Neuer Rover für die Langstrecke
SherpaTT legt eine Strecke von 500 Metern in weniger als drei Stunden autonom zurück.
Wenn der Nasa-Rover „Perseverance“ und der chinesische Rover „Zhurong“ dieser Tage über die Marsoberfläche fahren, treffen sie grundlegende Entscheidungen ohne menschliche Hilfe. Um die autonomen Fähigkeiten zukünftiger Weltraumroboter weiter zu verbessern und die europäischen Bestrebungen auf diesem Gebiet voranzutreiben, förderte die Europäische Union das Projekt ADE, das vor Kurzem seinen Abschluss bei Wulsbüttel nahe Bremen fand. Dort gelang es dem Rover „SherpaTT“ des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) dank der erfolgreichen Zusammenarbeit 13 europäischer Partner, eine Strecke von 500 Metern in weniger als drei Stunden autonom zurückzulegen.
Roboter, die fremde Planeten wie den Mars erforschen oder auf der Mondoberfläche Proben einsammeln, sollten im Idealfall so eigenständig wie möglich arbeiten. Hierzu zählen neben der autonomen Navigation auch das selbstständige Erkennen und Untersuchen von wissenschaftlich interessanten Stellen. Der Mensch kann aufgrund der verzögerten Kommunikation zu fernen Himmelskörpern nur bedingt in die robotischen Missionen eingreifen. Daher müssen die Systeme nur auf Basis ihrer Sensordaten sowie niedrig aufgelöster Satelliteninformationen über die planetare Oberfläche manövrieren und dabei selbst entscheiden können, wann es sich lohnt einen Umweg einzuschlagen, um beispielsweise Gesteinsformationen näher zu untersuchen.
Ziel des im Februar 2019 gestarteten Projekts ADE – Autonomous DEcision Making in very long traverses – war es, die Autonomiefähigkeit und Zuverlässigkeit von Weltraumrobotern insbesondere bei Langstreckenmissionen zu steigern. Nach mehr als zwei Jahren Forschungsarbeit endete das Vorhaben in einer Sandgrube bei Wulsbüttel nördlich von Bremen. Bei den finalen Feldtests vom 18. März bis zum 16. April 2021 gelang es dem hybriden Schreit- und Fahr-Rover SherpaTT des DFKI Robotics Innovation Center, mithilfe der in ADE entwickelten Technologien insgesamt 3,7 Kilometer autonom zurückzulegen und verschiedene Operationen mit unterschiedlichen Autonomiegraden durchführen.
ADE basiert auf dem in der ersten Phase des SRC entwickelten Autonomiesystem ERGO – European Robotics Goal-Oriented Autonomous Controller. Dieses ermöglicht es einem Rover mit vorgegebenem Ziel, die zur Erreichung des Ziels notwendigen Aktionen zu planen, auszuführen und zu überwachen. Ein „Opportunistic Science Agent“ erkennt vielversprechende Merkmale in der Umgebung und meldet diese an das System. Der so entstehende Zielkonflikt wird von der aus den SRC-Vorgängerprojekten hervorgegangenen und für das Projekt zentralen Komponente ADAM – Autonomous Decision Making Module – gelöst: Unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen, systembedingter Einschränkungen sowie zeitlicher Vorgaben nimmt ADAM lokale Änderungen der Missionsplanung vor. Diese erlauben es dem Roboter, zu der von ihm identifizierten Stelle zu navigieren, um sie aus der Nähe untersuchen zu können.
Als robotische Testplattform diente der Rover SherpaTT vom Robotics Innovation Center. Dank seines aktiven Fahrwerks, das ihn sowohl auf Rädern fahren als auch mit seinen vier Extremitäten über Hindernisse schreiten lässt, eignet sich der etwa 150 Kilogramm schwere Roboter besonders gut für unwegsames Gelände. Zudem verfügt er über einen etwa zwei Meter langen, zentral angebrachten Roboterarm, der es ihm ermöglicht, Bodenproben zu entnehmen. Neben der Bereitstellung des Roversystems gehörte es zu den Aufgaben des Bremer DFKI-Forschungsbereichs, eine Missionssimulation zu entwickeln, die aus den an die Bodenstation geschickten Sensordaten ein Simulationsmodell erstellt, das den aktuellen Stand der Mission abbildet. Innerhalb dieses Modells können verschiedene Pfade und Roboter-Konfigurationen getestet werden: Steht der Rover beispielsweise vor einer engen Passage, können verschiedene Fahrwerkskonfigurationen zunächst in der Simulation ausprobiert werden, bevor die erfolgversprechendste Lösung an den Roboter zurückgesendet wird.
Die von den Partnerinstituten entwickelte Software wurde zunächst in einem knapp 50 Qaudratmeter großen Indoor-Sandkasten in der Weltraumexplorationshalle des DFKI in Bremen getestet. Anschließend sollten die Technologien auch außerhalb des Labors in einer marsähnlichen Umgebung auf die Probe gestellt werden. Im Vorgängerprojekt absolvierte SherpaTT eine autonome Langstreckenmission in der marokkanischen Wüstenlandschaft, nachdem er bereits 2016 im US-Bundestaat Utah gemeinsam mit weiteren DFKI-Robotern seine Teamfähigkeit im Rahmen einer Probenrückführungsmission unter Beweis gestellt hatte. Dieses Mal mussten die ursprünglich auf dem spanischen Festland und der Kanareninsel Fuerteventura geplanten Feldtests aufgrund der pandemiebedingten Reisebeschränkungen in den Norden Deutschlands verlegt werden.
So kam es, dass SherpaTT im Herbst 2020 die ehemalige Bremer Galopprennbahn erkundete und sich im März und April 2021 seinen Weg durch die Sandgrube nahe Wulsbüttel bahnte. Bei den finalen Tests wurde die Robotertechnologie fünf Wochen lang unter typisch norddeutschen Wetterbedingungen verschiedenen Härtetests unterzogen, wobei die DFKI-Wissenschaftler vor Ort und die Partner via Remoteverbindung zugeschaltet waren. Auf diese Weise konnten sie u.a. die autonome Navigation, das Sammeln und Ablegen von Proben mit dem Roboterarm, die automatische zielorientierte Missionsplanung sowie die Möglichkeit der wissenschaftlichen Ad-hoc-Zielerfassung erfolgreich testen und gleichzeitig wertvolle Erfahrungen auf dem Gebiet der Teleoperation für zukünftige Weltraummissionen sammeln.
Die im Rahmen von ADE entwickelten Technologien sind auf die Anforderungen zukünftiger Rover für die Weltraumforschung ausgelegt. Ihr zielorientiertes Autonomiesystem kann jedoch auch auf Robotern Anwendung finden, die in rauen und gefährlichen Umgebungen auf der Erde arbeiten, etwa in Kernkraftwerken, bei Rettungseinsätzen oder in der Öl- und Gasindustrie. Für das DFKI und seinen Rover SherpaTT geht der Einsatz für die europäische Raumfahrt weiter: In der dritten und letzten Förderphase des SRC leitet das Robotics Innovation Center das im März 2021 gestartete Projekt CoRoB-X, in dem es gemeinsam mit europäischen Partnern erforscht, wie ein Team aus mehreren Robotern bei der Erkundung von Lavahöhlen auf dem Mond kooperieren kann.
DFKI / JOL
Weitere Infos
- Robotics Innovation Center, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH DFKI, Bremen
- EU-Projekt ADE – Autonomous DEcision Making in very long traverses, GMV Aerospace and Defence (GMV), Tres Cantos, Spanien