Neuer Hochleistungsrechner für die Bielefelder Physik
Fünfte Generation von Spezialrechnern in der Teilchenphysik
Die Fakultät für Physik an der Uni Bielefeld bekommt einen neuen Hochleistungsrechner zur Erforschung der Eigenschaften stark wechselwirkender Elementarteilchen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen damit das Verhalten von Elementarteilchen unter extremen Bedingungen, wie sie im frühen Universum Bruchteile einer Sekunde nach dem Urknall existierten, aber auch heute noch im Inneren schwerer Sterne vermutet werden. Der Hochleistungsrechner wird neue Forschungsarbeiten ermöglichen, die die Bielefelder Teilchenphysik derzeit im Sonderforschungsbereich „Stark wechselwirkende Materie unter extremen Bedingungen“ in Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen an der TU Darmstadt und der Uni Frankfurt durchführt. Der neue Rechencluster wird heute offiziell eingeweiht, ab 16 Uhr finden Vorträge geladener Sprecher im Hörsaal 6 des Uni-Hauptgebäudes statt.
Der neue Hochleistungsrechner ist bereits die fünfte Generation von Spezialcomputern, die die Bielefelder Arbeitsgruppe seit mehr als 25 Jahren betreibt. Allerdings ist der neue Rechner mehr als 100.000-mal schneller als der erste, 1993 installierte Rechner, der in Bielefeld zur Erforschung der Struktur von stark wechselwirkender Materie betrieben wurde. Die Bielefelder Physikerinnen und Physiker der Arbeitsgruppe „Computersimulationen und Gitterfeldtheorie“ um Frithjof Karsch, Olaf Kaczmarek und Christian Schmidt werden auf dem neuen Rechner noch genauere Untersuchungen der Eigenschaften dieser exotischen Zustandsform von Elementarteilchen-Materie durchführen können. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass Systeme von Elementarteilchen bei hohen Temperaturen und Dichten neuartige Eigenschaften aufweisen, die daraus resultieren, dass die Elementarteilchen selbst aufgespalten werden und ihre Substruktur sichtbar wird. Diese Bausteine, Quarks und Gluonen, werden unter extremen Bedingungen frei gesetzt, etwa bei Temperaturen, die 100.000 mal höher sind als die im Inneren unserer Sonne, und führen zu ganz neuen Eigenschaften stark wechselwirkender Materie. Die Untersuchung dieses Quark-Gluon-Plasmas wird experimentell mit großen Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider in Genf oder dem relativistischen Schwerionenbeschleuniger in Brookhaven bei New York durchgeführt. An den theoretischen Vorhersagen und der Beschreibung der experimentellen Befunde arbeiten die Bielefelder Teilchenphysiker derzeit im Rahmen des Sonderforschungsbereiches in Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen in Darmstadt und Frankfurt am Main.
Die jetzige Rechnerinstallation besteht wie ihr Vorgänger aus einem eng gekoppelten System von speziellen Grafikprozessoren (GPUs), wie sie auch in dem weltweit schnellsten Rechner dieser Art zum Einsatz kommen, dem Summit Supercomputer am Oak Ridge National Laboratory in den USA. Der Bielefelder Rechner enthält 224 Nvidia Tesla V100 Tensor Core Grafikprozessoren, von denen jeweils acht GPUs über einen speziellen, schnellen Interconnect (Nvidia NVLink) eng miteinander verbunden sind. Diese Komplexe werden durch jeweils zwei konventionelle Prozessoren (CPUs) gesteuert, wie sie auch in handelsüblichen Computern benutzt werden. Alle CPUs können über ein schnelles Infiniband-Netzwerk miteinander kommunizieren. Dadurch lassen sich komplexe Rechnungen parallel auf allen Recheneinheiten durchführen. Diese können im Extremfall 3,5 Petaflops erreichen und dabei auf den gesamten Speicher aller Recheneinheiten zugreifen, der insgesamt 17 Terabyte beträgt. Gegenwärtig wird der neue Rechner in Bielefeld aufgebaut. Bei der Installation des Hochleistungsrechners arbeitet die Uni mit den Firmen Sysgen und Nvidia zusammen – Sysgen ist ein Ausrüster für Computertechnik, Nvidia ist ein weltweit führender Hersteller von Grafikprozessoren.
Während die Anschaffung des größten Teils des Rechners durch die DFG und das Land NRW mit 1,9 Millionen Euro finanziert wird, hat auch die Universität einen Teil des Rechners mitfinanziert, um die spezialisierten GPU-Resourcen auch anderen Forschenden der Universität zugänglich zu machen. Sie können in Zukunft durch ein einfaches Antragsverfahren Zugang zum neuen GPU-Cluster erhalten und gegebenenfalls auch Unterstützung durch das IT-Servicezentrum der Universität beim Einstieg in die GPU-Nutzung für ihre Forschungsprojekte erhalten. Startbereit sind bereits die Arbeitsgruppen „Data Science“ und „Decision and Operation Technologies“ der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften um Christiane Fuchs und Kevin Tierney, die die neuen GPU-Resourcen für ihre Forschungsprojekte nutzen wollen.
U. Bielefeld / od