Nützliche Flexoelektrizität
Ferroelektrische Schicht wird zum Datenspeicher.
Amerikanische Forscher haben die elektrische Polarisation einer dünnen ferroelektrischen Schicht lokal durch mechanischen Druck umgekehrt und auf diese Weise nanometergroße Muster dauerhaft in die Schicht eingetragen. Die mechanisch geschriebene Information ließ sich anschließend elektrisch auslesen.
Abb.: Die Spitze eines Rasterkraftmikroskops erzeugt durch Druck in der ferroelektrischen Schicht einen starken Spannungsgradienten, der eine Umkehr der elektrischen Polarisation verursacht. (Bild: J. Marty Gregg, Science)
In einem ferroelektrischen Material wie Bariumtitanat besteht ein enger Zusammenhang zwischen der elektrischen Polarisation und der Verformung des Materials. Die Elementarzelle eines ferroelektrischen Kristalls trägt aufgrund einer spontanen Deformation ein elektrisches Dipolmoment, das sich bei weiterer Verformung der Zelle unter mechanischem Druck ändert. Darauf beruht u. a. der Piezoeffekt, der vielfältig genutzt wird, etwa in Sensoren oder Stellgliedern.
Die spontane Verformung eines Ferroelektrikums, die seiner elektrischen Polarisation zugrunde liegt, ist indes unabhängig von der Richtung der auftretenden Polarisation. Deshalb gelingt es auch nicht, die Polarisationsrichtung umzukehren, indem man das Ferroelektrikum durch eine räumlich konstante elastische Spannung deformiert. Hat die Spannung indes einen räumlichen Gradienten, sodass unterschiedliche Bereiche des Ferroelektriums unterschiedlich stark beansprucht werden, so wird eine Umkehr der Polarisationsrichtung möglich. Dieser „flexoelektrische Effekt“ ist u. a. an Flüssigkristallen untersucht worden.
Alexei Gruverman von der University of Nebraska-Lincoln und seine Kollegen haben den flexoelektrischen Effekt jetzt praktisch genutzt. Dazu setzten sie eine dünne Schicht aus Bariumtitanat einem starken Spannungsgradienten aus, indem sie die Spitze eines Rasterkraftmikroskops auf die Oberfläche der Schicht drückten. Die Schicht mit einer Dicke von 4,8 Nanometern oder 12 Elementarzellen war epitaktisch auf eine Unterlage aufgebracht worden und wies eine einkristalline Struktur auf. Ihre elektrische Polarisation stand senkrecht zur Schichtoberfläche und zeigte entweder aus ihr heraus oder in sie hinein.
Indem die Forscher zwischen die Schicht und die Mikroskopspitze eine Spannung anlegten, konnten sie der Polarisation dauerhaft in eine der beiden möglichen Richtungen orientieren. Wurde anschließend an die Spitze eine schwächere Wechselspannung gelegt, so wirkte auf die Spitze eine Kraft, die von der Polarisationsrichtung der Schicht abhing. Auf diese Weise ließ sich die Polarisationsrichtung lokal mit einer Auflösung von etwa 10 Nanometern ermitteln. Gruverman ist einer der Pioniere dieses als „Piezoresponse-Kraftmikroskopie“ bezeichneten Verfahrens.
Über einen einheitlich polarisierten Bereich der ferroelektrischen Schicht führten die Forscher die Spitze eines Rasterkraftmikroskops längs einer einen Mikrometer langen geraden Linie. Dabei wurde die Spitze mit einer Kraft auf die Oberfläche der Schicht gedrückt, die stetig von 150 Nanonewton zu 1500 Nanonewton zunahm. Die anschließende Untersuchung der Schicht mit dem Piezoresponse-Kraftmikroskop zeigte, dass sich entlang der Linie die Stärke der Polarisation kontinuierlich änderte. Bei einer Kraft von 700 Nanonewton hatte die Polarisation ihre Richtung umgekehrt.
Durch Computerberechnungen konnten die Forscher ihre Beobachtungen erklären. Wurde die ferroelektrische Schicht gar nicht oder nur homogen belastet, so verhielt sich ihre freie Energie F in Abhängigkeit von der elektrischen Polarisation P bei Umkehr der Polarisationsrichtung symmetrisch. Die freie Energie wies zwei gleichwertige Minima bei ± 0,4 C/m2 auf, sodass die spontan auftretende Polarisation keine bevorzugte Richtung hatte. Wurde hingegen die Schicht inhomogen belastet, so war F(P) nicht länger symmetrisch um P=0. Für hinreichend große Belastungsgradienten verschwand eines der beiden Minima von F(P) und es trat eine eindeutige Polarisationsrichtung auf.
Die Forscher zeigten, dass sie mit der Mikroskopspitze mechanisch nanometergroße Polarisationsmuster in die ferroelektrische Schicht schreiben konnten, die über mehrere Tage Bestand hatten. Beim Schreibvorgang wurde die Kristallstruktur der Oberfläche nicht beschädigt. Da keine elektrische Spannung benutzt wurde, traten weder störende Streufelder noch elektrische Durchschläge auf. Anschließend konnten diese Muster gezielt mit einer anderen, elektrisch geladenen Spitze teilweise gelöscht werden. Auf diese Weise ließen sich Anordnungen von etwa 30 Nanometer großen Datenpunkten herstellen, die elektrisch gelesen werden konnten.
Es bleibt abzuwarten, ob der flexoelektrische Effekt tatsächlich zur effizienten Datenspeicherung genutzt werden kann. Doch in jedem Fall bietet er interessante Möglichkeiten, die elektrischen Eigenschaften von Nanostrukturen zu verändern.
Rainer Scharf