28.08.2017

Moleküle unter die Doppler-Temperatur gebracht

CaF-Moleküle in magnetooptischer Falle auf 46 Mikrokelvin gekühlt.

Zweiatomige Moleküle wurden erstmals auf eine Temperatur abgekühlt, die deutlich unter der Doppler-Temperatur lag. Dabei wurde im Submilli­kelvin­bereich eine rekord­verdächtig große Atomdichte gemessen. Die Kühlung von zwei- und mehr­atomigen Molekülen auf ultratiefe Temperaturen hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Dabei konnten für bestimmte Molekül­sorten die Probleme überwunden werden, die einer Laser­kühlung von Molekülen zunächst im Wege gestanden hatten. Insbesondere konnten die Moleküle aufgrund ihrer zahllosen Rotations- und Schwingungs­zustände in „dunkle“ Zustände übergehen, die für die Laserstrahlung nicht mehr erreichbar waren, sodass die Laser­kühlung vorzeitig zum Stillstand kam.

Abb.: Ein Blick auf die ultrakalte Wolke aus Kalziumfluoridmolekülen (Bild: S. Truppe)

Doch inzwischen hat man verschiedene Methoden entwickelt, die dunklen Zustände unschädlich zu machen. So kann man z. B. die Anregung dunkler Zustände dadurch verhindern, dass man das Magnet­feld, in dem sich die Atome befinden, und die Polarisation des Laserlichts periodisch umkehrt. Ein anderes Verfahren, mit dem man Moleküle auf Temperaturen unter einem Milli­kelvin gekühlt hat, ist die Sisyphus­kühlung, bei der man die Moleküle wiederholt gegen einen Potential­berg laufen lässt.

Jetzt haben Forscher um Michael Tarbutt vom Imperial College London einen weiteren Meilenstein der Molekül­kühlung erreicht. Sie haben eine hocheffiziente magneto­optische Falle (MOT, Magneto-Optical Trap) für Moleküle entwickelt, die mit zeit­unabhängigen Magnetfeldern arbeitet. Sie unterdrückt die unerwünschte Anregung von dunklen Zuständen, indem sie die Moleküle mit blau- und rot­verschobenem Laser­licht bestrahlt, das entgegen­gesetzt zirkular polarisiert ist. Dieses Verfahren hatten Tarbutt und Timothy Steimle von der Arizona State University, Tempe, vor zwei Jahren vorgeschlagen.

Mit solch einer Falle haben nun Tarbutt und seine Kollegen etwa 13.000 Kalzium­fluorid­moleküle eingefangen, wobei Teilchen­dichten von 160.000 pro Kubikzentimeter erreicht wurden. Dies ist vergleichbar mit den besten Werten, die andernorts für Strontium­fluorid­moleküle mit einer Radio­frequenz-MOT erzielt wurden. Die Lebensdauer der CaF-Moleküle in der neuartigen Falle lag bei 100 Millisekunden. Durch eine plötzliche Veränderung der Laser­intensität konnte die Molekül­wolke zum Schwingen gebracht werden, wobei die gemessene Schwingungs­frequenz gut mit den theoretischen Berechnungen übereinstimmte.

Abb.: Mit optischen Melassen wurden Molekülwolken weit unter die Doppler-Temperatur (gestrichelte Linie) abgekühlt. (Bild: S. Truppe)

Durch stetige Verringerung der Laserintensität konnte man die Temperatur der Molekül­wolke in der Falle verringern. Gemessen wurde die Temperatur dadurch, dass die Falle abgeschaltet und das Auseinander­fliegen der zum Fluoreszieren gebrachten Moleküle mit einer CCD-Kamera registriert wurde. Demnach ließ sich in der MOT bestenfalls eine Temperatur von 960 Mikro­kelvin erreichen, die deutlich über der Doppler-Temperatur von rund 200 Mikrokelvin lag. Das ist die niedrigste Temperatur, auf die ein Molekül abgekühlt werden kann, indem es durch ein ihm entgegen fliegendes Photon angeregt wird und es anschließend spontan und ungerichtet ein Photon gleicher Frequenz abstrahlt.

Um die CaF-Moleküle unter die Doppler-Temperatur abzukühlen, gingen die Forscher so vor: Sie schalteten die MOT ab und brachten die Atomwolke in eine „optische Melasse“. Diese bestand aus einem intensivem Lichtfeld mit nicht­gleichförmiger Polarisation, das die verschiedenen molekularen Unterniveaus anregen konnte. Dabei traten für kleine Molekül­geschwindigkeiten Reibungs­kräfte auf, die wesentlich größer waren als die bei der Laser­doppler­kühlung auftretenden. Während man dies bei der Kühlung von Atomen schon seit längerem nutzt, konnten auf diese Weise jetzt erstmals auch Moleküle unter die Doppler-Temperatur gebracht werden.

Wie Tarbutt und seine Mitarbeiter berichten, lag die tiefste gemessene Temperatur der Molekülwolke bei 46 Mikrokelvin und stellte einen neuen Rekord für Moleküle dar, während die Teilchen­dichte 800.000 pro Kubik­zentimeter betrug. Daraus berechnet sich eine Phasenraumdichte, die 1500-mal größer ist als die ursprüngliche Phasen­raum­dichte in der MOT und 40-mal größer als die bisher für laser­gekühlte Molekül­wolken erreichten Phasen­raum­dichten.

Ausgehend von den jetzt erreichten tiefen Temperaturen und großen Phasen­raum­dichten sollte es möglich sein, Molekülwolken durch Verdampfungskühlung oder durch sympathetische Kühlung in entartete Quanten­zustände zu bringen und z. B. ein Bose-Einstein-Kondensat auf direktem Wege herzustellen. Darüber hinaus eröffnet das Londoner Experiment neue Möglichkeit für die Chemie bei ultratiefen Temperaturen, für die Quanten­informations­verarbeitung und für Präzisions­messungen an Molekülen, mit denen sich z. B. überprüfen ließe, ob Elektronen ein permanentes elektrisches Dipol­moment besitzen.

Rainer Scharf

DE

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