08.05.2015

Münchner Physikgeschichten

Die Fakultät für Physik der LMU München wurde von der Europäischen Physikalischen Gesellschaft als „Historic Site“ ausgezeichnet.

Seit 2004 hat die Europäische Physikalische Gesellschaft EPS mittlerweile rund zwanzig wichtige Orte der Physikgeschichte in Europa als „Historic Site“ ausgezeichnet, etwa im Februar dieses Jahres im niederländischen Leiden das Labor von Kamerlingh Onnes und das Instituut-Lorentz. Nun erhielt die Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München die historische Auszeichnung. Daran erinnert eine Gedenktafel der EPS, die am 6. Mai im Rahmen eines Festaktes enthüllt wurde. Nach der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Berlin (2013) ist die LMU-Physik der zweite deutsche Ort mit dem historischen Prädikat.

Die Physik an der LMU blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Von ihr sind starke Impulse für die Entwicklung des Fachs ausgegangen, die mit Persönlichkeiten wie Wilhelm Conrad Röntgen, Arnold Sommerfeld, Max von Laue, Max Planck, Werner Heisenberg oder in jüngerer Zeit Theodor Hänsch verbunden sind.

Physikalische Forschung und Entdeckungen gab es schon sehr früh an der Universität. So entdeckten 1611 die jesuitischen Astronomen Christoph Scheiner und Johann Baptist Cysat in der Ingolstädter Zeit der Universität die Sonnenflecken. Als eigene Disziplin etablierte sich die Physik jedoch erst viel später. 1748 wurde ein Lehrstuhl für Elementarphysik an der Philosophischen Fakultät eingerichtet und bekannte Gelehrte wie Joseph Fraunhofer oder Karl August Steinheil hielten Vorlesungen.

Eine Institutionalisierung fand jedoch erst unter Regentschaft des wissenschaftsliebenden Monarchen Max II. Joseph statt: 1856 wurde das Mathematisch-Physikalische Seminar eingerichtet, die Philosophische Fakultät neun Jahre später in eine philosophisch-historische und eine mathematische-naturwissenschaftliche Sektion aufgeteilt.

Aufgrund der durch die steigenden Studierendenzahlen verursachten Platzprobleme entstand zwischen 1892 und 1894 ein Erweiterungsbau hinter dem Universitätshauptgebäude an der Amalienstraße. Die neuen Räumlichkeiten waren vor allem der Experimentalphysik angemessen, obwohl 1890 mit Ludwig Boltzmann bereits der erste theoretische Physiker an die LMU geholt worden war.

Das erste Drittel des 20. Jahrhunderts gilt als die Blütezeit der Physik in München, beginnend 1900 mit der Berufung von Wilhelm Conrad Röntgen, der ein Jahr darauf mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Röntgen setzte sich dafür ein, dass der seit dem Weggang Boltzmanns im Jahr 1894 vakante Lehrstuhl für theoretische Physik mit Arnold Sommerfeld wieder besetzt wurde. Dieser erwies sich als Glücksgriff, denn er begründete eine „Pflanzstätte für theoretische Physik“ mit internationaler Ausstrahlung.

Sommerfeld-Schüler in München nach dem Ersten Weltkrieg waren unter anderem Werner Heisenberg, Hans Bethe und Wolfgang Pauli, die alle den Nobelpreis erhalten sollten. Max von Laue wies im Keller des Sommerfeld-Instituts die Beugung von Röntgenstrahlen an Kristallen nach und erhielt dafür 1914 den Nobelpreis.

Die Gleichschaltung der LMU durch die Nationalsozialisten traf die theoretische Physik besonders heftig, da sie besonders viele jüdische Wissenschaftler angezogen hatte – im Gegensatz zur etablierten Experimentalphysik, wo ein gewisser Antisemitismus vorherrschte. Die jungen jüdischen Forscher wurden nach der Machtübernahme entlassen, viele von ihnen emigrierten ins Ausland – ein Aderlass, von dem sich die Disziplin nicht schnell erholte. Der Niedergang in der NS-Zeit war auch durch Erstarken der „Deutschen Physik“ bedingt: Vor allem der frühere LMU-Student und -Promovend und spätere Nobelpreisträger Johannes Stark propagierte die Abgrenzung von der modernen, durch Relativitätstheorie und Quantenmechanik geprägten, mithin „jüdischen“ Physik.
 

Das Physik-Gebäude der LMU München in den 1950er-Jahren (Foto: LMU)


Im Zweiten Weltkrieg wurde das Institut zerstört, nur schwerlich kam der Lehr- und Forschungsbetrieb wieder in Schwung. Vor allem in den 60er-Jahren wurden zahlreiche neue Lehrstühle eingerichtet und Baumaßnahmen durchgeführt. 1971 wurde die Fakultät für Physik gegründet, die ihre Exzellenz insbesondere durch weitere Einrichtungen wiedererlangte. Bereits 1949 wurde das Wendelsteinobservatorium der LMU zugeordnet, die Maier-Leibnitz-Beschleunigerlabors gingen 1969 in Betrieb; 1998 wurde das Center for Nanosience (CeNS) im Bereich der Nanophysik gegründet und 2004 das Arnold-Sommerfeld-Centrum für theoretische Physik.

2005 erhielt Professor Theodor Hänsch den Nobelpreis für Physik und in beiden Runden der Exzellenzinitiative wurden die Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM) und Munich Centre for Advanced Photonics (MAP) für förderwürdig befunden – ebenso das Universe-Cluster der Technischen Universität, an dem zahlreiche LMU-Forscher beteiligt sind. Die Fakultät steht heute für internationale Spitzenforschung, aber ihre Geschichte dokumentiert auch eindrucksvoll die Entwicklung der Physik hin zu einer eigenständigen Disziplin.

LMU/Alexander Pawlak

 

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