19.12.2025

Die Frau in Einsteins Schatten

Vor 150 Jahren wurde Mileva Marić geboren, die erste Frau von Albert Einstein.

Anne Hardy

Mileva Marić ist eine ambitionierte und unabhängige junge Frau, als sie 1896 ihrem Kommilitonen Albert Einstein erstmals am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich begegnet. In ihrem Jahrgang sind sie die einzigen, die Physik im Hauptfach studieren. So liegt es nahe, zusammen zu lernen. Als Mileva 1897 für ein Semester nach Heidelberg geht, beginnt Albert einen Briefwechsel. Im Oktober 1900 wird er ihr schreiben: „Wie glücklich bin ich, dass ich in Dir eine ebenbürtige Kreatur gefunden habe, die gleich kräftig und selbständig ist wie ich selbst! Außer mit Dir bin ich mit allen allein.“

Mileva Marić und Albert Einstein
Mileva Marić und Albert Einstein
Quelle: © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Einsteins erste Frau rückte 1986 ins Licht der Forschung, als die Liebesbriefe aus den Jahren 1897 bis 1903 gefunden wurden. Inwieweit war sie an den drei berühmten Arbeiten des „annus mirabilis“ 1905 zu Photoeffekt, spezieller Relativitätstheorie und Braunscher Molekularbewegung beteiligt? War Marić die Frau, die Einstein bei der Mathematik half? So hatte sie jedenfalls die serbische Autorin Desanka Trbuhović-Gjurić dargestellt. Sie hatte ihrer Landsmännin 1969 eine Biografie gewidmet, die vor allem auf Aussagen von Zeitzeugen beruhte. „Im Schatten Albert Einsteins: Das tragische Leben der Mileva Einstein-Marić“ wurde ins Deutsche und Französische übersetzt.

Im englischsprachigen Raum wurde die amerikanische Öffentlichkeit 1990 auf die „Mileva-Story“ aufmerksam. Senta Troemel-Ploetz und Evan Harris Walker hatten bei einer Tagung der American Association for the Advancement of Science die Sichtweise von D. Trbuhović-Gjurić übernommen. Anerkannte Physiker und Wissenschaftshistoriker widersprachen dieser Darstellung. So titelte Einstein-Biograf Albrecht Fölsing in der Zeit (Nr. 47, 1990): „Keine Mutter der Relativitätstheorie“.

2019 erschien schließlich: „Einstein's wife: the real story of Mileva Einstein-Marić“ – eine detaillierte Untersuchung der beiden Historiker David C. Cassidy und Allen Esterton. Sie stützten sich auf zusätzliche Quellen: Zum einen die Studienzeugnisse von Einstein und Marić und zum anderen den Briefwechsel zwischen Marić und ihrer Studienfreundin Helene Kaufler, verheiratete Savic. Daraus geht hervor, dass Mileva Marić nicht die bessere Mathematikerin war. Die Quellenlage liefere außerdem keine eindeutigen Beweise für ein gleichberechtigtes Mitwirken an den Arbeiten Einsteins.

Welchen Platz hat dann Mileva Marić in der Wissenschaftsgeschichte? Einsteins Biografen Jürgen Renn und Robert Schulmann vermuten, sie habe Einstein als „Resonanzboden“ gedient – so wie sein Freund Michele Besso. Historiker Walter Isaacson zollt ihr Respekt für den Mut, sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten.

Mileva Marić wurde in ihren mathematisch-naturwissenschaftlichen Interessen von ihrem Vater gefördert. Sie wurde am 19. Dezember 1875 in der Stadt Titel in der überwiegend serbischen Provinz Vojvodina geboren. Das Gebiet lag an der südlichen Grenze Österreich-Ungarns. Ihr Vater sorgte dafür, dass sie nach der Grundschule eine höhere Schule besuchen konnte. Dazu waren mehrere Schulwechsel notwendig: von der Provinzhauptstadt Novi Sad nach Ruma und ins benachbarte Serbien, das in puncto Frauenbildung schon fortschrittlicher war.

Ein Jahr vor dem Ende ihrer Gymnasialzeit zog die Familie nach Zagreb um. Ihr Vater erwirkte, dass Mileva als Privatschülerin in ein Jungengymnasium aufgenommen wurde. Mit einer Sondererlaubnis durfte sie den Physikunterricht besuchen. Da Mileva wegen eines angeborenen Hüftleidens hinkte, wurde sie gehänselt. Sie zog sich schon früh zurück und konzentrierte sich auf das Lernen. Ihre besten Noten hatte sie in Mathematik und Physik.

Um in der Schweiz studieren zu können, musste Mileva nochmals zwei Jahre die Züricher Höhere Töchterschule besuchen. Nach bestandener Maturaprüfung begann sie nach einem Semester Medizin ihr Physikstudium am Eidgenössischen Polytechnikum. Als Mileva und Albert sich im Wintersemester 1896/97 kennenlernten, war sie fast 21 Jahre alt und er noch nicht 18. Sie war die einzige Frau ihres Jahrgangs. Außer ihr studierte nur Albert Physik als Hauptfach. Sie trafen sich häufig zum Lernen und unternahmen im Sommer Wanderungen. Im folgenden Wintersemester wechselte Mileva nach Heidelberg. Dort erinnert seit 2022 auch eine Straße an sie.

In ihren Briefen an Albert schrieb sie begeistert über die Vorlesungen von Philipp Lenard zum photoelektrischen Effekt. Albert antwortete mit Schilderungen der Physikvorlesungen von Heinrich Friedrich Weber über Wärme.

Mileva erzählte ihrem Vater von Albert und lud diesen brieflich in ihr „Räuberländchen“ ein. Albert empfahl seiner „kleinen Ausreißerin“ möglichst bald nach Zürich zurückzukehren. Die Freundschaft und der wissenschaftliche Austausch vertieften sich im zweiten Studienjahr. Nachdem Einstein enttäuscht festgestellt hatte, dass Weber in seinen Vorlesungen nicht auf die Grundlagen der modernen Physik einging, beschloss er, sich diese Themen mit Mileva im Selbststudium zu erarbeiten. So studierten sie gemeinsam die Arbeiten von Boltzmann, Drude, Helmholtz, Kirchhoff, Mach und Ostwald.

Einstein bestand die Zwischenprüfung nach dem zweiten Jahr mit ausgezeichneten Noten. Mileva verschob die Prüfung wegen ihres Auslandssemesters um ein Jahr. Während Mileva in den Semesterferien 1899 in ihrer Heimat für die Zwischenprüfung lernte, las Albert in den Schweizer Alpen Helmholtz und Hertz. Er äußerte erste Zweifel an der damaligen Theorie zur Elektrodynamik bewegter Körper und grübelte über den Sinn des Äthers nach. Von „Doxerl“, wie Einstein Mileva inzwischen nannte, ist keine Reaktion darauf überliefert. Im September berichtete Albert über eine weitere Idee, die er ihr jedoch nach den Prüfungen erläutern wollte.

Zurück in Zürich bereiteten sich die beiden auf ihre Abschlussprüfungen am Ende des kommenden Wintersemesters 1899/1900 vor. In diesem Jahr forschten sie in Webers Physiklabor und erhielten beide die gleichen guten Noten. Doch aus unbekannten Gründen wurden beider Diplomarbeiten mit mittelmäßigen Noten bewertet: Marić erhielt 4 von maximal 6 Punkten, Einstein 4,5. Da die Note der Diplomarbeit vierfach in die Endnote einging, mussten beide in den mündlichen und schriftlichen Prüfungen außerordentlich gute Noten haben, um zu bestehen. Einstein bestand, Marić fiel durch. In den Briefwechseln ist häufig von Schwierigkeiten sowohl Einsteins als auch Marićs mit dem Physikprofessor Weber die Rede.

Marić wiederholte ihre Prüfung 1901 und fiel erneut durch. Sie war im dritten Monat schwanger von Einstein. Während der gemeinsamen Züricher Zeit könnte sie trotz des Misserfolgs Anregungen zu Einsteins Forschungen gegeben haben. Doch von Mitte 1901 bis zum Frühsommer 1902 war sie bei ihren Eltern in Novi Sad. Sie war ohne Abschluss und mit einem unehelichen Kind zurückgekehrt. Die lange Trennung von Einstein ohne unmittelbare Aussicht auf eine Heirat quälte sie, wie sie Helene Kaufler-Savic anvertraute.

Anfang Januar kam das Kind bei einer schwierigen Geburt zur Welt. Vater Marić informierte den Kindsvater, weil seine Tochter zu entkräftet war. Doch dieser ließ sich nicht bei der „Schwiegerfamilie“ blicken. Es ist fraglich, ob er „das Lieserl“ jemals gesehen hat. In diese schwierige Zeit fallen die meisten der Briefe, in denen Einstein von „unserer Arbeit“ spricht. Offenbar wollte er Marić aufheitern, indem er ihr die Fortsetzung der glücklichen Züricher Tage ausmalte. Am 28. Dezember 1901 schrieb er: „Bis Du mein liebes Weiberl bist, wollen wir recht eifrig zusammen wissenschaftlich arbeiten, dass wir keine alten Philistersleut werden, gellst.“

Zu einem beiderseitigen wissenschaftlichen Austausch per Brief scheint es nicht gekommen zu sein, denn Einstein geht in keinem der erhaltenen Briefe auf einen konzeptionellen oder mathematischen Beitrag ein, den Marić ihm in einem verlorenen Brief geschickt haben könnte. Das schließt einen späteren mündlichen Austausch nicht aus. „Aber wie viel oder wie wenig sie beigetragen haben mag, können wir nie erfahren, es sei denn, es werden neue Dokumente gefunden, die zusätzliches Licht auf dieses Thema werfen“, urteilt Esterton.

Als die beiden schließlich im Januar 1903 nur mit zwei engen Freunden als Trauzeugen heirateten, deutet vieles darauf hin, dass Mileva nicht mehr „die geistig-seelisch beeindruckende Partnerin war, in die er [Einstein] sich fünf Jahre zuvor in Zürich verliebt hatte“, so Jürgen Renn. Marić hatte einige seelische Verletzungen erlitten. Die gemeinsame Tochter war in ihrer Heimat geblieben und vermutlich zur Adoption freigegeben worden.

In den Briefen aus den ersten Jahren ihrer Ehe schreibt Marić an Helene Kaufler-Savic stolz über ihren klugen Schatz. Aber sie ist auch eifersüchtig, weil er so viel Zeit mit seiner Arbeit verbringt, an der sie zweifellos großes Interesse hatte. Davon zeugen Manuskripte in Milevas Handschrift. Sie versäumte auch keinen seiner öffentlichen Vorträge.

Doch in Bern gewannen auch neue Diskussionspartner für Einstein an Bedeutung: Der Philosophiestudent Maurice Solovine und der Mathematikstudent Conrad Habicht, mit denen Einstein die „Akademie Olympia“ gründete. Solovine erinnert sich: „Mileva war klug und zurückhaltend; sie hörte aufmerksam zu, mischte sich aber nie in unsere Debatten.“ Auch mit dem Kollegen Michele Besso, der inzwischen sein Arbeitskollege am Patentamt war, diskutierte er gern auf dem Heimweg. Marić erledigte die Hausarbeit allein, was sie anfangs herausforderte. Bald war sie erneut mit dem Sohn Hans Albert schwanger. Von einer möglichen Tätigkeit als Lehrerin, die sie gegenüber Kaufler-Savic erwähnt hatte, war keine Rede mehr.

Als Einsteins mit seinen Arbeiten von 1905 zunehmend bekannt wurde, schrieb Mileva an Helene: „Er zählt jetzt zu den ersten Physikern deutscher Zunge, und es wird ihm furchtbar viel der Hof gemacht. Ich bin sehr glücklich über seine Erfolge, denn er hat sie wirklich verdient, nur hoffe und wünsche ich, es möge der Ruhm keinen nachteiligen Einfluss auf seinen menschlichen Teil ausüben.“

Während der Zeit als Physikprofessor in Prag begann Einstein an der Allgemeinen Relativitätstheorie zu arbeiten. Die damit verbundene mathematische Herausforderung konnte er allein nicht bewältigen. Seine Frau offenbar auch nicht, denn Einstein bat seinen früheren Studienfreund Marcel Grossmann um Hilfe: „Du musst mir helfen, sonst werd‘ ich verrückt.“. Dieser war inzwischen Professor für Mathematik an der ETH. Grossmann konsultierte die Literatur und berichtete, es gebe tatsächlich die von Einstein gesuchte nicht-euklidische Geometrie mit gekrümmten Räumen, sie liege jedoch außerhalb seines eigenen Fachgebietes.

1914 wurde Einstein von Zürich nach Berlin berufen. Bald darauf trennte sich das Paar. Einstein hatte schon länger eine Affäre mit seiner Cousine Elsa. Marić ging mit den Söhnen zurück nach Zürich. Sie erlitt eine gesundheitliche Krise, so dass sie sich zeitweise nicht um ihre Kinder kümmern konnte. Eduard, der zweite Sohn, litt an Schizophrenie und benötigte Zeit seines Lebens Hilfe. Ein Großteil des Nobelpreisgeldes, das Einstein ihr 1922 überließ, gab sie für Eduards Kuren und Therapien aus. Mileva Marić starb 1948 vereinsamt in einer Züricher Privatklinik.

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