Moleküle kalt gestellt
Die präzise Kontrolle über atomare Quantengase eröffnet neue Perspektiven in der Molekülphysik.
Physik Journal – Die präzise Kontrolle über atomare Quantengase eröffnet neue Perspektiven in der Molekülphysik.
Die Möglichkeit, Atome auf immer niedrigere Temperaturen zu kühlen und dabei immer besser zu kontrollieren, hat Atomphysik und Quantenoptik revolutioniert. Doch was mit Atomen gelingt, möchten Physiker wie Chemiker auch mit Molekülen erreichen. So ist die chemische Welt nahe des absoluten Temperaturnullpunkts keineswegs erstarrt, denn aufgrund quantenmechanischer Effekte ergeben sich neue Reaktionswege. Welche Herausforderungen zu überwinden sind, um molekulare Gase bei solch tiefen Temperaturen zu erzeugen und welche Möglichkeiten sie bieten, zeigt Silke Ospelkaus vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in der Juni-Ausgabe des Physik Journals.
Bild: Dies ist eines der ersten Bilder eines ultrakalten, dichten Gases aus KRb-Molekülen, in dem sich jedes der Moleküle im Zustand niedrigster Energie befindet.
Molekülgase auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts zu bringen ist äußerst knifflig, denn Moleküle widersetzen sich mit ihren Rotations- und Vibrationsfreiheitsgraden weitgehend den etablierten Kühlverfahren für Atome wie z. B. Laserkühlung. Allerdings lassen sich aus ultrakalten atomaren Gasen in kontrollierter Weise mit Licht und Magnetfeldern die unterschiedlichsten ultrakalten Molekülgase erzeugen. Das Spektrum reicht dabei von sehr schwach gebundenen Feshbach-Molekülen über tief gebundene diatomische Moleküle im elektronischen Rotations- und Vibrationsgrundzustand bis hin zu neuartigen Molekülbindungen in Rydberg-Gasen.
Die präzise Kontrolle über interne und externe Freiheitsgrade der resultierenden molekularen Gase eröffnet weit reichende Perspektiven wie z. B. das Studium ultrakalter chemischer Reaktionen. Eine solche ultrakalte Chemie unterliegt einer anderen Reaktionsdynamik, die etwa durch quantenmechanisches Tunneln geprägt ist. Moleküle extrem zu kühlen eröffnet noch eine Vielzahl anderer Perspektiven, beispielsweise für hochpräzise spektroskopische oder interferometrische Messungen für die Suche nach Physik jenseits etablierter Modelle.
Die ersten Schritte in das Gebiet der ultrakalten chemischen Reaktionen geschahen mit Alkali-Molekülen. Allerdings sind theoretisch wie experimentell auch andere Systeme von großem Interesse. In den letzten Jahren hat das Feld ultrakalter Moleküle einen rasanten Fortschritt erlebt. Lag der Schwerpunkt der Forschung bis vor kurzem noch in der Entwicklung von Techniken, um ultrakalte Molekülensembles zu präparieren, so sind diese für einige diatomische Moleküle mittlerweile so ausgereift, dass sich der Fokus bereits in Richtung der Anwendung verschiebt. Auf der unmittelbaren ¬Agenda stehen neben der Erzeugung quantenentarteter Molekülensembles in ihrem Rovibrationsgrundzustand viele fundamentale Fragestellungen der Vielteilchen-Quantenphysik.
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AH