Neutronen lösen das Rätsel der Shampoo-Rezeptur
Wissenschaftler haben mit Hilfe von Neutronenreflektometrie ein Rätsel um die Oberflächeneigenschaften eines Gemischs gelöst, wie es in Reinigungsmitteln, Farben und Shampoos verwendet wird.
Ein Forscherteam am Institut Laue-Langevin, einem der Zentren für Neutronenforschung, hat quantitativ die Ursache einer Anomalie in der Oberflächenspannung eines Polyelektrolyt/Tensid-Gemischs geklärt. Die Ergebnisse zeigen, dass die drastische Zunahme der Oberflächenspannung, welche die Herstellung zahlreicher pharmazeutischer und kosmetischer Produkte beeinflusst, durch die umfassende Aggregation aktiver Bestandteile verursacht ist. Zudem weisen sie einen Weg, wie man durch spezielle Handhabung der Materialien Grenzflächen mit funktionalen Komponenten neu laden kann.
Abb.: Adsorptionstrog am Figaro-Neutronen-Reflektormeter. (Bild: ILL / A. Chézière)
Tenside sind Stoffe, welche die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit verringern und andere Substanzen wie Öl oder Fett in Reinigungsmitteln binden können. Sie sind häufig mit Polyelektrolyten kombiniert, die aus langen, geladenen Molekülen bestehen, um die Wirksamkeit von Reinigungs-, Benetzungs- und Schäummitteln, Emulgatoren und Dispersionsmitteln in Farben, Shampoos und Haarspülungen zu verbessern. Sie werden in der gesamten Nahrungsmittelindustrie verwendet. Ferner spielen die starken anziehenden Wechselwirkungen von Tensiden mit natürlich vorkommenden Polyelektrolyten wie Proteinen oder DNA in vielen biologischen Prozessen und in medizinischen Anwendungen wie etwa der Wirkstofffreisetzung bei Medikamenten und Genen eine wichtige Rolle.
Die Herstellung und Leistungsfähigkeit von Polyelektrolyt/Tensid-Gemischen wird jedoch beeinträchtigt durch ein besonderes Phänomen, das vor einem Jahrzehnt erstmals gründlich untersucht wurde: Gibt man ein Tensid in eine Polyelektrolytlösung, vermindert sich die Oberflächenspannung anfangs, bei weiterer Zugabe von Tensid nimmt die Oberflächenspannung aber wieder drastisch zu. Diese „cliff edge peak“ (Felskantenspitze, benannt nach der Form der Abhängigkeit der Oberflächenspannung von der Tensidkonzentration) genannte Eigenschaft geht einher mit einer Änderung im Erscheinungsbild des Gemischs sowie dem möglichen Verlust der Flockigkeit, die auftritt, wenn die Materialien erstmals in Wechselwirkung treten.
Aus Sicht der industriellen Herstellung vermindert dieser Anstieg der Oberflächenspannung die Leistungsfähigkeit der Additive und erfordert oftmals die Zugabe weiterer Tenside, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Daher besteht großes Interesse daran, die Wechselwirkungen zwischen diesen Gemischen auf atomarer Ebene zu verstehen, sowohl in Lösungen als auch an Oberflächen.
Um dieses Problem zu erforschen, betrachteten Richard Campbell (Institut Laue-Langevin), Imre Varga (Eötvös-Loránd Universität, Ungarn) und deren Mitarbeiter ein in der Literatur häufig untersuchtes Gemisch – ein entgegengesetzt geladenes Poly(Diallyldimethylammoniumchlorid)/Natriumdodecylsulfat(Pdadmac/SDS)-System.
Das internationale Forscherteam verwendete die Neutronenreflektometrie, ein Reflexionsverfahren zur Messung von Zusammensetzung und Struktur dünner Filme, um die Oberflächeneigenschaften hinsichtlich der langsamen Entstehung des „cliff edge peak“ zu beobachten. Sie benutzten das Figaro-Reflektometer (Fluid Interfaces Grazing Angles Reflectometer – Glanzwinkelreflektometer für Flüssigkeitsgrenzflächen) am Institut Laue-Langevin. Damit zeigten sie erstmals quantitativ, dass diese bemerkenswerte Eigenschaft der Oberflächenspannung von der langsamen Ausfällung von Teilchen aus der wässrigen Lösung ins Sediment herrührt. Die Ausfällung „entleert“ die Lösung und infolgedessen die Oberfläche seiner aktiven Bestandteile und ist gleichzeitig auch für den beobachteten Verlust der Flockigkeit verantwortlich.
Neben der Entdeckung der Ursachen für den Anstieg der Oberflächenspannung wollte das Team auch Methoden untersuchen, um dessen Auswirkungen zu verhindern, wovon kommerzielle Anwendungen unmittelbar profitieren könnten. In der Literatur vermuteten Forscher Nicht-Gleichgewichtseffekte hinter dem Verhalten.
Um zu prüfen, ob die Neuverteilung von oberflächenaktivem Material den Cliff-edge-peak-Effekt tatsächlich ausschalten kann, behandelte das Team sorgfältig eine Reihe von Gemischen nach Abschluss des Absetzungsprozesses. Eine kleine mechanische Spannung lieferte gerade genug Energie, um einige der Sedimentteilchen erneut in die Lösung zu überführen, und versorgte die Luft/Flüssigkeits-Schnittstelle dann mit hinreichend Material, um die Oberflächenspannung wieder zu verringern.
Es besteht auch die Hoffnung, dass diese Arbeit zu neuartigen Anwendungen in der Wirkstofffreisetzung bei Medikamenten und Genen beitragen kann. Hier könnte man bei einem stabilen Biomakromolekularsystem einen externen Stimulus verwenden, um die Freisetzung von Proteinen oder DNA an ein bestimmtes Ziel zu veranlassen.
ILL / PH