmer, bei denen eine dünne Schicht verschiedener Metalle auf einer Seite des Materials aufgedampft wurde: Ein Typ war teilweise mit Gold, einer mit Platin und ein dritter mit Silizium­dioxid bedeckt. In mehreren Experimenten zeigten die Forscher, wie sie die Schwimmer sowohl unter sichtbarem Licht als auch unter UV-Beleuchtung vorwärts bewegen konnten – unabhängig davon, ob sie in reinem Wasser, unter Zugabe von Alkoholen oder Wasserstoff­peroxid schwammen. Die Wissenschaftler beobachteten, dass platin­beschichtete Mikroschwimmer am schnellsten in Wasser und mit Alkohol als zusätzlichem Treibstoff schwammen, während die gold­beschichteten, gefolgt von siliziumdioxid­beschichteten, den schnellsten Vortrieb mit Wasserstoff­peroxid als Treibstoff zeigten. „Die platin­beschichteten PHI-Mikroschwimmer waren aufgrund ihrer Fähigkeit, Energie unter Beleuchtung im PHI zu speichern und in Abwesenheit von Licht wieder abzugeben, am erfolg­reichsten: diese Gruppe konnte minutenlang weiterschwimmen, obwohl sie nur wenige Sekunden beleuchtet wurden“, sagt Varun Sridhar, Forscher der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS. 

Das Forschungs­projekt verdeutlicht, dass es möglich ist, von der Natur inspirierte, organische Mikroschwimmer zu bauen. Noch nie zuvor wurde ein PHI-basiertes Kohlenstoff­nitrid als Haupt-Baumaterial für solch schwimmende Mikromaschinen eingesetzt. Sie werden damit dem Anspruch gerecht, biokompatibel und kostengünstig zu sein, da Kohlenstoff­nitride leicht aus reichlich vorhanden Rohstoffen herstellbar sind. Dies macht PHI-basierte Mikroschwimmer für zukünftige medizinische Anwendungen und im Bereich der Umweltsanierung besonders vielversprechend. Der Solarbatterie-Effekt eröffnet zudem viele neue Möglichkeiten in Situationen, in denen Mikromaschinen ohne konti­nuierliche Energie­zufuhr auskommen müssen und wo biologisch unbedenk­liche Materialien benötigt werden. Nicht zuletzt eröffnet der Aufladungseffekt die Möglichkeit, ohne großen Material­aufwand autonome Systeme mit eingebauter Energiespeicher­fähigkeit zu erschaffen. „In Zukunft müssen wir daran arbeiten, dass wir das Teilchen noch schneller aufladen können und die Energie noch länger vorhält, aber das ist nicht leicht zu erreichen“, sagen Podjaski und Sridhar.

MPI-IS / JOL

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