29.04.2015

Moleküle unter Spannung

Einzigartige mikroskopische Aufnahmen liefern neue Ein­blicke in ioni­sche Flüssig­keiten.

Vorgänge in ungewöhnlichen, neuen Materialien direkt beobachten ist ein wissenschaftlicher Traum, den moderne Mikroskopie­verfahren möglich machen: Forschern der Uni Kiel gelangen erstmals Video­aufnahmen der Anlagerung von Molekülen einer ionischen Flüssigkeit an eine einge­tauchte Elektrode. Die Bilder aus dem Nanokosmos geben detaillierte Aufschlüsse darüber, wie sich die chemischen Komponenten bei Anlegen einer elektrischen Spannung umordnen. Darauf basierende Erkennt­nisse könnten zu verbesserten Batterien und energieeffizienter Beschichtungs­technologie oder Solartechnik führen.

Abb.: In Olaf Magnussens Gruppe führte Rui Wen Forschungen zu ionischen Flüssigkeiten an einem Video-Rastertunnelmikroskop durch. (Bild: CAU, D. Schimmelpfennig)

Ionische Flüssigkeiten sind Schmelzen von organischen Salzen, die sogar bei Raum­temperatur flüssig sein können, obwohl sie kein Wasser enthalten. Gerade dieser Umstand macht sie für viele Experimente und industrielle Prozesse sehr interessant. Denn Wasser wird an Elektroden schon bei geringen Spannungen elektro­lytisch zersetzt. Dies überlagert und behindert andere, technisch wichtige elektrochemische Reaktionen. Zudem legen sich die Wasser­moleküle um die Ionen und greifen in viele chemische Prozesse ein. In den ionischen Flüssigkeiten, die nur aus Ionen bestehen, sind daher völlig neue Reaktionen möglich.

In den letzten Jahren kam es zu einem wahren Boom dieses Forschungs­gebiets, der zur Entdeckung einer ganzen Reihe neuer ionischer Flüssigkeiten führte. Ihre technischen Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Als Elektrolyt in Batterien, Brennstoff­zellen oder Farbstoff­solar­zellen und als galvanisches Bad für die Abscheidung von dünnen Aluminium­schichten oder Halbleitermaterialien. Dass sie bei Raum­temperatur funktio­nieren, macht sie für viele Anwendungen einfacher hand­hab­bar und spart obendrein Energie.

Bis heute existierten jedoch kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, was bei elektro­chemischen Reaktionen der ionischen Flüssigkeiten auf molekularer Ebene passiert oder wie sich die Moleküle an der Oberfläche der Elektrode anordnen. Während dies in wasserhaltigen Flüssigkeiten mit modernen Mikroskopie­verfahren schon Jahrzehnte lang möglich war, gelang das in ionischen Flüssigkeiten bislang fast nie: „Die Moleküle bewegen sich häufig einfach zu schnell für konven­tionelle Geräte“, sagt Magnussen. Mit einem selbst gebauten Raster­tunnel­mikroskop konnte sein Team diesem Geheimnis nun auf die Spur kommen.

Videos, die Magnussens Mitarbeiterin Rui Wen aufgenommen hat, lassen erkennen, wie die weniger als ein Nanometer großen Moleküle der Flüssigkeit auf das Anlegen einer elektrischen Spannung an eine Goldelektrode reagieren. Ist die Oberfläche quasi ungeladen, zeigen die Moleküle ein für Flüssig­keiten typisches Verhalten: Sie sind ungeordnet und hoch­beweg­lich. Mit zunehmender Spannung legen die Moleküle sich dann flach auf die Oberfläche und bilden Reihen, bevor sie sich schließlich aufstellen. Gleichzeitig werden sie immer unbeweg­licher. „Die Aufnahmen sind einzigartig und helfen uns Theorien zu entwickeln, mit denen sich die Elektroden­prozesse in ionischen Flüssig­keiten besser beschreiben lassen“, sagt der Physiker. „Dies ist nicht nur für die Grund­lagen­forschung wichtig, sondern auch für konkrete Anwendungen.“

Abb.: Die Forscher nutzen einen speziellen Proben­halter, um die ionischen Flüssig­keiten unter dem Mikroskop zu untersuchen. (Bild: CAU, D. Schimmelpfennig)

Um an der Kieler Universität forschen zu können, hatte Wen sich für ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung beworben und das Projekt bewilligt bekommen. „Die besondere Mikro­skopie­methode hat mich sehr gereizt nach Kiel zu kommen“, sagt Wen. In den zwei Jahren ihres Aufenthalts in Kiel untersuchte die Chinesin eine ganze Reihe ionischer Flüssig­keiten, unter anderen Flüssig­keiten mit BMP-Ionen, die Thema der gerade veröffentlichten Studie sind. Besonders die Batterie­forschung interessiert sich für BMP.

Die Kieler Forschungs­ergebnisse könnten dazu führen, dass ionische Flüssigkeiten besser verstanden und für umwelt­freund­lichere Herstellungs­prozesse maßgeschneidert werden können. Für Rui Wen persönlich haben sich die Untersuchungen bereits direkt bezahlt gemacht: Sie erhielt vor kurzem ein Angebot zum Aufbau einer eigenen Arbeits­gruppe an der chinesischen Akademie der Wissen­schaften in Peking.

CAU / OD

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Meist gelesen

Themen