08.12.2011

Müllerzellen als Lichtleiter im menschlichen Auge

Wie die Natur das Problem der Lichtstreuung im Auge gelöst hat.

Obwohl das Licht auf seinem Weg durch die Netzhaut mehrere Gewebsschichten durchdringen muss und dabei reflektiert und gestreut wird, bevor es auf die Lichtsinneszellen trifft, haben die meisten Wirbeltiere ein hervorragendes Sehvermögen. Entscheidend für die gute Sicht sin bestimmte Zellen im Auge, die Müllerzellen. Das konnten Leipziger Biophysiker und Biologen jetzt zeigen.

Abb.: Die lichtempfindlichen Photorezeptorzellen auf der Rückseite der Netzhaut. In den Stäbchen (grau) und Zapfen (blau) wird Licht in elektrochemische Signale umgewandelt. Das Licht (gelb) mauss auf seinem Weg durch die Netzhaut verschiedene „Hindernisse“ überwinden. (Bild: J. Grosche, Biophys. J.)

Bei den Müllerzellen handelt es sich um Gliazellen, wie sie auch im Gehirn vorkommen. Sie sind wie Neuronen Bestandteile des Nervengewebes und fungieren für die Neuronen als Helfer, indem sie sie beispielsweise ernähren und so ihr Überleben sichern. Die Müllerzellen sind schlauchförmig und ziehen von einer Oberfläche zur anderen durch die ganze Dicke der Netzhaut des Auges, der Retina. „Unsere ursprüngliche Idee war, dass die Müllerzellen genau die richtigen Maße und die richtige Anordnung haben könnten, um als Lichtleiter das Licht von der Netzhautoberfläche bis zur Rückseite und damit zu den Fotorezeptorzellen zu bringen“, sagt Andreas Reichenbach vom Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung der Universität Leipzig.

Um eine solche Fragestellung zu bearbeiten, brauche es Ideen und Methoden aus Biologie und Physik. Die optischen Eigenschaften der Retina wurden in enger Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen „Pathophysiologie der Neuroglia“ und „Physik der weichen Materie“ untersucht. Die Wissenschaftler hatten 2007 bereits untersucht, wie einzelne isolierte Müllerzellen als Lichtleiter funktionieren, dies wurde jedoch nicht in der lebenden Netzhaut gezeigt.

Deshalb haben die Leipziger Forscher, in Zusammenarbeit mit der Göttinger Arbeitsgruppe für Neurophysiologie und Zelluläre Biophysik um Detlev Schild, nun an lebendem Gewebe geforscht. Sie untersuchten die Netzhaut von Meerschweinchen, die der des Menschen ähnlich ist.

Die Wissenschaftler haben nicht nur nachweisen können, dass die Müllerzellen in der lebenden Netzhaut als Lichtleiter fungieren. Sie konnten auch zeigen, dass die Anzahl von Zapfen und Müllerzellen in verschiedenen Bereichen der Retina identisch ist. Diese Erkenntnis lege die Vermutung nahe, dass jede Müllerzelle als „privater Lichtleiter“ das Licht direkt zu einem ihr zugeordneten Zapfen leitet und dass infolgedessen jeder Zapfen seinen individuellen Anteil des Bildes der Umwelt erhält. Die Zapfen gehören wie die Stäbchen zu den Fotorezeptorzellen im Auge. Während die Zapfen für das scharfe Sehen und das Farbensehen zuständig sind, sorgen die lichtempfindlichen Stäbchen dafür, dass das Auge auch bei starker Dunkelheit noch etwas erkennt.

Am Auge verschiedener Wirbeltiere sollen die Untersuchungen nun fortgesetzt werden. „Eine spannende Frage ist zum Beispiel, wie sich die langen, dünnen und seitlich verschobenen Müllerzellen an der Stelle des schärfsten Sehens verhalten“, sagt Andreas Reichenbach. Ein Vergleich mit den Netzhäuten nachtaktiver Tiere wie beispielsweise Ratten, deren Müllerzellen dünner und länger als beim Menschen und beim Meerschweinchen sind, sei ebenfalls angedacht.

Auch aus physikalischer Sicht bieten sich neue Forschungsansätze. So wollen die Forscher herausfinden, ob es spezielle Müllerzellen für die verschiedenen Farbbereiche im Lichtspektrum gibt, also ob beispielsweise Müllerzellen mit einem zugeordneten rotempfindlichen Zapfen bevorzugt rotes Licht transportieren. Möglicherweise verfügen die Müllerzellen auch über einen Sonnenbrilleneffekt; demnach könnte es sein, dass Licht besonders hoher Intensität nur abgeschwächt geleitet wird. Dieser Mechanismus könnte dem Schutz der empfindlichen Lichtsinneszellen dienen.

U. Leipzig / PH

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