Organischer Pikosekunden-Schalter
Polarisierung von TTF-CA-Kristallen lässt sich mit Hilfe von Terahertzpulsen blitzschnell umschalten.
Für die moderne Datenübertragung kann eigentlich kein Schalter schnell genug sein. In optischen Netzwerken verrichten elektrooptische Komponenten ihren Dienst, die aus anorganischen Halbleitern bestehen. Mit solchen Bauteilen sind bereits sehr hohe Datenraten bei einigen Gigahertz möglich. Aber selbst Hochleistungselektronik, etwa aus Galliumarsenid, lässt sich nicht beliebig rasch takten. Hier könnten spezielle organische Kristalle, deren Polarisation sich extrem schnell umschalten lässt, für einen weiteren deutlichen Geschwindigkeitszuwachs sorgen.
Abb.: Der eingestrahlte Terahertzpuls sorgt für eine Polarisierung der TTF-CA-Kristalle.(Bild: H. Okamoto, U Tokyo)
Eine japanische Forschergruppe um Hiroshi Okamoto von der Universität Tokyo hat nun zum ersten Mal einen neuartigen Typ solcher organischer Kristalle untersucht, bestehend aus TTF-CA (Tetrathiafulvalen-Chloranil). Bei Raumtemperatur waren diese Kristalle paraelektrisch. Bei Abkühlung unter die kritische Temperatur von 81 Kelvin zeigten sie allerdings Ferroelektrizität.
Dabei spielt der Ladungstransfer zwischen TTF als Donor- und CA als Akzeptor-Molekül eine entscheidende Rolle. TTF-CA-Kristalle sind neutrale van-der-Waals-Kristalle, bei denen sich die molekularen Orbitale von Donor und Akzeptor überlappen. Dadurch kommt es zu einem leichten Ladungstransfer zwischen beiden Molekülen. Bei tiefen Temperaturen unterhalb von 81 Kelvin wird der Einfluss der langreichweitigen Coulomb-Kräfte stark genug und der Kristall geht in die ionische Phase über. Dabei wird der Ladungstransfer deutlich stärker – der Kristall wird ferroelektrisch. Im Gegensatz zu anderen ferroelektrischen Substanzen ist bei diesen Kristallen allerdings nicht eine Verschiebung der Moleküle verantwortlich, sondern die Neuverteilung der Elektronen.
Diese ließ sich auch oberhalb der kritischen Temperatur mit Hilfe eines starken elektrischen Feldes beeinflussen. „Wir können den Brechungsindex und die Absorption dieser Kristalle mit einem monozyklischen elektrischen Puls blitzschnell ändern”, sagt Okamoto. Die Forscher bestrahlten die TTF-CA-Kristalle hierzu mit ultrakurzen Terahertzpulsen. Diese erzeugten sie mit einem Titan-Saphir-Laser, den sie in einen Pump- und einen Probe-Puls zerlegten und zu geeigneten Wellenlängen konvertierten. Der Pump-Puls hatte dabei eine elektrische Feldstärke von rund 400 Kilovolt pro Zentimeter.
Oberhalb der kritischen Temperatur beobachteten die Forscher darauf eine überraschend empfindliche und schnelle Reaktion des Kristalls auf die eingestrahlten Terahertzpulse. Der Kristall änderte seine Polarisation innerhalb einer Pikosekunde. Bei einer Temperatur von 90 Kelvin stieg die Polarisation zunächst auf immerhin knapp ein Fünftel ihres Wertes bei 65 Kelvin – zeigte also deutlich ferroelektrisches Verhalten wie in der ionischen Phase.
Abb.: Der Kristall lässt sich auf der Zeitskala von nur einer Pikosekunde umschalten. (Bild: H. Okamoto, U Tokyo)
Mit zunehmenden Temperaturen nahm dieser Effekt zwar stetig leicht ab, war aber auch bei 260 Kelvin immer noch nachweisbar. Die Wissenschaftler erklären sich dieses extrem schnelle Ansprechen durch die Bewegung von Domänenwänden der neutralen und ionischen Domänen im Kristall. Oberhalb der kritischen Temperatur liegen sowohl ionische als auch nicht-ionische Zonen im Kristall vor, deren Verhältnis sich durch das elektrische Feld des Terahertzpulses verschieben lässt. Wie die Forscher anhand spektroskopischer Untersuchungen feststellen konnten, vergrößerte sich der Ladungstransfer zwischen den Molekülen durch den Terahertzpuls um gut ein Viertel und die Größe der ionischen Domänen um fast die Hälfte. Diese induzierte elektronische Ferroelektrizität ist der Grund für die überraschend gute und schnelle Schaltbarkeit der TTF-CA-Kristalle. Diese liegt theoretisch rund zwei bis drei Größenordnungen über den heute etablierten Materialien.
Für die moderne Hochleistungselektronik werden aber vermutlich nochmals neue Materialien notwendig sein. Die TTF-CA-Kristalle eignen sich nur für die Grundlagenforschung und nicht für praktische Anwendungen. „Sie sind an Luft nicht stabil, sie lassen sich schlecht verarbeiten und man kann sie auch nicht in nasschemischen Verfahren herstellen”, erläutert Okamoto. Um die Kristalle zu erzeugen, mussten die Forscher deshalb zur Ko-Sublimation greifen – ein Verfahren, das sie vor gut zehn Jahren bereits entwickelt hatten. Bei diesem aufwändigen Prozess bildet sich der TTF-CA-Kristall aus der Gasphase von gereinigten TTF- und CA-Kristallen, die gemeinsam erhitzt werden. Die Wissenschaftler aus Tokio wollen deshalb in Zukunft neue Materialien untersuchen, die sich besser als elektrooptische Schalter eignen als die empfindlichen TTF-CA-Kristalle.
Um derart schnelle Schaltraten in einem optischen Datenübertragungssystem einsetzen zu können, bräuchte man aber nicht nur leichter herzustellende und robustere Kristalle, die auch bei Raumtemperatur noch das gewünschte Verhalten zeigen. Insbesondere benötigt man auch neuartige Lasersysteme, die monozyklische Terahertzpulse mit einem Abstand von nur einer Pikosekunde aussenden können.
Dirk Eidemüller
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