30.12.2013

Monster-Neutrinos im fast perfekten Kosmos

NIcht nur Ernie und Bert waren Highlights – das Jahr 2013 im astrophysikalischen Rückblick.

Mit Spannung wurden sie erwartet: Am 21. März präsentierten die Wissenschaftler der Planck-Mission in Paris die ersten Ergebnisse der europäischen Raumsonde zur Erforschung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Die Daten der ersten 15,5 Monate der im Mai 2009 gestarteten Sonde bestätigen mit zuvor unerreichter Genauigkeit das derzeitige Standard-Modell der Kosmologie. Die Ergebnisse korrigierten das bisherige Bild nur geringfügig: Das Universum besteht zu 4,9 Prozent aus normaler Materie, zu 26,8 Prozent aus Dunkler Materie und zu 68,3 Prozent aus Dunkler Energie. Die bislang besten Werte hierfür waren 4,5, 22,7 und 72,8 Prozent. Es gibt also etwas mehr Dunkle Materie und etwas weniger Dunkle Energie, als zuvor angenommen. Die Planck-Daten zeigen außerdem, dass das Universum sich etwas langsamer ausdehnt und damit ein klein wenig älter ist als bislang angenommen, nämlich 13,81 Milliarden statt 13,74 Milliarden Jahre.

Abb.: Die von Planck beobachteten Unregelmäßigkeiten der (CMB) zeigen winzige Temperaturschwankungen in Regionen mit leicht unterschiedlicher Dichte. (Bild: ESA / Planck Collab.)

Weiterhin liefert die Verteilung der Temperaturschwankungen die bislang beste Bestätigung dafür, dass der Kosmos unmittelbar nach dem Urknall eine inflationäre Phase durchlaufen hat, in der sich der Raum rasant aufgebläht hat. Und auch für das Standardmodell der Teilchenphysiker liefert Planck eine Bestätigung. In diesem Modell gibt es drei Arten von Neutrinos, nahezu masselose Partikel, die eine wichtige Rolle bei Kernprozessen spielen. Frühere, umstrittene Beobachtungen der Hintergrundstrahlung hatten Hinweise auf die Existenz einer vierten Neutrino-Sorte geliefert. Doch das ist mit den Planck-Daten nicht mehr verträglich.

Das Universum entspricht damit nahezu perfekt den theoretischen Vorhersagen des Standardmodells. Aber eben nur fast: Denn die extrem gute Übereinstimmung mit den theoretischen Vorhersagen gilt nur bei kleinen Winkeln. Bei größeren Winkeln zeigen die Planck-Daten überraschende Abweichungen von den Vorhersagen. So sind die Temperaturschwankungen in einem Bereich um zehn Winkelgrad deutlich schwächer als vorhergesagt. Außerdem zeigt sich in der Gesamtkarte der Hintergrundstrahlung eine verblüffende Asymmetrie: Die großräumigen Schwankungen sind auf der einen Hemisphäre deutlich stärker als auf der anderen. Vielleicht findet Planck selbst noch die Ursache für diese Abweichungen. Denn bislang ist erst die Hälfte der Temperatur-Messungen der Mission ausgewertet. Außerdem hat Planck nicht nur die Temperatur, sondern auch die Polarisation der Hintergrundstrahlung gemessen. Die Auswertung dieser Daten ist weitaus schwieriger und dauert noch an.

Einen Monat nach Planck sorgte ein völlig anderes astronomisches Instrument für Schlagzeilen: IceCube, der einen Kubikkilometer große Neutrino-Detektor im antarktischen Eis. Die Lichtverstärker der Großanlage hatten die Tscherenkow-Strahlung der Sekundärteilchen von zwei Neutrinos registriert, die alles je zuvor gemessene in den Schatten stellten: Die „Ernie“ und „Bert“ getauften Monster-Neutrinos besaßen eine Energie von 1,04 bzw. 1,14 PeV – also jeweils rund eine Billiarde Elektronenvolt.

Abb.: So zeigt die Analysesoftware die Spuren der Neutrinos durch den Detektoran – die Größe der Kreise gibt die Menge an Photonen an, die Farbe den Zeitpunkt ihres Eintreffens. (Bild: IceCube Coll.)

Inzwischen stießen die IceCube-Forscher auf 26 weitere Neutrinos mit Energie oberhalb von 30 Billionen Elektronenvolt. „Das ist der erste Hinweis auf extrem hochenergetische Neutrinos, die von jenseits unseres Sonnensystems kommen“, erläutert der Projektleiter von IceCube, Francis Halzen von der University of Wisconsin-Madison. Zwar registrierten bereits 1987 mehrere Detektoren Neutrinos von einem in der Großen Magellanschen Wolke explodiertem Stern. „Die jetzt mit IceCube nachgewiesenen Neutrinos haben jedoch eine millionenfach höhere Energie“, so Markus Ackermann vom Forschungszentrum Desy in Zeuthen bei Berlin. „Damit erleben wir vielleicht die Geburtsstunde der Neutrino-Astronomie.“ Denn damit sei künftig das Innere explodierender Sterne und andere hochenergetische kosmische Phänomen einer direkten Beobachtung zugänglich.

Solche Erscheinungen sorgen immer wieder für Aufsehen. So registrierten die Detektoren des Satelliten-Observatoriums Swift am 27. April einen Schauer hochenergetischer Gammastrahlen, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Mit 95 Giga-Elektronenvolt übertraf die Energie der Strahlung den bisherigen Rekord um das Dreifache, mit über 20 Stunden dauerte der Ausbruch länger als jeder andere zuvor. Die Ursache des Gamma-Ausbruchs war vermutlich die Explosion eines Sterns mit der 20- bis 30-fachen Masse unserer Sonne in knapp vier Milliarden Lichtjahren Entfernung.

Wenn ein solcher Stern seinen nuklearen Brennstoffvorrat verbraucht hat, bricht sein Kern unter der Last der eigenen Schwerkraft zusammen, während seine äußeren Schichten explosiv ins All abgestoßen werden. Doch nicht die gesamte Materie des Kerns fällt in das entstehende Schwarze Loch. Ein Teil schießt in eng gebündelten Materiestrahlen – so genannten Jets – mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aus dem Stern heraus. Ist einer dieser Jet zufällig genau auf die Erde gerichtet, registrieren die Astronomen mit ihren Detektoren einen Ausbruch hochenergetischer Gammastrahlung.

Woraus aber bestehen diese Jets genau? María Díaz Trigo von der Europäischen Südsternwarte ESO und ihre Kollegen haben auf diese Frage eine Antwort gefunden: aus Protonen und elektrisch positiv geladenen Atome. Dies gilt zumindest für das von den Forschern beobachtete Schwarze Loch 4U 1630-47, das die mehrfache Masse unserer Sonne enthält. Das Team ist jedoch zuversichtlich, dass sich der Befund auch auf die Jets anderer Schwarzer Löcher übertragen lässt.

Ganz ähnliche Materiejets senden auch aktive Galaxienkerne aus – nur dass die Schwarzen Löcher hier die millionen- oder gar milliardenfache Masse unserer Sonne enthalten. Trotz dieses gewaltigen Massenunterschieds von bis zu neun Größenordnungen gehorcht die Erzeugung der relativistischen Jets offenbar einem universellen Gesetz, wie eine Untersuchung von Rodrigo Nemmen vom Goddard Space Flight Center der Nasa und seine Kollegen zeigte. Die Forscher fanden bei Gammaausbrüchen und Blazaren einen ähnlichen Zusammenhang zwischen der durch den Materieeinfall erzeugten Energie – charakterisiert durch die Leuchtkraft im Gammabereich – und der Bewegungsenergie, die von den Jets nach außen transportiert wird. „Mit anderen Worten: Sobald der ‚Motor‘ eines Schwarzen Lochs relativistische Jets erzeugt, macht er das mit ein und derselben Kopplung – unabhängig von Masse, Umgebung und den Bedingungen des Materieeinfalls“, so Nemmen und sein Team.

Abb: Der Nachthimmel bei Energien oberhalb von 100 Millionen Elektronenvolt. Die Sternbilder Löwe und Großer Bär sind zur Orientierung eingezeichnet. Beide Aufnahmen sind über drei Stunden integriert, die linke vor dem Ereignis, die rechte 2,5 Stunden vor und eine halbe in den Ausbruch hinein. Danach schaltete Fermi in einen feineren Modus. (Bild: NASA / DOE / Fermi LAT Collaboration)

Für ein anderes Phänomen – so genannte schnelle Radioausbrüche – sind dagegen nicht Schwarze Löcher, sondern ganz gewöhnliche Sterne verantwortlich. Das behaupten zumindest Abraham Loeb von der Harvard University und seine Kollegen. Gerade einmal sechs der mysteriösen, nur Millisekunden dauernden Radio-Ausbrüche haben die Himmelsforscher bislang registriert – und alle nicht unmittelbar während einer Beobachtung, sondern erst später bei der Analyse von Archivdaten. Bislang konnten die Astronomen an den Himmelspositionen der Ausbrüche keine ungewöhnlichen Objekte aufspüren. Und keiner der Pulse konnte ein weiteres Mal beobachtet werden.

Die Ankunftszeit der Pulse ist stark frequenzabhängig. Diese Dispersion wurde bislang als Beleg dafür angesehen, dass ihr Ursprung extragalaktisch sein müsse. Loeb und seine Kollegen halten diese Schlussfolgerung jedoch für falsch: Auch die hohe Elektronendichte in der heißen Korona eines Sterns könne die beobachtete Dispersion verursachen. Zumindest bei einem von drei untersuchen Radioausbrüchen fand das Team tatsächlich einen 2600 Lichtjahre entfernten Kontakt-Doppelstern, der als Ursache der Radiopulse infrage kommt. Die Suche nach verdächtigen Sternen im Umfeld der Radiopulse soll nun weitergehen.

Rainer Kayser

CT

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