Moleküle unter Spannung
Einzigartige mikroskopische Aufnahmen liefern neue Einblicke in ionische Flüssigkeiten.
Vorgänge in ungewöhnlichen, neuen Materialien direkt beobachten ist ein wissenschaftlicher Traum, den moderne Mikroskopieverfahren möglich machen: Forschern der Uni Kiel gelangen erstmals Videoaufnahmen der Anlagerung von Molekülen einer ionischen Flüssigkeit an eine eingetauchte Elektrode. Die Bilder aus dem Nanokosmos geben detaillierte Aufschlüsse darüber, wie sich die chemischen Komponenten bei Anlegen einer elektrischen Spannung umordnen. Darauf basierende Erkenntnisse könnten zu verbesserten Batterien und energieeffizienter Beschichtungstechnologie oder Solartechnik führen.
Abb.: In Olaf Magnussens Gruppe führte Rui Wen Forschungen zu ionischen Flüssigkeiten an einem Video-Rastertunnelmikroskop durch. (Bild: CAU, D. Schimmelpfennig)
Ionische Flüssigkeiten sind Schmelzen von organischen Salzen, die sogar bei Raumtemperatur flüssig sein können, obwohl sie kein Wasser enthalten. Gerade dieser Umstand macht sie für viele Experimente und industrielle Prozesse sehr interessant. Denn Wasser wird an Elektroden schon bei geringen Spannungen elektrolytisch zersetzt. Dies überlagert und behindert andere, technisch wichtige elektrochemische Reaktionen. Zudem legen sich die Wassermoleküle um die Ionen und greifen in viele chemische Prozesse ein. In den ionischen Flüssigkeiten, die nur aus Ionen bestehen, sind daher völlig neue Reaktionen möglich.
In den letzten Jahren kam es zu einem wahren Boom dieses Forschungsgebiets, der zur Entdeckung einer ganzen Reihe neuer ionischer Flüssigkeiten führte. Ihre technischen Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Als Elektrolyt in Batterien, Brennstoffzellen oder Farbstoffsolarzellen und als galvanisches Bad für die Abscheidung von dünnen Aluminiumschichten oder Halbleitermaterialien. Dass sie bei Raumtemperatur funktionieren, macht sie für viele Anwendungen einfacher handhabbar und spart obendrein Energie.
Bis heute existierten jedoch kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, was bei elektrochemischen Reaktionen der ionischen Flüssigkeiten auf molekularer Ebene passiert oder wie sich die Moleküle an der Oberfläche der Elektrode anordnen. Während dies in wasserhaltigen Flüssigkeiten mit modernen Mikroskopieverfahren schon Jahrzehnte lang möglich war, gelang das in ionischen Flüssigkeiten bislang fast nie: „Die Moleküle bewegen sich häufig einfach zu schnell für konventionelle Geräte“, sagt Magnussen. Mit einem selbst gebauten Rastertunnelmikroskop konnte sein Team diesem Geheimnis nun auf die Spur kommen.
Videos, die Magnussens Mitarbeiterin Rui Wen aufgenommen hat, lassen erkennen, wie die weniger als ein Nanometer großen Moleküle der Flüssigkeit auf das Anlegen einer elektrischen Spannung an eine Goldelektrode reagieren. Ist die Oberfläche quasi ungeladen, zeigen die Moleküle ein für Flüssigkeiten typisches Verhalten: Sie sind ungeordnet und hochbeweglich. Mit zunehmender Spannung legen die Moleküle sich dann flach auf die Oberfläche und bilden Reihen, bevor sie sich schließlich aufstellen. Gleichzeitig werden sie immer unbeweglicher. „Die Aufnahmen sind einzigartig und helfen uns Theorien zu entwickeln, mit denen sich die Elektrodenprozesse in ionischen Flüssigkeiten besser beschreiben lassen“, sagt der Physiker. „Dies ist nicht nur für die Grundlagenforschung wichtig, sondern auch für konkrete Anwendungen.“
Abb.: Die Forscher nutzen einen speziellen Probenhalter, um die ionischen Flüssigkeiten unter dem Mikroskop zu untersuchen. (Bild: CAU, D. Schimmelpfennig)
Um an der Kieler Universität forschen zu können, hatte Wen sich für ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung beworben und das Projekt bewilligt bekommen. „Die besondere Mikroskopiemethode hat mich sehr gereizt nach Kiel zu kommen“, sagt Wen. In den zwei Jahren ihres Aufenthalts in Kiel untersuchte die Chinesin eine ganze Reihe ionischer Flüssigkeiten, unter anderen Flüssigkeiten mit BMP-Ionen, die Thema der gerade veröffentlichten Studie sind. Besonders die Batterieforschung interessiert sich für BMP.
Die Kieler Forschungsergebnisse könnten dazu führen, dass ionische Flüssigkeiten besser verstanden und für umweltfreundlichere Herstellungsprozesse maßgeschneidert werden können. Für Rui Wen persönlich haben sich die Untersuchungen bereits direkt bezahlt gemacht: Sie erhielt vor kurzem ein Angebot zum Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe an der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking.
CAU / OD