03.11.2014

Moleküle bewegen mit Fingerspitzengefühl

Neue Methode in der Rastertunnelmikroskopie: Jülicher Forscher bilden Schriftzug aus 47 Molekülen.

Wissenschaftler vom Peter-Grünberg-Institut am Foschungs­zentrum Jülich haben eine neue Ansteu­erung für Raster­tunnel­mikro­skope entwickelt, die es ihnen ermöglicht, einzelne große Moleküle interaktiv mit der Hand zu verschieben. Bisher waren nur simple, starr program­mierte Bewegungen möglich. Zum Test haben die Forscher aus einer einla­gigen Molekül­schicht einen Schriftzug heraus­getrennt, der aus gerade einmal 47 Molekülen besteht. Das Verfahren eröffnet grundlegend neue Möglich­keiten für die Konstruk­tion von molekularen Transis­toren und anderen Nano-Bauteilen.

Abb.: Rastertunnelmikroskop steuern mit Bewegungs­erkennung. (Bild: FZ Jülich)


„Mit dem Verfahren lassen sich erstmalig auch große organische Moleküle kontrol­liert aus zusammen­hängenden Strukturen heraus­greifen und neu platzieren“, erläutert Ruslan Temirov. Damit sind die Wissen­schaftler einen Schritt weiter gekommen bei der Suche nach einer Technik, mit der sich einzelne Moleküle frei zu komplexen Strukturen zusammen­fügen lassen. Ein solches Baustein­system für die Nano­techno­logie wird von Forscher­gruppen weltweit verfolgt und gilt als entscheidende Voraus­setzung für die Entwicklung neuartiger elektro­nischer Bauteile der nächsten Generation.

Mittels Bewegungserkennung haben die Wissenschaftler der von Temirov gelei­teten Nachwuchs­gruppe die Hand des Operators direkt mit dem Raster­tunnel­mikroskop gekoppelt. Mit dessen Spitze lassen sich die Moleküle anheben und wieder absetzen wie mit einem Kran. Mit einer Übersetzung von fünf­hundert Milli­onen zu Eins werden die groben mensch­lichen Bewegungen dabei in atomare Dimensionen übertragen. „Eine Verschiebung der Hand um fünf Zentimeter bewirkt, dass sich die feine Spitze des Raster­tunnel­mikroskops gerade einmal um einen Ang­ström über die Probe bewegt. Das entspricht der typischen Größen­ordnung von Atom­radien und Bindungs­längen in Molekülen“, erklärt Temirov.

Abb.: Viele anfangs sehr ähnlich Wege ermög­lichen es, ein Molekül aus der Schicht zu entfernen, wie diese Aufzeich­nung der erfolg­reichen Durchgänge zeigt. (Bild: FZJ)

Die Steuerung braucht allerdings etwas Übung. „Der erste Versuch, ein Molekül abzulösen, dauerte noch vierzig Minuten. Danach waren es nur noch um die zehn“, berichtet Matthew Green. Insgesamt vier Tage brauchte der Dokto­rand, um 47 Mole­küle zu entfernen und damit das Wort JÜLICH in eine einla­gige Schicht Perylen­tetra­carbon­säure­dianhydrid (PTCDA) zu schreiben. Dabei handelt es sich um einen organischen Halb­leiter, der eine wichtige Rolle spielt bei der Entwick­lung organi­scher Elek­tronik, mit der sich etwa bieg­same Bau­elemente oder günstige Einweg-Chips zum Auf­drucken realisieren lassen, die mit konven­tio­neller Silizium-Techno­logie undenkbar sind.

Sogar kleine „Schreibfehler“ ließen sich mit der neuen Methode problemlos korrigieren. Ein versehent­lich heraus­gegrif­fenes Molekül beim Querstrich des „H“ konnte Green einfach durch ein neues Molekül ersetzen, das er vom Rand der Schicht abgelöst hatte. „Genau hier zeigt sich der Vorteil der Methode. Der Experi­mentator kann in den Vorgang eingreifen und nach einer Lösung suchen, wenn sich ein Molekül versehent­lich löst oder ungeplant wieder an seine ursprüng­liche Position zurück­springt“, so der Physiker.

Abb.: Fertiger Schriftzug aus nur 47 Molekülen (Bild: FZ Jülich) Caption

Die interaktive Vorgehensweise ermöglicht es insbesondere, Moleküle kontrolliert zu verschieben, die sich in größeren zusammen­hängenden Strukturen befinden. Im Gegensatz zu einzelnen Atomen und Molekülen, deren Bewegung mit dem Raster­tunnel­mikroskop längst wissen­schaftliche Routine ist, ließen sich solche größere Molekül­verbünde bisher kaum gezielt bearbeiten. Denn die Bindungs­kräfte von Molekülen, die ringsum an ihre Nachbar­moleküle gebunden sind, lassen sich kaum exakt vorher­sagen. Erst während des Experiments zeigt sich daher, welche Kraft zum Ablösen nötig ist und über welchen Pfad sich das Molekül ohne Komplika­tionen entfernen lässt.

Die gesammelten Erfahrungen sollen dazu beitragen, die zeit­raubenden Arbeitsschritte zu erleichtern. „In Zukunft soll ein selbst­lernender Computer die aufwendige Molekül-Manipulation übernehmen. Die für dieses Projekt notwendige Intuition für Nano-Mechanik gewinnen wir jetzt durch unsere neuartige Steuerung und sprich­wörtlich in Hand­arbeit“, so Christian Wagner, der ebenfalls der Arbeits­gruppe angehört.

FZJ / OD

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