22.04.2014

Mit Röntgenblitzen Händigkeit begreifen

Neue Methode zur Vermessung zirkular polarisierten Röntgenlichts am European XFEL entwickelt.

Eine Forschergruppe unter der Leitung von Wissenschaftlern des Freie-Elektronen-Lasers European XFEL in Hamburg hat eine neue Methode eingesetzt, um zirkular polarisiertes Röntgenlicht zu identifizieren und zu messen, dessen Anwendung neue Gebiete der Chemie und anderer angewandter Wissenschaftsbereiche erschließen könnte. Das Verfahren wurde erstmals im Forschungszentrum Elettra Sincrotrone am Freie-Elektronen-Laser FERMI in Triest getestet, der derzeit einzigen Anlage der Welt, an der so intensives und polarisiertes Laserlicht zur Verfügung steht.

Abb.: Mit Hilfe dreidimensionaler Spektren, die wie dieses die durch den Röntgenlaser aus dem Heliumatom herausgeschlagenen Elektronen zeigen, können die Forscher Rückschlüsse auf die zirkulare Polarisation ziehen. (Bild: European XFEL)

In zirkular polarisierte Röntgenstrahlen setzen Forscher verschiedener Fachrichtungen große Erwartungen, da sie Informationen über chemische Asymmetrien – auch als Händigkeit oder Chiralität bezeichnet – enthüllen können. Ein tieferes Verständnis der den Reaktionen zugrunde liegenden Asymmetrien könnte unter anderem weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung chemischer und pharmazeutischer Prozesse haben. Außerdem spielen Asymmetrien auch bei magnetischen Eigenschaften eine Rolle, wo ihre Erforschung zu Fortschritten bei der Datenspeicherung führen könnte.

Die Methode, die Wissenschaftler von European XFEL in Zusammenarbeit mit Kollegen von anderen Forschungseinrichtungen verwendet haben, basiert auf Messungen an Helium-Atomen, die den Röntgenblitzen ausgesetzt werden. Die Blitze schlagen dabei eins der beiden Elektronen des Heliums heraus, so dass ein geladenes Ion entsteht. Das Heliumion und das wegfliegende Elektron erhalten dabei eine Polarisierung, die von der Polarisierung des Röntgenblitzes abhängt. Wenn Atom und Elektron dann vom Strahl eines „normalen“ optischen Lasers mit bekannter Polarisierung getroffen und durch ein Spektrometer beobachtet werden, lässt sich die Polarisation des Röntgenstrahls präzise vermessen.

„So wie ein Fährtenleser aus den Spuren wilder Tiere herauslesen kann, wohin und wie schnell es sich bewegt hat, können wir aus dem elektromagnetischen Fußabdruck der Röntgenblitze auf dem Helium schließen, wie und wie stark sie polarisiert sind,“ erklärt Michael Meyer, leitender Wissenschaftler bei European XFEL und Hauptautor der Arbeit. „Diese Experimente öffnen die Tür für eine neue Art von Untersuchungen, die auf vielen Gebieten Anwendungen finden können. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, Licht mit dieser speziellen Eigenschaft – der zirkularen Polarisation – als Werkzeug zur Untersuchung von Asymmetrien bei Atomen und komplexeren Biomolekülen zu verwenden."

An Freie-Elektronen-Lasern nutzen Wissenschaftler deren intensive Lichtblitze, um Proben atomgenau abzubilden oder sehr schnelle Prozesse zu untersuchen. Um aber das volle Potenzial dieser neuen Großforschungseinrichtungen zu erschließen, möchten sie auch andere Besonderheiten der Strahlung nutzen, darunter die zirkulare Polarisation. Die European XFEL-Anlage befindet sich derzeit noch im Bau und soll ab 2017 neue Möglichkeiten für die Grundlagenforschung und industrielle Anwender bieten.

Für viele Fragestellungen müssen Wissenschaftler wissen, in welchem Maße die Röntgenstrahlen, mit denen sie arbeiten, zirkular polarisiert sind und in welcher Drehrichtung. Eine der spannendsten Fragen in diesem Zusammenhang ist die, warum so viele wichtige Biomoleküle eine Händigkeit aufweisen: Einige Moleküle liegen in zwei spiegelbildlichen Formen vor, einer „rechtshändigen” und eine „linkshändigen”. Eine interessante Frage in der Biochemie ist es, warum bestimmte molekulare Bausteine des Lebens wie Aminosäuren ausschließlich linkshändig sind, während andere wie Zucker fast ausschließlich rechtshändig vorliegen.

„Untersuchungen mit zirkular polarisierten Röntgenblitzen könnten enthüllen, warum bei Biomolekülen ein Überschuss der linkshändigen oder rechtshändigen existiert“, erklärt Meyer. In ähnlicher Weise könnten Studien magnetischer Materialien, bei denen Wissenschaftler versuchen magnetische Eigenschaften auf immer kleineren Raum unterzubringen, ein möglicher Startpunkt für die Entwicklung von Datenspeichern mit extrem hoher Kapazität sein.

In manchen Anwendungen ist es schwierig, zirkular polarisierte Röntgenstrahlen von „normalem“, willkürlich orientierten unpolarisierten Röntgenstrahlen zu unterscheiden, denn die Polarisationsfilter, die diese beiden Arten von Licht normalerweise trennen könnten, existieren für die intensive Röntgenlaserstrahlung nicht. Die neue Technik füllt hier eine Lücke.

European XFEL / PH

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