29.09.2008

Mit Speichenrädern auf dem Weg zur Quantenwelt

Wie groß oder wie schwer darf ein Gegenstand sein, bevor er seine Quanteneigenschaften verliert und sich gemäß den Gesetzen der klassischen Physik verhält?



Wie groß oder wie schwer darf ein Gegenstand sein, bevor er seine Quanteneigenschaften verliert und sich gemäß den Gesetzen der klassischen Physik verhält? Mit dieser Frage beschäftigen sich viele Forschungsgruppen weltweit. Ihre Beantwortung scheitert derzeit an dem Mangel an Instrumenten, die in der Lage wären, die bei größeren Objekten erwartungsgemäß extrem kleinen Quanteneffekte nachzuweisen.

Ein nun von der Gruppe "Laboratory of Photonics" am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) entwickeltes System könnte hier Abhilfe schaffen. Den Wissenschaftlern gelang es, bei einem wenige Mikrometer großen Chip-Resonator optische und mechanische Güte, die gewöhnlich gegenläufig sind, unabhängig voneinander zu optimieren. Die mit der Kombination der weltweit besten optischen und mechanischen Kohärenzeigenschaften erreichte Empfindlichkeit des Mikrosystems ließe sich sowohl für die Grundlagenforschung nutzen, um z.B. Quantenverhalten an "greifbaren" mikrometergroßen Objekten zu beobachten. Sie könnte aber auch einer weiteren Verbesserung der Frequenz- und Zeitstandards dienen.

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts formulierte der Physiker Werner Heisenberg die Grundzüge der Quantenmechanik. Danach sind mechanische Bewegungen prinzipiell quantisiert - angefangen bei der mikroskopischen Bewegung der Elektronen um den Atomkern bis hin zu dem makroskopischen Verhalten von Objekten aus unserem Alltag. Erst 1986 - mehr als 60 Jahre später - gelang es, die Quantensprünge einzelner Elektronen, die zu den charakteristischen Spektrallinien führen, direkt zu beobachten. Wiederum zehn Jahre später erlaubten es die Fortschritte in der Lasertechnik und Quantenoptik, nicht-klassische Bewegungszustände auch an einzelnen, isolierten Ionen zu beobachten, die 100000 Mal schwerer sind als Elektronen. Eine fundamentale Frage blieb jedoch bislang offen: Warum gehorchen nicht noch größere Objekte, wie sie uns im Alltag begegnen, den Gesetzen der Quantenmechanik, sondern verhalten sich stattdessen klassisch?

Nach gängigen Vorstellungen verhindert die sogenannte "Dekohärenz" die Beobachtung von Quanteneffekten an makroskopischen Objekten. Sie beinhaltet die Tatsache, dass das "thermische Bad", d.h. die Wechselwirkung mit der Umgebung, das Quantenverhalten individueller Systeme, die sich - isoliert betrachtet - gemäß den Gesetzen der Quantenmechanik verhalten sollten, stört und schließlich zerstört. Bis heute sind Quanteneffekte an Oszillatoren, die mesoskopische (greifbare) Ausmaße haben, also Billionen von Atomen enthalten, nicht beobachtet worden. Dazu bedürfte es nämlich der Kombination gut isolierter mechanischer Systeme und einem kohärenten Auslese-System, dessen Empfindlichkeit in der Lage ist, Quanteneffekte zu beobachten.
Schwingkristalle aus Quarz, wie sie z.B. in Armbanduhren verwendet werden, bieten hohe mechanische Kohärenz und erfüllen damit das erste Kriterium. Die elektrischen Schwingkreise, die für das Auslesen der mechanischen Schwingungen nötig sind, besitzen allerdings eine unzulängliche Empfindlichkeit, weshalb der Nachweis eventuell auftretender Quanteneffekte auf diesem Wege praktisch nicht möglich ist. Verschiedene Forschergruppen verfolgen deshalb das Ziel, hochkohärente mechanische Systeme mit quantenoptischen Methoden zu kombinieren, die eine unvergleichlich höhere Empfindlichkeit besitzen. Hierbei ist aber das Problem zu lösen, dass die Anforderungen für mechanische und optische Kohärenz oft gegenläufig sind.



Abb.: Der Mikroresonator aus Glas (blau) kombiniert die besten Eigenschaften aus der Welt der Optik und der Mechanik. Einerseits speichert er Photonen, die im äußeren Ring mehrere hunderttausend Mal umlaufen können bevor sie ihn wieder verlassen. Die schließlich austretenden Photonen erlauben es, die mechanischen Schwingungen im Resonator extrem genau zu vermessen. Augrund der optimierten Verbindung der Glasstruktur zum Silizium-Chip (schwarz/rot) über vier Nano-Speichen gelingt es, ihre mechanischen Schwingungen sehr stark von der Umgebung zu entkoppeln. Angeregte Schwingungen können dadurch bis zu 80 000 Mal oszillieren, bevor sie zerfallen. (Bild: MPQ)



Die Gruppe am MPQ war nun erstmals in der Lage, die weltbesten optischen und mechanischen Kohärenzeigenschaften auf einem einzelnen Chip-Resonator zu vereinen. Die Wissenschaftler verwenden in ihrem Experiment auf Silizium-Chips gefertigte torusförmige Glas-Resonatoren mit einem Durchmesser von etwa 75 Mikrometern. Über eine Nano-Glasfaser wird dann Licht in den Toroid gekoppelt. Das Besondere an diesem Resonatorsystem ist die enge Kopplung von optischen und mechanischen Schwingungen. Das System kann Licht, d.h. Photonen, speichern, wenn dessen Wellenlänge "hineinpasst", d.h. in einem ganzzahligen Verhältnis zum Umfang des Resonators steht. Die mechanischen Schwingungen modulieren den Umfang und spiegeln sich daher in der optischen Resonanzfrequenz wieder. Andererseits üben die umlaufenden Photonen eine Kraft in radialer Richtung auf den Resonator aus.

Aufgrund verschiedener Faktoren unterliegen die mechanischen Eigenmoden des Resonators Reibungsverlusten, die die Kopplung an die Umgebung und damit die Dekohärenz entscheidend beeinflussen. Eine wichtige Rolle dabei spielt die mechanische Aufhängung des Systems. Hier zeigten die Experimente, dass die verschiedenen Schwingungsmoden der Toroide auf komplizierte Art und Weise aneinander und an die Umgebung koppeln können. Das Verständnis dieser Kopplung war der Schlüssel, die Reibungsverluste zu verstehen. Diese ließen sich schließlich erheblich verringern, indem der Toroid über "Nano-Speichen" aus Glas auf dem Chip befestigt wurde (siehe Abb.). Durch Optimierung der Geometrie, d.h. der Änderung von Länge und Dicke der Speichen konnten die Eigenmoden des Resonators so "maßgeschneidert" werden, dass die Dämpfung um den Faktor 1000 reduziert wurde. Die so optimierten Mikrotoroide können Photonen über mehrere 100 000 Umläufe speichern. Gleichzeitig führen sie bis zu 80 000 mechanische Schwingungen aus, bevor diese durch den Einfluss der Umgebung zerfallen. In diesem Sinn kann man das System mit einem Quarzoszillator vergleichen, der statt mit elektrischem Strom mit Licht getrieben werden kann und mit einem optisch resonanten Schwingkreis ausgelesen wird.

"Dies ist das erste Beispiel, in dem optische und mechanische Freiheitsgrade in einem System von der Größe eines Mikrochips gesteuert werden können. Erstmals haben wir mechanische Gütefaktoren, die denen der Nano-und Mikroelektronik gleichkommen, mit höchsten Werten für optische Güte kombiniert", meint Georg Anetsberger. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Fernziel, Quanteneffekte an makroskopischen Schwingungssystemen zu beobachten. Aber die Erkenntnisse ließen sich auch praktisch nutzen. Mechanische Quarz-Schwingkristalle finden überall in der Wissenschaft und Technik Anwendung. Deren Verlustmechanismen genau zu verstehen ist der Schlüssel zu weiteren Verbesserungen von Oszillatoren für die Zeitmessung - sei es in Armbanduhren oder als Schwungrad in Atomuhren.

Max-Planck-Institut für Quantenoptik


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