Neuberechnung der Sterngeburt
Forscher erarbeiten ein Modell, mit dem sie die räumliche Struktur von Molekülwolken rekonstruieren.
Astronomen haben eine Möglichkeit gefunden, anhand von Beobachtungen vorherzusagen, wie viele neue Sterne sich in einer Molekülwolke bilden werden. Sie nutzen dabei eine neue Methode, die räumliche Struktur solcher Wolken zu rekonstruieren. Mit diesem Rezept lassen sich Theorien der Sternentstehung direkt mit Beobachtungen vergleichen. Außerdem werden Teleskope wie etwa ALMA damit die Aktivitäten in fernen Gaswolken abschätzen und so eine Sterngeburtenkarte unserer Heimatgalaxie erstellen können.
Abb.: Der Pfeifennebel (links) und die Rho-Ophiuchi-Dunkelwolke (rechts): Zu sehen ist eine normale Aufnahme der Region im sichtbaren Licht vor dem Hintergrund der Milchstraße. Die Kästen zeigen Karten der beiden Gaswolken, in denen sichtbar gemacht ist, in welchem Ausmaß das Licht dahinterliegender Sterne durch die Wolke abgeschwächt wird. (Bild: S. Guisard, ESO (Hintergrund) / J. Kainulainen, MPIA (Dichtekarten))
Sterne werden in riesigen Wolken aus interstellarem Gas und Staub geboren. Kollabiert eine Gasregion im Innern dieser Wolken unter ihrer eigenen Schwerkraft, dann zieht sich das Gas darin soweit zusammen, bis Druck und Temperatur hoch genug sind, um die Kernfusion zu zünden: Ein neuer Stern ist auf die Welt gekommen.
Wie schnell Sterne entstehen und wie viel Gas dabei verbraucht wird, lässt sich nicht einfach herausfinden. Zwar kann man für nahegelegene Wolken in nicht mehr als 1500 Lichtjahren Distanz die Anzahl der Sterne vergleichsweise leicht nachzählen. Aber für weiter entfernte stellare Geburtsstätten, in denen sich keine individuellen Sterne beobachten lassen, versagt die direkte Zählung. Die Sternentstehungsraten für solche Wolken sind daher weitgehend unbekannt.
Jetzt haben die Astronomen Jouni Kainulainen und Thomas Henning vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie und Christoph Federrath von der Monash-Universität in Australien eine alternative Möglichkeit gefunden, abzuschätzen, wie viele neue Sterne sich in einer Wolke bilden: Ihr Modell verbindet direkte astronomische Beobachtungen der Struktur riesiger Gaswolken mit deren Sternentstehungsraten.
Dazu entwickelten die Forscher eine Methode, mit der sich die räumliche Struktur individueller Gaswolken vereinfacht modellieren lässt. Die dafür notwendigen Daten stammen aus Durchleuchtungs-Beobachtungen: Das Licht ferner Sterne, das durch die Wolke hindurchscheint, ehe es die Erde erreicht, wird durch den Staub in der Wolke etwas abgeschwächt. Die Rekonstruktion der Wolkenstruktur nutzt Abschwächungs-Messungen für Zehntausende von Sternen. Kennen die Wissenschaftler die räumliche Struktur, dann können sie damit auch die Dichten der verschiedenen Regionen im Innern der Wolke bestimmen.
Abb.: Diese und ähnliche Simulationen benutzten die Forscher, um ihre Methode zur Rekonstruktion der räumlichen Struktur solcher Gaswolken zu testen. Orte, an denen gerade neue Sterne entstehen, sind in der Abbildung durch Kreise gekennzeichnet; eine hellere Farbe entspricht dabei massereicheren Sternen. (Bild: C. Federrath, Monash U.)
Für näher gelegene Wolken verglichen Kainulainen und seine Kollegen ihre Rekonstruktion mit direkten Beobachtungen junger Sterne, die sich in den betreffenden Wolken vor kurzem gebildet hatten. Auffällig war dabei, dass sich erst bei Regionen ab einer bestimmten Dichte überhaupt neue Sterne bildeten. Den kritischen Dichtewert schätzten die Astronomen auf rund 5000 Wasserstoffmolekülen pro Kubikzentimeter. Offenbar kann das Gas in einer Region nur dann zu einem Stern kollabieren, wenn die Dichte über dem kritischen Wert liegt. „In Theorien der Sternentstehung spielt solch eine kritische Dichte bereits seit langem eine wichtige Rolle“, sagt Kainulainen. „ Aber erst mit unserer Methode können wir die Dichtestruktur solcher Wolken ableiten – und dann Beobachtung und Theorie direkt miteinander vergleichen.“
Christoph Federrath hat die numerischen Simulationen besorgt, mit deren Hilfe die neue Methode getestet wurde. „Mithilfe der Werkzeuge, die wir zur Überprüfung der Sternentwicklungs-Theorien erdacht haben, können wir uns jetzt einer der großen offenen Fragen der Astrophysik zuwenden: Wie viele Sterne werden in einer Wolke mit einer bestimmten Gesamtmasse entstehen, und welche Massen werden diese Sterne haben?“
Nach den Worten von Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie und Koautor der Studie, existieren viele Beobachtungen solcher Molekülwolken. „Dank dem neuen Teleskopverbund ALMA wird es in Zukunft viele noch deutlich detailreichere Daten geben. Mit unserer Methode können wir sagen: Zeigt uns eure Daten, dann können wir euch sagen, wie viele Sterne in eurer Wolke entstehen.“
ALMA ist ein Teleskopverbund aus 66 hochpräzisen Mikrowellen-Antennen mit gegenseitigen Abständen von bis zu 16 Kilometern, die zusammengeschaltet wie ein einziges, extrem detailscharfes Teleskop agieren können. ALMA befindet sich auf der chilenischen Atacama-Hochebene, hat über die vergangenen Jahre sukzessive den Betrieb aufgenommen und kann Gas- und Staubwolken mit nie dagewesener Empfindlichkeit und Schärfe nachweisen.
HOR/MP/MPG / PH